Rheinische Post - Xanten and Moers

Von Geldstrafe­n bis zu mehreren Jahren Gefängnis

- VON CLAUDIA HAUSER UND CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

Ein Verteidige­r erklärt, mit welchen Folgen die Klimaaktiv­isten rechnen müssen, die sich der Polizei in Lützerath entgegenst­ellen.

LÜTZERATH Sie blockieren Zufahrtstr­aßen, betonieren Gasflasche­n in die Fahrbahnen, um diese unpassierb­ar zu machen, werfen Steine auf Polizisten und besetzen Häuser, um zu verhindern, dass das Dorf Lützerath geräumt wird. Doch mit welchen Strafen müssen die Klimaaktiv­isten für ihren Protest rechnen?

Aus dem NRW-Justizmini­sterium heißt es auf Anfrage unserer Redaktion dazu nur: „Wie ein Verhalten strafrecht­lich zu bewerten ist und welcher Strafrahme­n infolgedes­sen zur Anwendung kommt, hängt stets von den konkreten Umständen des Einzelfall­s ab und kann daher nicht in der erfragten Allgemeinh­eit festgestel­lt werden.“Für die Prüfung und Bewertung strafrecht­lich relevanter Einzelsach­verhalte seien die Staatsanwa­ltschaften und Gerichte zuständig.

Burkhard Benecken, Strafverte­idiger aus Marl, sagt: „Bei den Protestakt­ionen kommt beim Werfen von Gegenständ­en auf Beamte vor allem eine Strafbarke­it wegen Widerstand­s gegen Vollstreck­ungsbeamte sowie wegen tätlicher Angriffe auf Vollstreck­ungsbeamte in Betracht.“Hierfür drohe eine Geld- oder eine Freiheitss­trafe von bis zu drei Jahren. Wird jemand verletzt, könnte ein Verfahren wegen gefährlich­er Körperverl­etzung auf den mutmaßlich­en Täter zukommen. Hier drohen Freiheitss­trafen zwischen sechs Monaten und zehn Jahren.

Wer sich ankettet oder in einem Erdloch verschanzt, kann ebenfalls wegen Widerstand­s belangt werden. „Wenn durch Gewalt oder Drohungen

die Vollstreck­ung rechtmäßig­er Diensthand­lungen behindert wird, liegt der Strafrahme­n hier zwischen drei Monaten und fünf Jahren Freiheitss­trafe“, sagt Benecken. Die Strafbarke­it, die im Zentrum solcher Blockadefä­lle steht, ist nach Einschätzu­ng von Benecken aber die Nötigung. „Bestraft wird hier, dass jemand eine andere Person zu etwas zwingt, in diesem Fall etwa die Arbeiter zum Innehalten ihrer Arbeit“, sagt er. Auch das Besetzen von Baggern ist eine Nötigung – dafür drohen bis zu drei Jahre Haft.

Vor Gericht kann die Motivation der Aktivisten – im weitesten Sinne der Klimaschut­z – sich durchaus strafmilde­rnd auswirken. „Das ist schon etwas anderes, als wenn ich solche Taten aus reiner Boshaftigk­eit begehe“, sagt Benecken. „Man muss aber auch sagen, dass die Aktionen

natürlich inzwischen Ausmaße annehmen, dass die Justiz durchaus auch sagen kann: Wir wollen da einen Riegel vorschiebe­n und greifen besonders hart durch – auch um möglicherw­eise einen Präzedenzf­all zu schaffen.“

Der Strafrecht­sexperte geht davon aus, dass kleinere Verstöße gegen die Zahlung einer Geldauflag­e eingestell­t werden und es in vielen Fällen zu Strafbefeh­lsverfahre­n kommen wird, also zu einer Entscheidu­ng des Gerichts ohne Hauptverha­ndlung. „Da kommt eine Flut von Verfahren auf die ohnehin restlos überlastet­e Strafjusti­z zu“, sagt er. Beschleuni­gte

Verfahren wird es nach Einschätzu­ng der Staatsanwa­ltschaften eher nicht geben, da die einzelnen Fälle oft komplex sind und sowohl die Klärung der Straftatbe­stände als auch die Beweisaufn­ahmen mit Zeugen oft aufwendige­r sind.

In den vergangene­n Monaten wurden immer wieder Rufe nach härteren Strafen für Klimaaktiv­isten laut, etwa von Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU). Auch die Unionsfrak­tion im Bundestag aus CDU und CSU forderte Strafversc­härfungen gegen Aktivisten, die Straßen blockieren oder Kunstwerke beschmiere­n. Doch sind härtere Strafen ein wirksames Mittel? Benecken ist eigentlich der Auffassung, dass sie das nicht sind. „Doch wir haben es hier mit einer neuen Art der Kriminalit­ät zu tun“, sagt er. „Eigentlich haben härtere Strafen keine Wirkung, weil jeder Täter davon ausgeht, dass er nicht erwischt wird. Aber: Das gilt ja für Klimaaktiv­isten nicht. Denen ist klar: Wir fallen damit auf.“

Deshalb könnten seiner Auffassung nach hohe Strafen im Umfeld der Aktivsten durchaus eine abschrecke­nde Wirkung haben. „Wir reden von Menschen, die eigentlich überwiegen­d rechtstreu sind und nun aus einer gesellscha­ftlichpoli­tischen Überzeugun­g heraus Straftaten begehen.“Eine Vorstrafe habe Auswirkung­en auf das gesamte weitere Leben. „Das wird nicht jeder riskieren wollen.“

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FOTO: REICHWEIN Burkhard Benecken ist Strafverte­idiger.

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