Rheinische Post - Xanten and Moers
Wer sehen will, muss die Augen schließen
Wir schließen die Lider, um besser nach innen spüren und hören zu können. Alles, was lebt, braucht Licht, aber ebenso die Dunkelheit.
In diesem Jahr nehme ich die Dunkelheit bewusster wahr. Energiesparen ist angesagt. Öffentliche Gebäude werden nicht angestrahlt. In meinem Haus gehe ich sparsamer mit der Zimmerbeleuchtung um. Alles, was lebt, braucht Licht, aber es bedarf auch der Dunkelheit. Ausreichende Nachtruhe ist ein Segen. Nur so ist man gerüstet für einen neuen Tag und bleibt gesund an Leib und Seele. Jeder Mensch kommt, wenn die Zeit gekommen ist, aus dem Dunkel der Gebärmutter in das Licht der Welt.
Der Maler Paul Gauguin hat einmal gesagt: Wer sehen will, muss die Augen schließen. Er hat dabei wohl weniger an Schlaf und Traum gedacht. Wie oft schließen wir die Augen, wenn wir eine Sache intensiver wahrnehmen wollen, eine Musik, die Sonne im Gesicht, manchmal auch einen Schmerz. Dann schließen wir die Lider, um besser nach innen spüren und hören zu können. Nicht die Augen vor der Welt zu verschließen ist gemeint, aber die Augen mitten in der Welt zu schließen, um für kurze Zeit mehr bei sich zu sein, in der eigenen Seelenkammer.
Im Evangelium des Matthäus, im sechsten Kapitel, finde ich einen ähnlichen Gedanken. Da lese ich: „Wenn du betest, gehe in deine Kammer und schließ die Tür zu; dann bete zu Gott, der im Verborgenen ist.“Ich denke, es geht nicht darum, die Tür vor der Welt zu verschließen, sondern in der Verborgenheit der persönlichen
Beziehung zu Gott die Gedanken und Gefühle, das Erlebte und Erlittene von Gott belichten zu lassen. Was sich daraus ergibt, liegt nicht in meiner Hand. Ich bleibe offen für das, was sich zeigt.
Alles Leben braucht Licht, aber nicht weniger braucht es auch die Dunkelheit. Geschlossene Augen sehen manchmal mehr. Vielleicht wecken die erzwungenen Dunkelheiten in der Energiekrise eine Sehnsucht nach Licht. Mit geschlossenen Augen neue Zukunft und Hoffnung spüren. Das wünsche ich im dunklen Januar und wenn die Tage langsam länger werden.