Rheinische Post - Xanten and Moers
Ausgeweitet wird die Grube
Die frühere Pen-Präsidentin Ingrid Bachér (92) schrieb 2011 mit „Die Grube“einen Roman über das rheinische Braunkohlerevier. Die Proteste in Lützerath bewegen sie weiterhin.
Nun wird wieder abgeräumt, eine alte Kulturlandschaft mitten in unserem Land. Kontinuierlich verschwindet dort für immer, was in Jahrhunderten entstanden ist, Dörfer und Weiler, Wälder und Felder. Nichts bleibt zurück als die nackte Erde nach der Räumung. Und sie wird aufgerissen, abgebaggert, umgewälzt und fortgebracht. Ausgeweitet wird die Grube, tief hinab durch die archäologisch reichen Schichten der Vorvergangenheit. Abgepumpt wird das klarste Wasser, das sich in Jahrmillionen angesammelt hat.
Vor 43 Jahren habe ich noch den in sich so stimmigen Ort Garzweiler kennengelernt, der dem Gebiet und später der Ausweitung des Abbaus den Namen gab: Garzweiler II. Auch dort verschwanden mit den Jahren Straßen und Alleen, die großen Gehöfte und die kleinen Läden, Häuser, Kirchen und Friedhöfe – und die Menschen, deren Heimat sich auflöste. Lützerath ist einer der wenigen Orte, die noch überlebt haben, obwohl schon vor zwei Jahren die Bewohner ihn verließen.
Der Ort wurde zum Symbol für viele Demonstrierende, die auch jetzt wieder aus ganz Deutschland kamen. Sie erwarten, dass sie gehört werden. Es reicht ihnen die Zusage nicht, dass nun 2030 statt 2038 der Abbau der Kohle zu Ende gehen soll. Wer garantiert, dass vor 2030 es nicht wieder einen Grund gibt, Verträge zu ändern? Ich sehe einen Mann an der Abbruchkante der Grube stehen. Er sagt, „Heuchlerisch alle Versprechungen, es geht doch immer weiter.“Trotzdem ist er gekommen, weil er das Unheimliche der Situation spürt und selber tätig sein will, obwohl er machtlos ist.
Lützerath muss bleiben, steht auf einem selbstgemalten Schild, das eine alte Frau hochhält. Doch in den nächsten Tagen wird Lützerath abgeräumt. Es ist richtig, das gesprochene Recht muss durchgesetzt werden. Aber fraglich ist doch, ist dieses Recht, das gesprochen wurde, angemessen dem Recht auf ein friedliches Leben so vieler Menschen auch in der Zukunft? Oder ist es offensichtlich unser Schicksal, dass wir seit Langem die Folgen unseres Handelns erkennen, aber nicht fähig sind, unser Handeln zu verändern, selbst wenn wir damit uns selber vernichten?
Im Radio höre ich die Stimme des Ministers: „Die Räumung von Lützerath ist alternativlos.“Da sind wir wieder in der Sackgasse der Politik, ich verstehe, wir Menschen sind zu allem fähig, auch zum Herbeiführen der Klimakatastrophe.