Rheinische Post - Xanten and Moers
„Im Karneval tankt der Mensch Kraft“
In diesem Jahr kann wieder Karneval gefeiert werden. Aber kann überhaupt Stimmung aufkommen – angesichts von Krieg und Krisen? Darüber sprachen wir mit Heinz Roters, die Eminenz der Xantener Karnevalssitzung Halt Pölje.
XANTEN Es ist schon drei Jahre her, dass Xantens Eminenz zuletzt in die Bütt gestiegen ist. Wegen der Pandemie fiel die Karnevalssitzung Halt Pölje seit 2020 aus. In gut einem Monat aber wird Heinz Roters wieder seine beliebte, vielleicht auch von manchen gefürchtete Büttenrede halten. Der frühere Lehrer und Leiter der Viktor-Grundschule arbeitet bereits am Manuskript. Darüber sprchen wir mit ihm.
Herr Roters, die Corona-Pandemie bestimmt zwar den Alltag nicht mehr so sehr, aber durch den Ukraine-Krieg, die Energiekrise und die Inflation reißen die schlechten Nachrichten nicht ab. Kann dabei überhaupt Karnevalsstimmung aufkommen oder verliert man als Jeck die Freude daran?
HEINZ ROTERS Es fällt schwer, nach drei Jahren Corona wieder in diese Stimmung hineinzukommen. Das erlebe ich auch persönlich. Früher bin ich schneller vom Lametta zur Luftschlange gewechselt. Es fällt mir auch sehr schwer, wieder in den Reimfluss hineinzukommen. Da ist tägliches „Gehirnjogging“gefragt.
In den Wochen vor Halt Pölje arbeiten Sie an ihrer Büttenrede, die Sie als Eminenz in Reimform halten. Wie sind Sie überhaupt zu dieser Rolle gekommen?
ROTERS Seit dem Jahr 2000 schlüpfe ich in diese Rolle. Ich habe als eine Art Don Camillo in diesem Kostüm angefangen. Irgendwann wurde ich von meinem Vorgänger als Sitzungspräsident, Theo Opdenhövel, zur Eminenz befördert. Die Reden kämen so gut an, deswegen solle ich Kardinal werden, sagte er. Der Unterhaltungswert ist auch wichtig. Aber es geht auch letztlich darum, den Mächtigen und Einflussreichen den Spiegel vorzuhalten. Deshalb wurden und werden im Karneval die Rollen gewechselt. Das Volk schlüpft in die Rolle der Menschen, die regieren und das Sagen haben. Ich fände es deshalb schade, wenn diese Art der Rede, also die Büttenrede, wegfallen würde. Aber es ist zu beobachten, dass immer mehr Partys die klassischen Büttensitzungen ablösen und die politisch gefärbten Büttenreden kaum noch eine Rolle spielen.
Warum sind Büttenreden wichtig? ROTERS Ich halte es für wichtig, dass politische und gesellschaftliche Themen mit Humor aufgegriffen werden, und zwar mit dem Stilmittel der Übertreibung, dass also manches auch auf die Spitze getrieben wird, wie bei Karikaturen, ohne damit jemanden zu verletzen. Darauf passe ich auf. Ich lasse meine Rede vorher von jemandem lesen, der viel Ahnung von der Stadtpolitik hat.
Welche Resonanz erhalten Sie als Eminenz?
ROTERS Ich glaube, dass ich mit einer Büttenrede nicht die Welt verändern kann. Aber die Menschen sollen sich unterhalten fühlen und das Gefühl haben, dass man nicht immer alles so ernst nehmen muss. Das tut auch sozusagen den Mächtigen mal ganz gut, wenn sie über das, was sie produziert haben, einmal lachen können. Dabei geht es nicht um Schadenfreude, sondern darum, dass man sich selbst nicht allzu wichtig nimmt. Genau das ist der Sinn von Karneval.
Haben Sie einmal erlebt, dass jemand nach ihrer Rede nicht mehr mit Ihnen gesprochen hat?
ROTERS Einmal habe ich einen Brief bekommen, der Absender war ein sehr konservativer Mensch. In seinem Schreiben beschwerte er sich darüber, dass ich in der Kluft eines Pfarrers auftrete. Aus seiner Sicht gehe das nicht. Ich habe mit dem damaligen Propst darüber gesprochen, er hat kein Problem in meiner Verkleidung gesehen. Das ist aber schon einige Jahre her. Nach einer meiner letzten Reden hat sich jemand verletzt gefühlt, der an dem Abend gar nicht dabei war, aber dem der Inhalt zugetragen wurde. In diesem Fall hätte ich mir gewünscht, dass er sich zuerst bei mir erkundigt hätte, was ich gesagt habe und wie ich es gemeint habe. Grundsätzlich muss ich dazu sagen, dass jemand, der in der Öffentlichkeit steht, damit leben muss, dass er auch einmal veräppelt wird, das muss er tolerieren können. Politische Verantwortungsträger in dieser Stadt können sich eine Eintrittskarte kaufen.
Können Sie schon einen Ausblick geben, worüber Sie in diesem Jahr in Ihrer Büttenrede sprechen werden?
ROTERS Die Kirchenpolitik wird ein Thema sein, genauso wie der Synodale Weg. Auch die Krisen will ich aufgreifen. Ich sehe darin auch eine gute Verbindung: Je mehr sich die Gesellschaft von der Kirche und den Beichtstühlen entfernt, umso mehr kommen die Moralisten in der Politik und wollen uns sagen, was wir alles zu machen haben, um zum Beispiel Energie einzusparen. Mittlerweile
wird ja sogar schon über Duschzeiten gesprochen.
Ist es zurzeit schwieriger oder leichter, Themen aufzugreifen?
ROTERS Es ist nach drei Jahren Pandemie schwieriger, weil zu viel überlagert wurde von diesem Gesundheitsthema. Deswegen lautet das Leitthema für Halt Pölje: Nicht auf Covid 19 schimpfen, lass dich mit Halt Pölje impfen. Auch für dieses Thema ist Entspannung angesagt. Mit Panik und Angst kann man dieses Thema nicht bewältigen. Für viele einseitige Entscheidungen wird man sich entschuldigen müssen. In Xantens Lokalpolitik Themen zu finden, ist schwieriger geworden. Mir fehlen die Typen, die Charakterköpfe, die sich öffentlich auch mal äußern, an denen man sich reiben kann. Sie sind das Salz in der Suppe für eine gute Büttenrede. Aber Ereignisse und Eindrücke in allen Parteien habe ich notiert und werden aufgegriffen.
Kommen wir noch einmal zurück zur Ausgangsfrage: Kann trotz der Krisen Karnevalsstimmung aufkommen?
ROTERS Der erste Helau-Ruf wird nach der langen Pause vielleicht noch etwas zögerlich sein. Aber ich bin mir sicher, dass spätestens nach Beginn der Sitzung die erste Stimmungsrakete gezündet wird. Wenn sich die Menschen treffen, die Kostüme sehen, die Musik erklingt, wird man den Alltag und die Krise ausblenden. Das ist wichtig. Auch in „Krisenzeiten“dürfen Humor und Frohsinn nicht fehlen. Im Karneval tankt der Mensch Kraft für den Alltag, um die Krisen zu bewältigen.
DAS GESPRÄCH FÜHRTE MARKUS WERNING