Rheinische Post - Xanten and Moers
Intrigen im Vatikan
Erzbischof Georg Gänswein, früherer Privatsekretär Benedikts XVI., offenbart in einem Buch das schwierige Verhältnis der zwei Päpste.
ROM Wer seinen Memoiren den Titel „Nichts als die Wahrheit“gibt, muss ziemlich überzeugt sein von der Gültigkeit der eigenen Wahrnehmung. Bei Georg Gänswein war das schon zu Zeiten der Fall, in denen er Privatsekretär von Joseph Ratzinger war, als dieser Präfekt der Glaubenskongregation, dann Oberhaupt der katholischen Kirche und schließlich der erste emeritierte Papst der Welt war. Man kann Gänsweins Version der Wahrheit dennoch mit viel Gewinn lesen, schließlich war niemand in den vergangenen 20 Jahren so nah dran an Ratzinger, den sein wichtigster Gehilfe als „einen der größten Protagonisten der Geschichte des vergangenen Jahrhunderts“bezeichnet.
Man sollte es bei diesem spannenden Blick hinter die Vatikan-Kulissen aber auch nicht zu genau nehmen mit der Allgemeingültigkeit mancher Aussagen. Der Untertitel des nun auf Italienisch erschienenen und vom italienischen Journalisten Saverio Gaeta verfassten Buches ist treffender: „Mein Leben an der Seite Benedikts XVI.“. Für den deutschsprachigen Raum hat sich der Herder-Verlag die Rechte gesichert; das gut 300 Seiten lange Buch wird gerade übersetzt und soll Ende Februar erscheinen.
Der 66-jährige Erzbischof aus der Diözese Freiburg hat den Band in drei historische Abschnitte gegliedert: Ratzingers Zeit als Präfekt, als Papst und als Emeritus. Die spannendsten Schilderungen sind diejenigen aus dem Vatikan-Kloster Mater Ecclesiae, in das sich Benedikt XVI. mit „Don Ciorcio“, wie Ratzinger seinen Sekretär auf Italienisch mit deutschem Akzent angesprochen habe, nach seinem Rücktritt 2013 zurückzog.
Hier offenbart der Privatsekretär Details aus dem erst problemlosen, aber zum Ende immer komplizierteren Zusammenleben zweier Päpste im Vatikan, das auch von einer gegenseitigen menschlichen Abneigung zwischen Franziskus und Gänswein geprägt wurde. Bekanntlich beurlaubte Franziskus Gänswein 2020 als Präfekt des Päpstlichen Hauses. Grund war die Veröffentlichung eines Aufsatzes von Benedikt XVI. zur Verteidigung des Pflichtzölibats. Die Frage hatte Franziskus mit der Amazonassynode auf die Tagesordnung gebracht, durch Benedikts Nein waren ihm die Hände gebunden.
Gänswein wurde 2003 vom damaligen Präfekten der Glaubenskongregation als Sekretär engagiert. Dem Buch zufolge gingen beide Männer von einer kurzen Zusammenarbeit aus, weil Ratzinger sich spätestens 2005 nur noch seiner Wissenschaft widmen wollte. Es kam anders, der Bayer wurde Papst, der Badener Gänswein sah sich als „Schneepflug“, der dem Pontifex alle Hindernisse und unliebsame Termine aus dem Weg räumen wollte. „Ich weiß, dass ich viele Menschen verärgert habe“, schreibt Gänswein.
Überhaupt ist recht viel von den unheiligen Niederungen menschlicher Empfindungen im Buch die Rede, etwa von der angeblichen Eifersucht
des früheren Privatsekretärs Ratzingers, Josef Clemens, auf Gänswein, oder von der resolut auftretenden früheren Haushälterin Ingrid Stampa. So heilig Gänswein Benedikt XVI. beschreibt, so menschlich ging es im päpstlichen Haushalt mit Animositäten und Intrigen zu. Nachdem der päpstliche Kammerdiener Paolo Gabriele ab 2011 Dokumente von Gänsweins Schreibtisch kopierte, an die Presse gab und damit den VatileaksSkandal auslöste, wird sich Gänswein bewusst, dass nicht Benedikt, sondern er das eigentliche Ziel des
Angriffs ist. Gabriele, mit dem sich Gänswein kurz vor dessen Tod versöhnte, sei wahrscheinlich von Hinterleuten beeinflusst worden, mutmaßt der Erzbischof.
Faszinierend sind die Schilderungen aus den Tagen vor Benedikts historischem Rücktritt. Ein kleiner Kreis, auch Kardinäle wurden in die Jahrhundertentscheidung eingeweiht, keiner verriet den Plan. Mühsam suchten Experten die juristisch wasserdichte Rücktrittsformel auf Lateinisch. Seinen Status als emeritierter Papst hatte Benedikt im Detail durchdacht, aber die Konsequenzen
dieser Entscheidung nicht vorhergesehen. Das wird deutlich, wenn Gänswein das anfangs beinahe idyllische und vom Austausch von süßen Worten und Speisen geprägte Verhältnis von Benedikt zu Papst Franziskus beschreibt.
2021 war das Verhältnis bereits an seinem Tiefpunkt angekommen. Benedikt erfuhr aus der Vatikanzeitung „Osservatore Romano“, dass Franziskus seine 2007 gegebene Erlaubnis der Messfeier im alten Ritus kassiert hatte. Benedikt habe darin „einen eindeutigen Kurswechsel, den er für einen Fehler hielt“, gesehen. Auch schon in den ersten Amtsjahren von Franziskus gab es erste Ungereimtheiten. „Für Benedikts theologische Sensibilität klangen einige der Aussagen von Franziskus in ‚Evangelii Gaudium‘ besonders ungewöhnlich“, schreibt Gänswein. Entscheidungen von Franziskus rund um die Familiensynoden 2014 und 2015 hätten bei Benedikt „Sorge“, „Verwunderung“und „Verblüffung“ausgelöst. So viel zur offiziellen Behauptung, es passe kein Blatt zwischen beide Päpste.