Rheinische Post - Xanten and Moers
Von der Realität eingeholt
Der Film „Holy Spider“erzählt von einem Frauenmörder im Iran. Mit den Protesten, die seit Monaten im Land aufflammen, hat die Geschichte an Aktualität gewonnen.
(dpa) Manchmal wird eine Geschichte von der Realität eingeholt und damit aktueller als vielleicht geplant. Beim Thriller „Holy Spider“ist das mit den Protesten im Iran geschehen. Der Film beruft sich auf einen wahren Fall. Regisseur Ali Abbasi erzählt vom sogenannten Spinnenmörder, der Anfang der 2000er-Jahre mehrere Sexarbeiterinnen in der iranischen Stadt Maschhad ermordete und überzeugt war, sich dabei auf einer göttlichen Mission zu befinden.
Eine Journalistin will im Film die Mordserie aufklären. Als sie in die Stadt kommt, nimmt sie sich ein Zimmer. Ihre Haare hat sie eher locker mit einem Kopftuch bedeckt. Als der Mann an der Rezeption erfährt, dass sie alleine unterwegs ist, will er ihr das Zimmer nicht vermieten, bis sie ihm ihren Presseausweis zeigt. „Wenn Sie bitte Ihre Haare bedecken würden?“, sagt der Mann zu ihr. „Das ist meine Sache“, antwortet die Frau. „Aber die Sittenpolizei…“, entgegnet der Mann.
Wenn der Film jetzt ins Kino kommt, ist es rund vier Monate her, dass Jina Mahsa Amini im Iran in Polizeigewahrsam gestorben ist. Die iranische Kurdin war von der sogenannten Sittenpolizei wegen Verstoßes gegen geltende islamische Kleidungsvorschriften festgenommen worden. Seither gibt es immer wieder Proteste gegen den repressiven Kurs der Regierung und das islamische Herrschaftssystem.
Als Abbasi seinen neuen Film gedreht hat, war diese Protestwelle noch nicht abzusehen. Und die Geschichte, die er erzählt, liegt etliche Jahre zurück. „Holy Spider“ ist eine brisante Auseinandersetzung mit dem Frauenbild im Iran, mit weiblichen Körpern und ihrer Unterdrückung, mit religiösem Überbau und der Frage, wie viel Unterstützung ein Frauenmörder bekommen kann, wenn er in einem System lebt, das Frauen grundsätzlich abwertet.
Der Film ist brutal und geht nahe. Er zeigt Sexszenen und Prostitution, ein Thema, das im Iran noch immer ein Tabu ist. Während sich ein Großteil der jungen Generation heute offen mit Fragen der Sexualität auseinandersetzt, werden Verstöße gegen die islamischen Gesetze immer noch hart bestraft. Sex außerhalb der Ehe ist genauso verboten wie Prostitution. Es gibt keine offiziellen Statistiken, Sexarbeit findet im Verborgenen statt.
Dass es gar nicht so leicht war, ein Ensemble für den Film zu finden, berichtet Regisseur Abbasi im Begleitheft zum Film. Mehdi Bajestani, der den Mörder Saeed spielt, gehe ein großes Karriererisiko ein. „Das westliche Publikum hat keinen
Referenzrahmen, wie riskant seine Darstellung ist“, wird Abbasi zitiert, „aber eine Entsprechung wäre ein Hollywoodstar, der einen Pädophilen spielen muss, den man im Film beim Ausleben seiner sexuellen Fantasien sieht“.
Schauspielerin Zar Amir Ebrahimi, die den Part der Journalistin übernommen hat, wurde in Cannes als beste Darstellerin ausgezeichnet. 2006 hatte sie ihr Land verlassen, nachdem ein Privatvideo in der Öffentlichkeit aufgetaucht war, das sie beim Sex mit ihrem damaligen Freund zeigte. Ebenfalls in „Holy Spider“zu sehen: Sara Fazilat („Tausend Zeilen“, „Nico“). Der Film ist eine Koproduktion aus Dänemark, Deutschland, Frankreich und Schweden. Für Dänemark soll der Film auch ins Rennen um den Oscar gehen.
„Holy Spider“, Dänemark/Deutschland/Frankreich/Schweden 2022 – Regie: Ali Abbasi; mit Zar Amir Ebrahimi, Mehdi Bajestani, Sara Fazilat; Laufzeit: 117 Minuten