Rheinische Post - Xanten and Moers
Von Geldstrafen bis zu mehreren Jahren Gefängnis
Ein Verteidiger erklärt, mit welchen Folgen die Klimaaktivisten rechnen müssen, die sich der Polizei in Lützerath entgegenstellen.
LÜTZERATH Sie blockieren Zufahrtstraßen, betonieren Gasflaschen in die Fahrbahnen, um diese unpassierbar zu machen, werfen Steine auf Polizisten und besetzen Häuser, um zu verhindern, dass das Dorf Lützerath geräumt wird. Doch mit welchen Strafen müssen die Klimaaktivisten für ihren Protest rechnen?
Aus dem NRW-Justizministerium heißt es auf Anfrage unserer Redaktion dazu nur: „Wie ein Verhalten strafrechtlich zu bewerten ist und welcher Strafrahmen infolgedessen zur Anwendung kommt, hängt stets von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab und kann daher nicht in der erfragten Allgemeinheit festgestellt werden.“Für die Prüfung und Bewertung strafrechtlich relevanter Einzelsachverhalte seien die Staatsanwaltschaften und Gerichte zuständig.
Burkhard Benecken, Strafverteidiger aus Marl, sagt: „Bei den Protestaktionen kommt beim Werfen von Gegenständen auf Beamte vor allem eine Strafbarkeit wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte sowie wegen tätlicher Angriffe auf Vollstreckungsbeamte in Betracht.“Hierfür drohe eine Geld- oder eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren. Wird jemand verletzt, könnte ein Verfahren wegen gefährlicher Körperverletzung auf den mutmaßlichen Täter zukommen. Hier drohen Freiheitsstrafen zwischen sechs Monaten und zehn Jahren.
Wer sich ankettet oder in einem Erdloch verschanzt, kann ebenfalls wegen Widerstands belangt werden. „Wenn durch Gewalt oder Drohungen
die Vollstreckung rechtmäßiger Diensthandlungen behindert wird, liegt der Strafrahmen hier zwischen drei Monaten und fünf Jahren Freiheitsstrafe“, sagt Benecken. Die Strafbarkeit, die im Zentrum solcher Blockadefälle steht, ist nach Einschätzung von Benecken aber die Nötigung. „Bestraft wird hier, dass jemand eine andere Person zu etwas zwingt, in diesem Fall etwa die Arbeiter zum Innehalten ihrer Arbeit“, sagt er. Auch das Besetzen von Baggern ist eine Nötigung – dafür drohen bis zu drei Jahre Haft.
Vor Gericht kann die Motivation der Aktivisten – im weitesten Sinne der Klimaschutz – sich durchaus strafmildernd auswirken. „Das ist schon etwas anderes, als wenn ich solche Taten aus reiner Boshaftigkeit begehe“, sagt Benecken. „Man muss aber auch sagen, dass die Aktionen
natürlich inzwischen Ausmaße annehmen, dass die Justiz durchaus auch sagen kann: Wir wollen da einen Riegel vorschieben und greifen besonders hart durch – auch um möglicherweise einen Präzedenzfall zu schaffen.“
Der Strafrechtsexperte geht davon aus, dass kleinere Verstöße gegen die Zahlung einer Geldauflage eingestellt werden und es in vielen Fällen zu Strafbefehlsverfahren kommen wird, also zu einer Entscheidung des Gerichts ohne Hauptverhandlung. „Da kommt eine Flut von Verfahren auf die ohnehin restlos überlastete Strafjustiz zu“, sagt er. Beschleunigte
Verfahren wird es nach Einschätzung der Staatsanwaltschaften eher nicht geben, da die einzelnen Fälle oft komplex sind und sowohl die Klärung der Straftatbestände als auch die Beweisaufnahmen mit Zeugen oft aufwendiger sind.
In den vergangenen Monaten wurden immer wieder Rufe nach härteren Strafen für Klimaaktivisten laut, etwa von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU). Auch die Unionsfraktion im Bundestag aus CDU und CSU forderte Strafverschärfungen gegen Aktivisten, die Straßen blockieren oder Kunstwerke beschmieren. Doch sind härtere Strafen ein wirksames Mittel? Benecken ist eigentlich der Auffassung, dass sie das nicht sind. „Doch wir haben es hier mit einer neuen Art der Kriminalität zu tun“, sagt er. „Eigentlich haben härtere Strafen keine Wirkung, weil jeder Täter davon ausgeht, dass er nicht erwischt wird. Aber: Das gilt ja für Klimaaktivisten nicht. Denen ist klar: Wir fallen damit auf.“
Deshalb könnten seiner Auffassung nach hohe Strafen im Umfeld der Aktivsten durchaus eine abschreckende Wirkung haben. „Wir reden von Menschen, die eigentlich überwiegend rechtstreu sind und nun aus einer gesellschaftlichpolitischen Überzeugung heraus Straftaten begehen.“Eine Vorstrafe habe Auswirkungen auf das gesamte weitere Leben. „Das wird nicht jeder riskieren wollen.“