Rheinische Post - Xanten and Moers
Greta Thunberg und der letzte Widerstand
Trotz prominenter Unterstützung haben bis auf zwei Aktivisten in einem Tunnel fast alle Protestler Lützerath verlassen. Danach werden Fakten geschaffen, indem Hütten sofort abgerissen werden.
LÜTZERATH Die Rufe klingen verzweifelt. „Verpisst euch! Das ist unser Wald!“, brüllen schwarz vermummte Personen von Baumhäusern zu den behelmten Polizisten, die in großer Anzahl zu ihren Füßen am Boden im tiefen Matsch stehen. Ihre Rufe sind kaum zu verstehen, starker Wind peitscht durch das Wäldchen von Lützerath, das zur letzten Bastion des Protests gegen den Braunkohleabbau geworden ist. „Lützi bleibt“, schreien sie mit dem Mut der Verzweiflung, obwohl sie wissen müssten, dass das nicht stimmen kann.
Bereits am dritten Tag der Räumung ist von Lützerath nicht mehr viel übrig – und von der Präsenz der Aktivisten auch nicht. Höchstens 20 bis 30 von ihnen dürften sich noch in den Wipfeln versteckt halten. Die Polizei und Kräfte von RWE haben bis auf einige Baumhäuser alles geräumt. Den Aktivisten, die sich noch in Lützerath verschanzt halten, merkt man ihre Enttäuschung deutlich an. „Ich hätte nicht gedacht, dass das so schnell geht“, sagt eine noch sehr junge Frau, die unterhalb der Bäume hockt und sich eine Kapuze vom Kopf zieht, um besser etwas trinken zu können. „Ich hatte angenommen, dass wir viel länger aushalten. Aber noch ist Lützi nicht verloren“, sagt sie. Ernst kann sie das nicht meinen. Keine 50 Meter von ihr werden Bäume abgeholzt.
Unweit von ihr steht Aachens Polizeipräsident Dirk Weinspach an einem Loch, das zu einem Tunnel führt. Aktivisten haben den selbst gegrabenen Stollen der Polizei gemeldet, weil sich dort zwei Personen aufhalten und sie Einsturzgefahr befürchten. Die Polizei hat den Bereich in dem Wäldchen mit den letzten Baumhäusern mit rot-weißem Flatterband abgesperrt. Weinspach lässt sich die Lage im Tunnel erklären. Dabei werden die Einsatzkräfte von oben aus den Baumhäusern, die sich direkt über ihnen befinden, beschimpft und aufgefordert zu gehen. Weinspach bleibt unbeeindruckt.
Die Bergung der beiden Personen müssten Spezialkräfte der Feuerwehr und des THW übernehmen, sagt er. „Ich finde es schlimm, welche Gefahren diese Menschen auf sich nehmen.“Die Konstruktion sei nicht sicher, die Sauerstoffversorgung unzureichend. Er gehe allerdings davon aus, dass derzeit keine akute Gefahr für die beiden Personen bestehe. Ob sie festgekettet seien, wisse er nicht. Per Funk soll Kontakt aufgenommen werden.
Proteste gab es am Nachmittag auch am Autobahnkreuz Jackerath auf der A 44 – wenige Kilometer von Lützerath entfernt. Dort waren Aktivisten an zwei Stellen auf Schilderbrücken geklettert. Die Autobahn sei aus Sicherheitsgründen gesperrt worden, um die Demonstranten von den Schildern herunterzuholen, sagte ein Polizeisprecher.
Auch im politischen Raum formiert sich immer mehr Widerstand. Nicht nur an der Parteibasis der Grünen brodelt es. Auch innerhalb der SPD bilde sich nun ein breites Bündnis für Widerstand, teilte das innerparteiliche Klimanetzwerk „SPD Klimagerecht“mit. Schon sechs Juso-Landesverbände sowie mehr als 60 Juso- und SPD-Gliederungen gehörten dazu.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat die Proteste gegen die Räumung Lützeraths am Freitag hingegen kritisiert. Die Grenze verlaufe da, wo Protest gewalttätig werde. Die Kritik, dass mit der Erschließung der Kohle unter Lützerath die Klimaziele in Gefahr seien, wies Scholz zurück. „Es ist genau umgekehrt: Wir machen Politik, damit wir unsere Klimaziele erreichen.“
Das sehen die Aktivisten anders.
Prominente Unterstützung erhalten sie am Nachmittag von der schwedischen Klimaaktivistin Greta Thunberg, die nach Lützerath gereist ist. „Es ist empörend, wie die Polizeigewalt ist“, sagt sie. Was in Lützerath geschehe, sei „schockierend“, so die 20-Jährige: „Es ist entsetzlich zu sehen, was hier passiert.“Polizeipräsident Weinspach wies den Vorwurf zurück. „Es ist mir unverständlich, wie sie zu ihrer erstaunlichen Beurteilung kommt“, sagte er dem „Spiegel“. „Den größten Teil ihres Aufenthalts hat sie genutzt, um mit der Presse zu sprechen und Statements zu geben. Während fast neben ihr sehr behutsam daran gearbeitet wurde, Aktivisten zu befreien.“
Ungeachtet dessen werden vor Ort Fakten geschaffen. Drei Tage nach Beginn der Räumung ist das Dorf kaum noch wiederzuerkennen. Die Hallen sind abgerissen. Aus dem Dorfinneren hat die Polizei einen großen Parkplatz gemacht, auf dem die Einsatzfahrzeuge stehen. Die meisten Bäume sind gerodet. Ein Aktivist mit Isomatte und Rucksack auf dem Rücken trottet einen Trampelpfad entlang, der aus dem Dorf führt. Kapuze und Schal hat er abgezogen. Es ist ein junger Mann, kaum 20 Jahre alt. „Ich hau ab, lass mich in Ruhe“, sagt er nur – und lässt Lützerath hinter sich. (mit dpa/epd)
„Es ist entsetzlich zu sehen, was hier passiert“Greta Thunberg Klimaaktivistin