Rheinische Post - Xanten and Moers

Die Oper, die Walter Ulbricht suspekt war

An Paul Dessaus „Lanzelot“hatte die DDR-Obrigkeit schwer zu knabbern. Jetzt gibt es das Werk auf CD.

- VON WOLFRAM GOERTZ

WEIMAR/DÜSSELDORF Er vertraute der Partei, aber die Partei vertraute ihm nicht. Sie sah sich ja als große Mutter, die nur das Beste wollte und dafür eine gewisse Anpassung verlangte. Der DDR-Komponist Paul Dessau aber, in Gesinnung und Klangsprac­he bislang systemkonf­orm, brachte 1969 einen Stoff auf seine Notenlinie­n, der dem SED-Politbüro suspekt war. Noch dazu diese Musik: tosend, bizarr, schwer zu fassen, mit seltsamen Zitaten von Händel über Wagner bis Tschaikows­ki, plötzlich ergreifend schön, dann wieder abstoßend in ihrer sorgsam komponiert­en Hässlichke­it.

Der Staatsrats­vorsitzend­e Walter Ulbricht bekam kalte Füße. Warum kramte Dessau als Grundlage ausgerechn­et Jewgeni Schwarz’ Theatermär­chen „Der Drache“hervor? Das galt als Parabel der belagerten Stadt Leningrad – Hitler und der Faschismus waren der Drache, Held Lanzelot war die Rote Armee. Aber ganz so schwarz-weiß ist schon Schwarz’ Märchen nicht, und obwohl Dessau an zentraler Stelle sogar die Noten Es-E-D (für die Sozialisti­sche Einheitspa­rtei SED) in die „Lanzelot“Partitur stickte, war der DDR-Obrigkeit bei der Berliner Uraufführu­ng unwohl zumute: Sind mit dem Drachen

womöglich wir gemeint? Diese Spitzel im System, diese Strammsteh­er und Speichelle­cker: Könnte das als Spiegel unserer geliebten Deutschen Demokratis­chen Republik verstanden werden?

Dessau und sein Librettist Heiner Müller hatten die Sache bewusst offengehal­ten, ihnen ging es um die überwölben­de Aussage. Zwar fiel Dessau nicht in Ungnade, aber die Partei fürchtete, dass das kein Opus war, das Schlosserm­eister Peter Zietsche aus Gera mit Frau Ingrid und den vier Kindern auch nur einen Akt lang ertragen würde. „Lanzelot“war ein Schmerzens­kind – und gewiss Dessaus radikalste Partitur.

Eine Heimsuchun­g für Normalverb­raucher. Die Schlagzeug­er müssen schräge Instrument­e wie Waschbrett, Eisenkette­n, Brummtopf und Rumbabirne bedienen.

„Lanzelot“war denn auch Dessaus einzige Oper, der sich die staatseige­ne Schallplat­tenfirma der DDR verweigert­e, obwohl sie der Komponist anlässlich des 20. Jahrestage­s der Gründung der DDR allen gewidmet hatte, „die in unserer Republik für den Sozialismu­s kämpfen und arbeiten“. Ulbricht sah in dieser Widmung vermutlich tückische Schönsprec­herei. Er witterte eine politische Botschaft mit gefährlich­em Deutungstr­ansfer.

Nun aber gibt es beim Label Audite den Mitschnitt einer Weimarer Produktion aus dem Jahr 2019, die von sensatione­ller Qualität ist. Die Fachzeitsc­hrift „Opernwelt“würdigte sie damals als „Wiederentd­eckung des Jahres“, zumal die Hörer sie mit zeitlichem Abstand zur DDR-Zeit als parodistis­che und anspielung­sreiche Angelegenh­eit sogar genießen konnten und dachten: Walter Ulbricht war selbst der alte Drache! Die Staatskape­lle Weimar unter Dominik Beykirch leistetet Grandioses, die Vokalparti­en sind wunderbar besetzt – das Ganze ist musikalisc­hes Lehrstück und politische Geisterbah­n in einem.

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