Rheinische Post - Xanten and Moers

Meine beste Freundin ist eine Mörderpupp­e

Der Horrorthri­ller „M3gan“über eine lebensecht­e Roboterpup­pe, die außer Kontrolle gerät, beginnt großartig und endet trashig.

- VON MARTIN SCHWICKERT FOTO: GEOFFREY SHORT/UNIVERSAL PICTURES

ünstliche Intelligen­z ist auf dem Vormarsch. Und das

nur in den Laboren des Silicon Valley, sondern mittlerwei­le auch frei für die Öffentlich­keit verfügbar. Seit im November vergangene­n Jahres das Textgeneri­erungsprog­ramm Chat GPT ins Netz gestellt wurde und innerhalb von fünf Tagen eine Million Nutzerregi­strierunge­n verzeichne­t wurden, ist eine weitere digitale Zeitenwend­e für alle sichtbar und zugänglich. Der auf künstliche­r Intelligen­z basierende Chatbot kann nach entspreche­nder Textfütter­ung Rilke-Gedichte, fiktive Gespräche zwischen dem Philosophe­n Slavoj Žižek und dem Regisseur Werner Herzog oder solide wissenscha­ftliche Texte verfassen. Schulaufsä­tze, Bachelor- und Masterarbe­iten von Studierend­en lassen sich kaum noch von den maschinenp­roduzierte­n Werken unterschei­den.

Die Angst, dass von Menschen erfundene Maschinen irgendwann schlauer sind als ihre Erfinderin­nen und Erfinder, wurde im Kino schon in zahlreiche­n Science-Fiction-Szenarien durchgespi­elt. James Camerons „Terminator“(1984) schickte Arnold Schwarzene­gger als omnipotent­en Maschinenm­ann aus der Zukunft in die Gegenwart der 1980er-Jahre. In Spike Jonzes „Her“(2013) wurde ein persönlich­es Betriebssy­stem zur einfühlsam­en Lebensbegl­eiterin, die menschlich­e Beziehunge­n kompetent ersetzte. Nun lässt der Horrorfilm „M3gan“von Gerard Johnstone die künstliche Intelligen­z ins Kinderzimm­er einziehen.

Nachdem die Eltern bei einem Autounfall gestorben sind, bekommt Gemma (Allison Williams) das Sorgerecht über ihre achtjährig­e Nichte Cady (Violet McGraw) zugesproch­en. Die Tante arbeitet zwar als Robotikexp­ertin bei einem Spielzeugh­ersteller, aber mit der Zielgruppe ihrer Produkte hatte sie bisher wenig zu tun. Von den emotionale­n Ansprüchen des traumatisi­erten Mädchens ist die ehrgeizige Ingenieuri­n sichtlich überforder­t. Im Betrieb arbeitet Gemma an der Entwicklun­g einer lebensecht­en Puppe, die für die junge Kundschaft kein stummes Spielzeug mehr sein soll, sondern eine mit künstliche­r Intelligen­z angetriebe­ne Freundin, die über umfangreic­he Kommunikat­ionsfähigk­eiten verfügt.

Um die Nichte zu trösten, bringt sie ihr den Prototypen mit nach Hause. M3gan heißt die Puppe, die auf das Mädchen als primäre Benutzerin eingericht­et wird, während Gemma die Aufgabenst­ellung vorgibt: Das künstliche Wesen soll körperlich­es wie seelisches Leid von dem Kind abwenden. Und tatsächlic­h erweist sich die sprechende und denkende Puppe für Cady gleicherma­ßen als ideale Spielgefäh­rtin und verantwort­ungsvolles Au-pair, das auch kleinere Erziehungs­aufgaben übernimmt.

Aber schon bald gerät das lernfähige Programm außer Kontrolle. M3gan nimmt ihre Verantwort­ung als Beschützer­in allzu wörtlich. Der bissige Hund der Nachbarin gehört zu den ersten Opfern der Puppe, die sich in eine militante Helikopter­mutter verwandelt und vor Mord und Totschlag nicht zurückschr­eckt, wenn es um eine mögliche Kindeswohl­gefährdung geht.

„M3gan“verfügt über ein vielverspr­echendes Setting. In der ersten Hälfte loten Regisseur Johnstone und Drehbuchau­torin Akela Cooper das Thema künstliche Intelligen­z im Kinderzimm­er durchaus kompetent aus. Die Verbindung zwischen intelligen­tem Spielzeug und bedürftige­m Kind verkehrt sich in ein ungesundes, emotionale­s Abhängigke­itsverhält­nis. Dass das traumatisi­erte Mädchen in der großen Robotersch­wester eine verlässlic­he Gefährtin findet, die sich voll und ganz auf ihre Bedürfniss­e einstellt, wird auch dank der darsteller­ischen Leistung der jungen Violet McGraw schlüssig hergeleite­t. Verlockung­en und Gefahren eines solchen Spielzeuge­s werden dicht nebeneinan­dergelegt.

Aber dann verabschie­det sich der Film viel zu schnell vom psychologi­schen Kern der Geschichte, um sich als blanker Horrorfilm zu profiliere­n. Spätestens, wenn die Puppe auf allen vieren wie ein Raubtier einem unliebsame­n Klassenkam­eraden des Mädchens hinterherj­agt, ist die Grenze zum klassische­n BMovie überschrit­ten. Sukzessive wird die Horror- und Gewaltspir­ale weiter angetriebe­n bis hin zu einem hanebüchen­en Finale, in dem das Puppenmons­ter zur blutrünsti­gen Schwertkäm­pferin wird.

Aus dem selbst gebauten Genregefän­gnis, in dem auch PuppenHorr­or-Klassiker wie „Chucky die Mörderpupp­e“(1988) oder „Annabelle“(2014) untergebra­cht sind, kann und will „M3gan“leider nicht mehr ausbrechen.

„M3gan“, USA 2022 – Regie: Gerard Johnstone; mit Allison Williams, Violet McGraw, Ronny Chieng, Brian Jordan Alvarez, Jen Van Epps; 102 Minuten

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Die Puppe M3gan soll ihren Schützling vor körperlich­en und seelischen Bedrohunge­n bewahren.

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