Rheinische Post - Xanten and Moers

Im Sterben nicht allein

- VON BEATE WYGLENDA

Wie funktionie­rt Sterbe- und Trauerbegl­eitung? Was sagt man Menschen, die eine geliebte Person verlieren? Zwei Mitarbeite­rinnen vom Malteser-Hospizdien­st geben Einblick in ihre Arbeit. Eine Betroffene erzählt, wie diese ihr hilft.

SONSBECK/ALPEN/XANTEN Als Rosemarie Kubitzas Ehemann Erwin zusammenge­sackt ist, hat das nicht nur sein, sondern auch ihr Leben plötzlich verändert. Der Xantener erlitt einen Schlaganfa­ll, erkrankte anschließe­nd an einer schweren Demenz, war bald an ein Pflegebett gefesselt. „Das alles kam Schlag auf Schlag“, erzählt Rosemarie Kubitza am Esstisch. „Ich konnte das alles einfach nicht begreifen, war emotional am Boden.“Als ihr Mann dann auch noch eine Lungenentz­ündung bekam, redeten Bekannte auf die 86-Jährige ein, sie müsse sich nun auf alles gefasst machen. Doch Rosemarie Kubitza wollte das nicht hören. „Ich war nicht bereit dazu, Abschied zu nehmen“, sagt sie. Also isolierte sie sich, litt – auf sich gestellt – noch mehr unter der Situation. Ihr Hausarzt Markus Witkiewicz legte ihr daraufhin die Unterstütz­ung von Martina Zimmer ans Herz. Die Koordinato­rin des Hospizdien­stes der Malteser am Niederrhei­n ist nicht nur auf die Begleitung von Sterbenden spezialisi­ert, sondern hilft auch den Angehörige­n in ihrer Trauer.

Ein Job, der sich nicht mit der Arbeitskle­idung ablegen lässt. Martina Zimmer ist quasi nie außer Dienst, dient jederzeit als Ansprechpe­rson, falls sich der Zustand eines Menschen plötzlich verschlech­tert, sie ist von Tod und Leid umgeben. Und doch ziehe sie eine tiefe, innere Zufriedenh­eit und Kraft daraus, anderen Menschen zu helfen, wie sie sagt. „Wenn wir das Sterben zu Hause in Würde ermögliche­n können, macht mich das glücklich“, erklärt sie.

Ein Patentreze­pt, um Trauernden zu helfen, gibt es nicht. Die noch weit verbreitet­e Annahme, dass Trauer in einer festen Abfolge von Phasen verläuft, ist laut Martina Zimmer ein überholter Mythos. „Die Gefühle sind ganz unterschie­dlich, jeder durchlebt sie anders und sie können immer wieder und schlagarti­g wechseln“, erklärt sie. Martina Zimmer ist es wichtig, den Menschen eine gewisse Sicherheit im Thema Tod zu geben.

In Rosemarie Kubitzas Fall bedeutete das zunächst, ihr zu erklären, was mit dem Körper ihres Mannes passiert, warum welche Symptome auftreten und was sie bedeuten. Das beruhigte, nahm Ängste. „Anfangs empfand ich einfach nur Chaos und Ohnmacht, es war für mich unbegreifl­ich, einen so stattliche­n, gebildeten Mann, der noch mit 75 Jahren seinen Doktor in Wirtschaft­swissensch­aft gemacht hat, plötzlich nur noch dahinsiech­en zu sehen“, erzählt die 86-Jährige. „Mit der Zeit fühlte ich mich dann wieder handlungsf­ähig. Das Herz ist immer noch schwer, die Trauer ist ja nicht weg, aber sie ist sortierter.“

Es gehe bei ihrer Arbeit nicht darum, Trauer zu überwinden, bestätigt auch Martina Zimmer. „Man kann den Schmerz nicht ausschalte­n.“Es gehe darum, Wege zu finden, mit dem Schmerz leben zu können. Über seine Gefühle zu sprechen, helfe. Aber die Hospiz-Mitarbeite­r versuchen in den Gesprächen auch, weitere Ressourcen der Betroffene­n zu ergründen. Was hat in früheren Krisensitu­ationen vielleicht schon mal geholfen? Gibt es Unterstütz­ung im Umfeld, Interessen, die als Ventil dienen oder zumindest für etwas Ablenkung sorgen können?

Renate Opgen-Rhein-Kerkhoff erinnert sich noch gut an die erste Familie, die sie rund ein Jahr lang begleitet hatte. Sie gehört zu den rund 90 ehrenamtli­chen Mitarbeite­rn des Malteser-Hospizdien­stes Niederrhei­n, der von Goch über Uedem, Kleve, Kalkar, Sonsbeck, Xanten bis Moers im Einsatz ist. Die Menzelener­in unterstütz­t vor allem lebensverk­ürzend erkrankte Kinder und Jugendlich­e sowie deren Geschwiste­r.

Auch in der ersten Familie war ein sechsjähri­ges Kind so schwer erkrankt, dass es nicht mehr ansprechba­r war und letztlich gestorben ist. Da sich die Mutter selbst um die Intensivpf­lege kümmerte, war sie ebenfalls an das Haus gebunden und isoliert. „Sie konnte nicht rausgehen, um sich mit jemanden zu treffen oder zum Beispiel beim Yoga mal auf andere Gedanken zu kommen“, erzählt die 69-Jährige. Also war Renate Opgen-Rhein-Kerkhoff dort, um zuzuhören. Gemeinsam kamen die Frauen auf Handarbeit als Option, innerhalb der eigenen vier Wände etwas Kraftspend­endes zu tun. „Die Mutter ging in dieser Arbeit richtig auf“, sagt Renate OpgenRhein-Kerkhoff. „Mit der Zeit fertigte sie echte Kunstwerke an.“

Auf dem Sofa der Ehrenamtle­rin liegt ein ganzer Koffer mit Hilfsmitte­ln, um Kindern und Jugendlich­en neue Impulse zu geben. Ein Säckchen

voll Bohnen ist zum Beispiel darunter. „Immer wenn etwas Gutes am Tag passiert, steckt man sich eine Bohne in die Tasche“, erklärt die ehemalige Lehrerin. „Am Ende des Tages kann man die Bohnen wieder hervorhole­n und sich nochmals über die kleinen Geschenke des Lebens freuen.“Ein kleiner Rettungsri­ng ist in dem Koffer ebenfalls zu finden. „Für jedes der rot-weißen Streifen sollen die Kinder etwas benennen, das sie stärkt“, verdeutlic­ht Renate Opgen-Rhein-Kerkhoff.

Auch Rosemarie Kubitza hat so einen „Rettungsri­ng“, mit inzwischen zahlreiche­n Streifen: Die Gespräche mit den Mitarbeite­rinnen des Malteser-Hospizdien­stes sowie die Unterstütz­ung ihrer Familie bei der Pflege ihres Mannes sind zwei davon. Weitere sind die Erinnerung­en an gemeinsame glückliche Tage am Meer, der Strandkorb im Garten und die kleinen Deko-Leuchttürm­e im Bad, die sie an diese Tage zurückführ­en. Es sind die Momente, in denen Rosemarie Kubitza auf dem Gesicht ihres Mannes ein Lächeln erkennt, oder als zum Geburtstag des leidenscha­ftlichen Musikers einer seiner Chöre für ihn sang und Erwin Kubitza vor Freude zu weinen begann.

„Ich weiß, der Tag X wird kommen“, sagt Rosemarie Kubitza. Aktuell sei ihr Mann stabil, aber ein Großteil seiner Muskeln seien schon abgebaut. An Tag X wird Rosemarie Kubitza an Erwins Seite sitzen. Und sie weiß, sie wird ebenfalls Menschen an ihrer Seite haben.

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RP-FOTO: FISCHER Die Gespräche mit Martina Zimmer (l.) vom Malteser-Hospizdien­st helfen Rosemarie Kubitza, mit dem bevorstehe­nden Tod ihres Mannes umzugehen.

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