Rheinische Post - Xanten and Moers

Nächster Halt – Abbruchkan­te Lützerath

- VON ALEXANDER TRIESCH

Schon seit 2014 organisier­t Kerstin Ciesla aus Duisburg Busfahrten, die Demonstran­ten ins Rheinische Revier bringen. Nun fährt sie am Samstag ein letztes Mal nach Lützerath.

Wie wichtig es ist, dass ein Bus die Leute zur Demo fährt, merkte Kerstin Ciesla, als sie gegen die Raketen der Nato auf die Straße ging. 1983 stimmte der Bundestag für die Stationier­ung der umstritten­en Pershing II in Deutschlan­d. Nuklear bestückte Mittelstre­ckenrakete­n sollten die atomare Abschrecku­ng des Westens gegen die Sowjetunio­n sichern. In der Bevölkerun­g gab es erhebliche­n Widerstand gegen die Pläne, die Angst vor einem drohenden Atomkrieg war hoch. Im Bonner Hofgarten demonstrie­rten schließlic­h Hunderttau­sende, selbst Bundeswehr­soldaten kamen in Uniform.

Kerstin Ciesla war damals 16 Jahre alt und stellte sich die Frage: Wie kommt man günstig von Duisburg nach Bonn und wieder zurück? Ciesla stieß auf ein Angebot des Deutschen Gewerkscha­ftsbund. Der örtliche Verband fuhr die Demonstran­ten mit Bussen in die damalige Bundeshaup­tstadt, zum Höhepunkt der deutschen Friedensbe­wegung. Ciesla und viele andere konnten nur kommen, weil sich jemand um die Anreise der Demonstran­ten gekümmert hatte.

40 Jahre später ist es Ciesla, die diese Aufgabe übernimmt. Am kommenden Samstag will sie in Lützerath gegen die Räumung des Dorfes protestier­en. Sie will zeigen, dass sie nicht einverstan­den ist mit dem, was die Landesregi­erung und der Konzern RWE vereinbart haben, nämlich das Ende von Lützerath. „Der Kohle-Ausstieg muss kompatibel sein mit dem 1,5-GradZiel“, sagt Ciesla. Und dafür müsse die Kohle unter Lützerath unbedingt im Boden bleiben. Mehrere Umweltverb­ände und Klimagrupp­en haben für den 14. Januar eine letzte große Demonstrat­ion in der Nähe des Dorfes angemeldet. Ziel: Die Räumung

stoppen.

Ciesla, die sich in Duisburg beim Bund für Umwelt und Naturschut­z Deutschlan­d (BUND) engagiert, hat für diesen Tag zwei Busse organisier­t, die nach Lützerath fahren. Bereits nach wenigen Tagen waren alle 110 Plätze weg. „Ich habe nicht mal großartig Werbung für die Aktion gemacht“, sagt Ciesla. Angemeldet haben sich Schüler, BUND-Aktivisten und ganz normale Bürger, „von 17 bis 71 Jahren ist alles dabei“, sagt Ciesla. Verbreitet hat sich das Angebot vor allem in den sozialen Netzwerken. Wer mitfahren will, bezahlt einen solidarisc­hen Preis. Das bedeutet: Wer es sich nicht leisten kann, zahlt nichts. Andere legen dafür 20 oder 30 Euro für die Fahrt dazu.

Ciesla war oft im Braunkohle-Revier, schon 2014 demonstrie­rte sie für den Erhalt der Dörfer und organisier­te einen Bus . Damals, sagt sie, habe die Öffentlich­keit das Thema

noch nicht so stark wahrgenomm­en. „Mittlerwei­le ist das Interesse riesig.“Ciesla kämpfte für den Hambacher Forst, da waren es noch drei volle Busse, und immer wieder auch gegen schmutzige Energiepol­itik, sagt sie. 2007 fuhr sie nach KrefeldUer­dingen, um ein Steinkohle­kraftwerk zu verhindern.

Einmal hat Ciesla sogar zusammen mit Mona Neubaur, der grünen NRW-Wirtschaft­sministeri­n, demonstrie­rt. Im Sommer 2021 war das, im Rheinische­n Revier bildeten Tausende Aktivisten eine Menschenke­tte. Sie forderten einen Kohleausst­ieg bis spätestens 2030, ein Ende der Zwangsumsi­edlungen und einen massiven Ausbau der erneuerbar­en Energien. „Ich bin stinksauer auf die Grünen“, sagt Ciesla. Die Partei argumentie­re nun pro RWE und mache genau das Gegenteil von dem, was sie mal angekündig­t habe. Ob Ciesla sie wählen würde? „Kein Kommentar“, sagt sie.

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FOTO: CHRISTOPH REICHWEIN Die Aktivistin Kerstin Ciesla beim Dorfspazie­rgang am Sonntag in Lützerath.

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