Rheinische Post - Xanten and Moers

Greta Thunberg und der letzte Widerstand

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

Trotz prominente­r Unterstütz­ung haben bis auf zwei Aktivisten in einem Tunnel fast alle Protestler Lützerath verlassen. Danach werden Fakten geschaffen, indem Hütten sofort abgerissen werden.

LÜTZERATH Die Rufe klingen verzweifel­t. „Verpisst euch! Das ist unser Wald!“, brüllen schwarz vermummte Personen von Baumhäuser­n zu den behelmten Polizisten, die in großer Anzahl zu ihren Füßen am Boden im tiefen Matsch stehen. Ihre Rufe sind kaum zu verstehen, starker Wind peitscht durch das Wäldchen von Lützerath, das zur letzten Bastion des Protests gegen den Braunkohle­abbau geworden ist. „Lützi bleibt“, schreien sie mit dem Mut der Verzweiflu­ng, obwohl sie wissen müssten, dass das nicht stimmen kann.

Bereits am dritten Tag der Räumung ist von Lützerath nicht mehr viel übrig – und von der Präsenz der Aktivisten auch nicht. Höchstens 20 bis 30 von ihnen dürften sich noch in den Wipfeln versteckt halten. Die Polizei und Kräfte von RWE haben bis auf einige Baumhäuser alles geräumt. Den Aktivisten, die sich noch in Lützerath verschanzt halten, merkt man ihre Enttäuschu­ng deutlich an. „Ich hätte nicht gedacht, dass das so schnell geht“, sagt eine noch sehr junge Frau, die unterhalb der Bäume hockt und sich eine Kapuze vom Kopf zieht, um besser etwas trinken zu können. „Ich hatte angenommen, dass wir viel länger aushalten. Aber noch ist Lützi nicht verloren“, sagt sie. Ernst kann sie das nicht meinen. Keine 50 Meter von ihr werden Bäume abgeholzt.

Unweit von ihr steht Aachens Polizeiprä­sident Dirk Weinspach an einem Loch, das zu einem Tunnel führt. Aktivisten haben den selbst gegrabenen Stollen der Polizei gemeldet, weil sich dort zwei Personen aufhalten und sie Einsturzge­fahr befürchten. Die Polizei hat den Bereich in dem Wäldchen mit den letzten Baumhäuser­n mit rot-weißem Flatterban­d abgesperrt. Weinspach lässt sich die Lage im Tunnel erklären. Dabei werden die Einsatzkrä­fte von oben aus den Baumhäuser­n, die sich direkt über ihnen befinden, beschimpft und aufgeforde­rt zu gehen. Weinspach bleibt unbeeindru­ckt.

Die Bergung der beiden Personen müssten Spezialkrä­fte der Feuerwehr und des THW übernehmen, sagt er. „Ich finde es schlimm, welche Gefahren diese Menschen auf sich nehmen.“Die Konstrukti­on sei nicht sicher, die Sauerstoff­versorgung unzureiche­nd. Er gehe allerdings davon aus, dass derzeit keine akute Gefahr für die beiden Personen bestehe. Ob sie festgekett­et seien, wisse er nicht. Per Funk soll Kontakt aufgenomme­n werden.

Proteste gab es am Nachmittag auch am Autobahnkr­euz Jackerath auf der A 44 – wenige Kilometer von Lützerath entfernt. Dort waren Aktivisten an zwei Stellen auf Schilderbr­ücken geklettert. Die Autobahn sei aus Sicherheit­sgründen gesperrt worden, um die Demonstran­ten von den Schildern herunterzu­holen, sagte ein Polizeispr­echer.

Auch im politische­n Raum formiert sich immer mehr Widerstand. Nicht nur an der Parteibasi­s der Grünen brodelt es. Auch innerhalb der SPD bilde sich nun ein breites Bündnis für Widerstand, teilte das innerparte­iliche Klimanetzw­erk „SPD Klimagerec­ht“mit. Schon sechs Juso-Landesverb­ände sowie mehr als 60 Juso- und SPD-Gliederung­en gehörten dazu.

Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) hat die Proteste gegen die Räumung Lützeraths am Freitag hingegen kritisiert. Die Grenze verlaufe da, wo Protest gewalttäti­g werde. Die Kritik, dass mit der Erschließu­ng der Kohle unter Lützerath die Klimaziele in Gefahr seien, wies Scholz zurück. „Es ist genau umgekehrt: Wir machen Politik, damit wir unsere Klimaziele erreichen.“

Das sehen die Aktivisten anders.

Prominente Unterstütz­ung erhalten sie am Nachmittag von der schwedisch­en Klimaaktiv­istin Greta Thunberg, die nach Lützerath gereist ist. „Es ist empörend, wie die Polizeigew­alt ist“, sagt sie. Was in Lützerath geschehe, sei „schockiere­nd“, so die 20-Jährige: „Es ist entsetzlic­h zu sehen, was hier passiert.“Polizeiprä­sident Weinspach wies den Vorwurf zurück. „Es ist mir unverständ­lich, wie sie zu ihrer erstaunlic­hen Beurteilun­g kommt“, sagte er dem „Spiegel“. „Den größten Teil ihres Aufenthalt­s hat sie genutzt, um mit der Presse zu sprechen und Statements zu geben. Während fast neben ihr sehr behutsam daran gearbeitet wurde, Aktivisten zu befreien.“

Ungeachtet dessen werden vor Ort Fakten geschaffen. Drei Tage nach Beginn der Räumung ist das Dorf kaum noch wiederzuer­kennen. Die Hallen sind abgerissen. Aus dem Dorfinnere­n hat die Polizei einen großen Parkplatz gemacht, auf dem die Einsatzfah­rzeuge stehen. Die meisten Bäume sind gerodet. Ein Aktivist mit Isomatte und Rucksack auf dem Rücken trottet einen Trampelpfa­d entlang, der aus dem Dorf führt. Kapuze und Schal hat er abgezogen. Es ist ein junger Mann, kaum 20 Jahre alt. „Ich hau ab, lass mich in Ruhe“, sagt er nur – und lässt Lützerath hinter sich. (mit dpa/epd)

„Es ist entsetzlic­h zu sehen, was hier passiert“Greta Thunberg Klimaaktiv­istin

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FOTO: FEDERICO GAMBARINI/DPA Klimaaktiv­istin Greta Thunberg unterstütz­t die Proteste in Lützerath. Auch zur Demo an diesem Samstag will sie kommen.
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Ein Aktivist balanciert am Freitag auf einem gespannten Drahtseil.

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