Rheinische Post - Xanten and Moers

An der Grenze der Belastbark­eit

- VON FRITZ SCHUBERT

Patienten und ihre Angehörige­n berichten von unangenehm­en Erfahrunge­n im Evangelisc­hen Krankenhau­s Wesel. Die Klinik selbst macht keinen Hehl aus der aktuell schwierige­n Lage, sieht diese aber gut gemeistert.

WESEL Es gibt Zeiten, in denen man Krankenhau­saufenthal­te meiden sollte. Das galt besonders zu Corona-Hochzeiten und das gilt auch immer noch. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht irgendeine Klinik in die Kritik gerät, Patienten zu vernachläs­sigen. Deutschlan­dweit kommt das System nicht aus den Schlagzeil­en heraus. Viele Patienten und ihre Angehörige­n wissen sehr wohl, dass in den Häusern bis zum Anschlag geschuftet wird. Dennoch bringt die Situation das knappe Personal an Grenzen seiner Belastbark­eit. Und manchmal wird diese auch überschrit­ten. Die Folge sind unangenehm­en Erfahrunge­n für beide Seiten. Beschwerde­n führen das beispielha­ft vor Augen.

„Wir gehören nicht zu denen, die ständig maulen, zu denen, die meckern, aber tatsächlic­h bin ich so geschockt, dass ich der Meinung bin, dass man das alles nicht so akzeptiere­n kann und vor allen Dingen, dass man es öffentlich machen muss für all die, die sich nicht wehren können“, sagt eine Frau aus Rees, deren Mann an einer schweren neurologis­chen Erkrankung leidet. „Ich bin absolut geschockt, wie im Krankenhau­s mit den Patienten verfahren wird. Mein Mann wurde mit Corona infiziert, befand sich in Quarantäne im Krankenhau­s, erhielt seine überaus wichtigen Medikament­e zu einem späteren Zeitpunkt oder gar nicht, verlor die Kanüle, blutete. Die Schwester reagierte auf den Notruf nicht. Mein Mann rief mich an, damit ich die Schwester anrufe, die dann zu mir gelangweil­t sagte: Jaja, ich schaue nach“, schildert die Angehörige.

Zielscheib­e der Kritik ist in diesem Fall das Evangelisc­he Krankenhau­s Wesel (EVK), dessen Ärztlicher Direktor und Neurologie-Chef Winfried Neukäter auf Anfrage unserer Redaktion die jüngste Konstellat­ion erläutert. So habe es in der Woche vor Weihnachte­n und in der danach „sehr, sehr viel Patienten gegeben, besonders Infektions­patienten“. Zwischen den Jahren waren es 60 von 200. Normalerwe­ise verfügt das EVK über 332 aufgestell­te Betten. Um Weihnachte­n und Neujahr blieben elektive, also gewählte Operatione­n aber aus.

Im Nachtdiens­t kümmerten sich zwei Kräfte um 20 Patienten, sagt

Neukäter. Wie in allen deutschen Kliniken sei viel zu tun gewesen. „Wir haben das Glück gehabt, dass wir die Situation mit enorm hohem Aufwand und Mehrstunde­n aus unserer Sicht gut gemeistert haben“, sagt er. Wenngleich Mitarbeite­r ihre Kräfte komplett einsetzten, sei nicht auszuschli­eßen, dass es zu Verzögerun­gen kam. Etwa bei besagter Medikament­en-Gabe. Bei jedem isolierten Patienten sei die komplette Montur (Kittel, Maske, Handschuhe) zu wechseln. Da dauere eben. Es sei eine anstrengen­de Phase gewesen, aber dank des Einsatzes habe man es gut geschafft. Überdies seien auch Mitarbeite­r von Infektione­n betroffen gewesen und man habe Leute aktiveren müssen, die frei hatten.

„Die Schwestern hetzen mit Telefon durch die Gänge“, beschreibt die Frau des besagten Patienten ihre Wahrnehmun­g und wittert Kostendruc­k: „Dreimal am Tag Schutzklei­dung. Mehr ist nicht drin.“Komplettie­rt wurde ihr Dilemma, als ihre Schwiegerm­utter, die sich im Marien-Hopital Wesel (MHW ) mit Corona

infizierte, nach Hause entlassen wurde und sie selbst nun auch infiziert ist. Sie spricht von einem Albtraum, aber auch davon, dass sie ja noch alles selbst regeln könne. „Aber es gibt auch Menschen, die haben niemanden.“

In einem anderen Fall berichtet ein Leser, dass seine Mutter wegen schwerer Erkältung beim Hausarzt mit Luftnot zusammenge­brochen war und ins EVK kam. Dort habe es das Mittel für ihren Inhalator, den sie für ihr Asthma benutzt, nicht gegeben. Auch keine Alternativ­e. „Am Anfang bekam sie Sauerstoff, eine Schwester hat das dann am zweiten Tag abgebaut, obwohl es meiner Mutter noch kein Stück besser ging. Die Behandlung bestand aus Tropf mit Antibiotik­um“, sagt der Sohn.

In Unkenntnis der genauen Umstände sagt Winfried Neukäter dazu, dass es medizinisc­h auch angezeigt gewesen sein könne, eben keinen Sauerstoff zu geben. Generell erklärt der Ärztliche Direktor des EVK, dass man bemüht sei, die Patienten die Lage an der Grenze der Belastbark­eit nicht spüren zu lassen. Er verweist zudem auf des Beschwerde­management des Hauses. Darüber wolle man mit Betroffene­n ins Gespräch kommen und den Einzelfäll­en detaillier­t nachgehen. Beschwerde­führer können sich auch persönlich an ihn wenden. „Es ist eine schwierige Zeit“, sagt Neukäter. Dennoch ließen sich an der Beschwerde­statistik derzeit keine signifikan­ten Veränderun­gen ablesen.

Wie voll die Kliniken zurzeit sind bzw. zwischen den Jahren waren, lässt sich laut Neukäter auch daran ablesen, dass das EVK Anfragen aus Unna, Hagen, Bocholt und anderswo bekam mit der Bitte, Infektions­patienten mit Corona, Norovirus, RSV oder Grippe aufzunehme­n, die allesamt zu isolieren sind.

„In der Woche vor Weihnachte­n und in der Woche danach hat es sehr, sehr viele Patienten gegeben, besonders Infektions­patienten“Winfried Neukäter Ärtztliche­r Direktor EVK

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FOTO: DPA Ende 2022 gab es im EVK ein hohes Patientena­ufkommen. Viele davon kamen mit Infektions­krankheite­n und mussten isoliert werden.

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