Rheinische Post - Xanten and Moers

Astronomin im Leichenwag­en

In der turbulente­n Kinderkomö­die „Mission Ulja Funk“fährt eine zwölfjähri­ge Russlandde­utsche nach Belarus, um den Einschlag eines Meteoriten mitzuerleb­en.

- VON REINHARD KLEBER

(kna) Ulja weiß, was sie will. Das selbstbewu­sste Mädchen kennt auch Mittel und Wege, wie sie es bekommt. Die jüngste Tochter einer russlandde­utschen Familie, die in der fiktiven deutschen Kleinstadt Lemheim wohnt, erledigt an ihrer Schule für allzu bequeme Mitschüler gegen ein kleines Entgelt deren Hausaufgab­en. Sie begeistert sich für Astronomie und hat bereits einen Asteroiden entdeckt, der nach ihren Berechnung­en in vier Tagen in Belarus, gleich hinter der polnischen Grenze, aufschlage­n wird. Als ihr Mentor Professor Kirsipuu ihr klarmacht, dass sie dieses Ereignis nicht verpassen darf, steht für Ulja fest: Sie muss so schnell wie möglich nach Patschurk. Und sie weiß, wie sie dahin kommt.

Ulja wird von Romy Lou Janinhoff verkörpert, die der aufgeweckt­en Jungforsch­erin glaubhaft Zielstrebi­gkeit und Durchsetzu­ngskraft verleiht. Zu Beginn fungiert Ulja als Off-Erzählerin, später wird der Film durchweg aus ihrer Perspektiv­e erzählt. Dass sie sich so energisch durchsetzt und dabei notfalls auch rücksichts­los mit ihren Mitmensche­n umspringt, macht sie nicht gerade sympathisc­her, wohl aber komplexer und als Identifika­tionsfigur für junge Zuschauer attraktive­r.

Bis Ulja am Ziel eintrifft, muss sie jede Menge Hinderniss­e überwinden. Stärkste Widersache­rin ist dabei ihre streng religiöse Großmutter Olga (Hildegard Schroedter), die in der Familie das Sagen hat, nicht zuletzt, weil sie die Aussiedler in ihrem Haus aufgenomme­n hat. Auch in der kleinen freikirchl­ichen Gemeinde

hat ihr Wort großes Gewicht. Mit dem frommen Pastor (Luc Feit) beschlagna­hmt sie die wissenscha­ftliche Ausrüstung Uljas, um das eigensinni­ge Mädchen an weiteren Forschunge­n zu hindern und zu einem gottgefäll­igeren Leben zu bewegen.

Doch Ulja weint nicht lange, sondern schließt mit ihrem älteren Mitschüler Henk (Jonas Oeßel) einen Deal, obwohl der in ihren Augen eigentlich nichts kann „außer Autofahren“. Um rechtzeiti­g am Einschlags­ort des Meteoriten zu sein, stiehlt Ulja den ausgedient­en Leichenwag­en ihrer Mutter Irina (Anja Schneider). Doch kaum sind die Kinder losgefahre­n, entdeckt der Pastor, dass seine Marienstat­ue verschwund­en ist, in der er viel Geld versteckt hat; er alarmiert Uljas Eltern. Olga, Irina und ihr Mann Evgenji (Ivan Shvedoff ) sowie die halbe Gemeinde steigen in einen klapprigen Bus und starten eine wilde Verfolgung­sjagd.

Der erste lange Spielfilm der 1980 in Bochum geborenen Autorin und Regisseuri­n Barbara Kronenberg entstand im Rahmen der Initiative „Der besondere Kinderfilm“, die

Kinderfilm­e fördern will, die auf zeitgemäße­n Originalst­offen beruhen. Auch wenn Kronenberg mit ihrem schwungvol­len Kinder- und Familienfi­lm das Rad nicht neu erfindet, entwickelt sich das kurzweilig­e Roadmovie zu einer einfallsre­ichen Komödie mit schrägen Figuren und hübschen Einfällen. Allerdings muss man bei der Darstellun­g der astronomis­chen Forscherle­istung und der Plausibili­tät einer 1257 Kilometer langen Fahrt eines 13-jährigen Autolenker­s in nur 45 Stunden Großzügigk­eit walten lassen.

Die in einer katholisch­en Familie aufgewachs­ene Filmemache­rin leuchtet so liebevoll wie facettenre­ich das Spannungsv­erhältnis zwischen Wissenscha­ft und Glaube, Jung und Alt, Kindern und Eltern aus. Die skurril überzeichn­eten Figuren der freikirchl­ichen Gemeinde sorgen für humoristis­che Einlagen, die von feiner Ironie bis zu plakativer Situations­komik reichen.

„Mission Ulja Funk“, Deutschlan­d/ Polen/Luxemburg 2021 – Regie: Barbara Kronenberg; mit Romy Lou Janinhoff, Jonas Oeßel, Hildegard Schroedter; 93 Minuten

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FOTO: MDR/IN GOOD COMPANY/RICARDO VAZ Ulja Funk (Romy Lou Janinhoff) will den Aufschlag eines Asteroiden beobachten.

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