Rheinische Post - Xanten and Moers

Die Klimakrise der Grünen

Der Düsseldorf­er Politologe Thomas Poguntke hält Abspaltung­en von der Partei für möglich.

- VON MAXIMILIAN PLÜCK

DÜSSELDORF Die Polizei hat die Besetzung der Landespart­eizentrale der Grünen an der Düsseldorf­er Oststraße nach mehr als zehn Stunden beendet. Zwölf der zu Beginn der Aktion noch 30 Aktivisten wurden „weitestgeh­end friedlich“des Hauses verwiesen. Es ist nicht die einzige Aktion, die das gespaltene Verhältnis der Aktivisten zur Ökopartei deutlich macht: Bis Freitagvor­mittag hatten mehr als 2000 Grünen-Mitglieder einen offenen Brief gegen die Räumung von Lützerath unterzeich­net. Darin werden die NRW-Wirtschaft­sministeri­n Mona Neubaur und Bundeswirt­schaftsmin­ister Robert Habeck (beide Grüne) aufgeforde­rt, die Polizeiakt­ion sofort zu stoppen.

Der Streit mit den Klimaaktiv­isten dürfte nach Ansicht des Düsseldorf­er Politologe­n Thomas Poguntke jedoch nicht existenzbe­drohend sein: „Der Konflikt ist unangenehm, aber im Kern nicht bedrohlich für die Partei.“Der Politikpro­fessor verwies auf ähnlich gelagerte historisch­e Vorläufer: „Für die Castortran­sporte war ein Minister namens Jürgen Trittin verantwort­lich. Er musste sich mit lokalen Bürgerinit­iativen auseinande­rsetzen, die eng mit seiner Partei verbunden waren und sich dann auf die Gleise gesetzt haben.“Ähnliche Auseinande­rsetzungen habe es zudem im Zusammenha­ng mit dem Kosovo-Krieg gegeben. „All dies haben die Grünen durchgesta­nden. Aber klar ist auch: Es wird Verluste geben.“

Poguntke verwies darauf, dass diejenigen, die mit übertriebe­nen Erwartunge­n bei den Grünen eingetrete­n seien, nun austreten dürften: „Einige Lützerath-Sympathisa­nten werden bei der nächsten Wahl an anderer Stelle ihr Kreuz machen. Aber auch das ist kein Grund zur Panik.“Die Grünen könnten sich bis zu einem gewissen Grad darauf verlassen, dass sie für die Klimabeweg­ung von allen Parteien noch das kleinste Übel darstellte­n. „Die Partei muss jetzt darauf hoffen, dass die Räumung schnell und friedlich vonstatten­geht und dann nach vorne schauen.“Poguntke riet dazu, nicht zu sehr zu überschätz­en, wie viele mögliche Grünen-Wähler derart kompromiss­los auf einen sofortigen Kohleausst­ieg setzten. „Es sind doch am Ende auch überschaub­are Zahlen vor Ort. Insgesamt hat die Partei durchaus die Chance, durch eine vernünftig­e Kommunikat­ionsstrate­gie

bei ihrer Wählerklie­ntel Boden gut zu machen.“

Die Kompromiss­losigkeit der Aktivisten sei für eine breit aufgestell­te Partei mit Regierungs­anspruch nicht durchhaltb­ar. „Ein Stück weit fällt den Grünen nun ihre eigene Wahlkampfs­trategie auf die Füße. Parteien fordern in den Kampagnen immer mehr, als sie später in Koalitione­n umsetzen können. Die Grünen haben zudem die enorm starke Besorgnis vor den Folgen des Klimawande­ls selbst mitbefeuer­t“, sagte der Politikexp­erte. „Dann ist es auch nicht weiter verwunderl­ich, dass eine sehr junge Protestbew­egung Maximalfor­derungen aufstellt. Das führt zwangsläuf­ig zu Enttäuschu­ngen.“

Die Gefahr, dass es zu Abspaltung­en komme, besteht Poguntke zufolge immer. „Sorgen, dass Klima-Listen den Grünen Wähler abspenstig machen könnten, gab es ja beispielsw­eise bei den Wahlen in BadenWürtt­emberg auch. Doch eine neue

Partei müsste auch erst einmal die Fünf-Prozent-Hürde nehmen.“Die Kommunikat­ion zwischen der Partei und ihrer Jugendorga­nisation bezeichnet­e er als „nachweisli­ch stark gestört“. Eine verstärkte Lagerbildu­ng sei durchaus denkbar, aber in anderer Form als früher. „Der Streit zwischen Fundis und Realos ging ja insbesonde­re um die Frage nach der Regierungs­beteiligun­g. Die Themen sind heute andere, aber tendenziel­l dürfte es auch angesichts des massiven Mitglieder­aufwuchses in den vergangene­n Jahren durch die Klimabeweg­ung nicht friedliche­r werden. Eher im Gegenteil.“

Für die Aktivisten ist vor allem Vize-Ministerpr­äsidentin Mona Neubaur zum Feindbild mutiert. In den sozialen Medien schlägt ihr derzeit massiver Hass entgegen. Auf die Frage, wie sie sich am besten verhalten sollte, sagte Pogunkte: „Ich nehme das so wahr, dass sie derzeit den Ball flach hält und sehr zurückhalt­end kommunizie­rt. Das halte ich auch für klug.“Nach Ansicht von NRWInnenmi­nister Herbert Reul hat der „positive Einfluss“der Grünen auf die Klimaschüt­zer in Lützerath die Räumung des Braunkohle­ortes erleichter­t. Dass viele Demonstran­ten aus dem bürgerlich­en Lager friedlich abgezogen seien, „hängt sicher auch mit der Regierungs­beteiligun­g der Grünen zusammen, die im Vorfeld gewalttäti­ge Proteste verurteilt hatten“, sagte der CDU-Politiker dem „Kölner Stadt-Anzeiger“am Samstag. (mit dpa)

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FOTOS: ROLF VENNENBERN­D/DPA Polizisten stehen vor dem Eingang eines Gebäudes, in dem sich Aktivisten in einem Tunnel versteckt haben sollen.
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FOTO: DPA Immer wieder kam es in der zurücklieg­enden Woche vor der Parteizent­rale der Grünen zu Protesten. Zuletzt hatten Aktivisten die Räume besetzt.

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