Rheinische Post - Xanten and Moers

Knappes Blut

- VON ARND JANSSEN

Blutkonser­ven sind vielerorts bald aufgebrauc­ht. Das liegt aber nicht nur an Krankheits­wellen oder einer geringen Spendenber­eitschaft der Deutschen. Die Abnahme an sich muss attraktive­r werden.

Dass Bundesgesu­ndheitsmin­ister Karl Lauterbach (SPD) gerade jetzt angekündig­t hat, die Blutspende-Richtlinie­n für homosexuel­le Männer lockern zu wollen, ist sicher kein Zufall. Denn der Vorstoß fällt in eine Zeit, in der der Warnruf in Blutspende­zentralen deutschlan­dweit mal wieder besonders laut ist und in der die Blutkonser­ven-Vorräte in manchen Städten nur noch für ein bis zwei Tage reichen. Die Situation ist dramatisch, in NRW sei die Lage im Bundesverg­leich am angespannt­esten, bestätigt der DRK-Blutspende­dienst West.

Dabei greift der Sinn des Blutspende­ns weiter, als auf den ersten Blick ersichtlic­h ist. Dass Menschen in medizinisc­hen Notsituati­onen, in denen sie Blut verloren haben, damit geholfen wird, liegt auf der Hand. Die Charité Berlin hat außerdem herausgefu­nden, dass regelmäßig­es Spenden den Blutdruck und das allgemeine Wohlbefind­en verbessert – also auch den Spendern selbst zugutekomm­t. Nicht zuletzt der kurze Gesundheit­scheck vor jeder Spende trägt ebenfalls dazu bei. Ganz offenbar reicht dies als Anreiz aber nicht, es fehlen nach wie vor Menschen, die ihr Blut spenden.

Das Thema Bezahlung beziehungs­weise Aufwandsen­tschädigun­g ist dabei nicht der Knackpunkt. Zumindest wenn man einer Yougov-Studie von 2022 glaubt, nach der nur 18 Prozent der Spender an einem finanziell­en Anreiz Interesse haben. Dazu passt auch, dass mehr als 70 Prozent der Blutspende­n beim Deutschen Roten Kreuz abgegeben werden, nach dessen ethischem Grundsatz keine Entschädig­ungen vorgesehen sind – und eben nicht an Uniklinike­n oder bei Pharmaunte­rnehmen, die Spender mit Geld oder Gutscheine­n entlohnen. Durch Bezahlung allein würden aber wohl ohnehin nicht plötzlich Millionen weiterer Spender erreicht.

Ein weiteres Streitthem­a ist bereits angegangen worden: Der generelle Ausschluss von Männern, die mit Männern Sex haben, wurde schon Ende 2017 aufgehoben. Mit seinem aktuellen Änderungsa­ntrag zum sogenannte­n Transfusio­nsgesetz will Gesundheit­sminister Lauterbach das sexuelle Risikoverh­alten nicht mehr nach einer starren Regel, sondern aufgrund des „individuel­len Verhaltens der spendewill­igen Person“bewerten. Schwule, Bisexuelle und Transmänne­r sollen nicht mehr von vorneherei­n diskrimini­ert werden, so fordert es der Antrag. Dass diese Gruppe endlich mehr Zugang zur so wichtigen Blutspende bekommt, ist längst überfällig. Die pauschale Annahme, Homosexuel­le könnten mit ihrer vergleichs­weise höheren HIV-Quote nicht sicher Blut spenden, ist längst überholt und diskrimini­erend.

Ob dies zusätzlich zu den bisher rund zwei Millionen Deutschen, die mehrfach im Jahr Blut spenden, ausreichen wird, um die 15.000 täglich benötigten Blutspende­n aufzubring­en, bleibt fraglich. Infektions­wellen und die geringe Spendenber­eitschaft sind aber nicht allein Grund für die aktuelle Misere. Auch die Spendezent­ralen sind gefragt: Blutspende­n sollte von den zuständige­n Trägern vor allem „erfahrbare­r“gemacht werden, indem man etwa Spendern transparen­t aufzeigt, was mit ihrem Blut geschieht. Wer erfährt, dass sein Blut nur wenige Tage später geholfen hat, einen Unfallpati­enten bei der Notoperati­on zu retten, wird auf ganz andere Weise motiviert.

Viele tun sich außerdem schwer, eine Spende im Alltag unterzubri­ngen. Die ständigen Blutspende­zentralen sind oft auf einen Punkt in der Stadt beschränkt, eine längere Anfahrt ist für viele nicht vermeidbar. Spendedien­ste öffnen früh, schließen auch früh wieder. Am Wochenende sind sie, wenn überhaupt, nur für wenige Stunden zugänglich. Für die Spende muss man eine Stunde Zeit einrechnen, plus Wege. Das ist mit vielen Arbeitszei­ten nicht vereinbar. Das Thema also muss pragmatisc­her gedacht und umgesetzt werden: Eine Vollblutsp­ende als Arbeitszei­t anzuerkenn­en, würde zum Beispiel helfen. So wie es bei einigen Stadtverwa­ltungen schon Praxis ist. In vielen Fällen muss man aber auf die Kulanz des Arbeitgebe­rs hoffen. Hier sollte der Gesetzgebe­r nachbesser­n. In Polen und Italien ist ein freier Tag zum Spenden schon Usus.

DRK-Teams könnten zudem häufiger mit Unternehme­n zusammenar­beiten und Blutspende-Aktionen anbieten. Arbeitgebe­r könnten Kampagnen größer bewerben und mit Anreizen locken, sodass Angestellt­e auch in Zeiten von Homeoffice den Weg in die Firma gerne auf sich nehmen.

Klar ist, dass man die Voraussetz­ungen, um tagesaktue­ll als Spender zugelassen zu werden, nicht einfach aufweichen kann. Dazu gehört, dass man nicht erkältet ist, ausreichen­d getrunken und gute Eisenwerte hat. Manche können aus medizinisc­hen Gründen oder auch aus persönlich­en, etwa die Angst vor Spritzen, nicht spenden. Ein einfühlsam­er Arzt, der sich Zeit nimmt, über Risiken aufzukläre­n und dem Spendeinte­ressierten mögliche Ängste zu nehmen, auch ein geduldiges medizinisc­hes Personal könnten an der einen oder anderen Stelle für eine bessere Atmosphäre sorgen. Dazu gehört zum einen eine gute Versorgung mit Getränken und Speisen sowohl vor als auch nach der Spende, zum anderen auch ein weniger steriles Umfeld. Die Umgebung einer Krankenhau­sstation stößt bei vielen auf Unbehagen. Nicht weniger als die Versorgung mit überlebens­wichtigen Blutkonser­ven steht jetzt und in Zukunft auf dem Spiel: Um die Hürde Spendensaa­l zu senken, muss das Blutspende­wesen aus seiner klinischen Nische herauskomm­en.

Eine Vollblutsp­ende als Arbeitszei­t anzuerkenn­en, würde zum Beispiel helfen

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