Rheinische Post - Xanten and Moers
An der Grenze der Belastbarkeit
Patienten und ihre Angehörigen berichten von unangenehmen Erfahrungen im Evangelischen Krankenhaus Wesel. Die Klinik selbst macht keinen Hehl aus der aktuell schwierigen Lage, sieht diese aber gut gemeistert.
WESEL Es gibt Zeiten, in denen man Krankenhausaufenthalte meiden sollte. Das galt besonders zu Corona-Hochzeiten und das gilt auch immer noch. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht irgendeine Klinik in die Kritik gerät, Patienten zu vernachlässigen. Deutschlandweit kommt das System nicht aus den Schlagzeilen heraus. Viele Patienten und ihre Angehörigen wissen sehr wohl, dass in den Häusern bis zum Anschlag geschuftet wird. Dennoch bringt die Situation das knappe Personal an Grenzen seiner Belastbarkeit. Und manchmal wird diese auch überschritten. Die Folge sind unangenehmen Erfahrungen für beide Seiten. Beschwerden führen das beispielhaft vor Augen.
„Wir gehören nicht zu denen, die ständig maulen, zu denen, die meckern, aber tatsächlich bin ich so geschockt, dass ich der Meinung bin, dass man das alles nicht so akzeptieren kann und vor allen Dingen, dass man es öffentlich machen muss für all die, die sich nicht wehren können“, sagt eine Frau aus Rees, deren Mann an einer schweren neurologischen Erkrankung leidet. „Ich bin absolut geschockt, wie im Krankenhaus mit den Patienten verfahren wird. Mein Mann wurde mit Corona infiziert, befand sich in Quarantäne im Krankenhaus, erhielt seine überaus wichtigen Medikamente zu einem späteren Zeitpunkt oder gar nicht, verlor die Kanüle, blutete. Die Schwester reagierte auf den Notruf nicht. Mein Mann rief mich an, damit ich die Schwester anrufe, die dann zu mir gelangweilt sagte: Jaja, ich schaue nach“, schildert die Angehörige.
Zielscheibe der Kritik ist in diesem Fall das Evangelische Krankenhaus Wesel (EVK), dessen Ärztlicher Direktor und Neurologie-Chef Winfried Neukäter auf Anfrage unserer Redaktion die jüngste Konstellation erläutert. So habe es in der Woche vor Weihnachten und in der danach „sehr, sehr viel Patienten gegeben, besonders Infektionspatienten“. Zwischen den Jahren waren es 60 von 200. Normalerweise verfügt das EVK über 332 aufgestellte Betten. Um Weihnachten und Neujahr blieben elektive, also gewählte Operationen aber aus.
Im Nachtdienst kümmerten sich zwei Kräfte um 20 Patienten, sagt
Neukäter. Wie in allen deutschen Kliniken sei viel zu tun gewesen. „Wir haben das Glück gehabt, dass wir die Situation mit enorm hohem Aufwand und Mehrstunden aus unserer Sicht gut gemeistert haben“, sagt er. Wenngleich Mitarbeiter ihre Kräfte komplett einsetzten, sei nicht auszuschließen, dass es zu Verzögerungen kam. Etwa bei besagter Medikamenten-Gabe. Bei jedem isolierten Patienten sei die komplette Montur (Kittel, Maske, Handschuhe) zu wechseln. Da dauere eben. Es sei eine anstrengende Phase gewesen, aber dank des Einsatzes habe man es gut geschafft. Überdies seien auch Mitarbeiter von Infektionen betroffen gewesen und man habe Leute aktiveren müssen, die frei hatten.
„Die Schwestern hetzen mit Telefon durch die Gänge“, beschreibt die Frau des besagten Patienten ihre Wahrnehmung und wittert Kostendruck: „Dreimal am Tag Schutzkleidung. Mehr ist nicht drin.“Komplettiert wurde ihr Dilemma, als ihre Schwiegermutter, die sich im Marien-Hopital Wesel (MHW ) mit Corona
infizierte, nach Hause entlassen wurde und sie selbst nun auch infiziert ist. Sie spricht von einem Albtraum, aber auch davon, dass sie ja noch alles selbst regeln könne. „Aber es gibt auch Menschen, die haben niemanden.“
In einem anderen Fall berichtet ein Leser, dass seine Mutter wegen schwerer Erkältung beim Hausarzt mit Luftnot zusammengebrochen war und ins EVK kam. Dort habe es das Mittel für ihren Inhalator, den sie für ihr Asthma benutzt, nicht gegeben. Auch keine Alternative. „Am Anfang bekam sie Sauerstoff, eine Schwester hat das dann am zweiten Tag abgebaut, obwohl es meiner Mutter noch kein Stück besser ging. Die Behandlung bestand aus Tropf mit Antibiotikum“, sagt der Sohn.
In Unkenntnis der genauen Umstände sagt Winfried Neukäter dazu, dass es medizinisch auch angezeigt gewesen sein könne, eben keinen Sauerstoff zu geben. Generell erklärt der Ärztliche Direktor des EVK, dass man bemüht sei, die Patienten die Lage an der Grenze der Belastbarkeit nicht spüren zu lassen. Er verweist zudem auf des Beschwerdemanagement des Hauses. Darüber wolle man mit Betroffenen ins Gespräch kommen und den Einzelfällen detailliert nachgehen. Beschwerdeführer können sich auch persönlich an ihn wenden. „Es ist eine schwierige Zeit“, sagt Neukäter. Dennoch ließen sich an der Beschwerdestatistik derzeit keine signifikanten Veränderungen ablesen.
Wie voll die Kliniken zurzeit sind bzw. zwischen den Jahren waren, lässt sich laut Neukäter auch daran ablesen, dass das EVK Anfragen aus Unna, Hagen, Bocholt und anderswo bekam mit der Bitte, Infektionspatienten mit Corona, Norovirus, RSV oder Grippe aufzunehmen, die allesamt zu isolieren sind.
„In der Woche vor Weihnachten und in der Woche danach hat es sehr, sehr viele Patienten gegeben, besonders Infektionspatienten“Winfried Neukäter Ärtztlicher Direktor EVK