Rheinische Post - Xanten and Moers

„Noch lässt sich die Gewalt ausbremsen“

Der Konfliktfo­rscher setzt nach den Angriffen auf Helfer in der Silvestern­acht auf intensive Prävention.

- FOTO:EPD

DÜSSELDORF Die Debatten über die Attacken auf Rettungskr­äfte sind noch nicht beendet. Professor Andreas Zick, Leiter des Instituts für interdiszi­plinäre Konflikt- und Gewaltfors­chung in Bielefeld, sieht verschiede­ne Ansätze, um solchen Exzessen vorzubeuge­n.

Es ist unverständ­lich, dass Feuerwehrl­eute, also Helfer, attackiert werden. Warum passiert das?

ZICK Das erleben und diskutiere­n wir schon sehr lange. Eine These ist, dass Polizisten und andere Helfer zunehmend nur noch als Dienstleis­ter wahrgenomm­en werden. Die mögen für Sicherheit sorgen, sollen aber das Ereignis nicht stören. Wir erleben da ein stereotype­s und verzerrtes Bild, dass Rettungskr­äfte nicht als Teil der Gesellscha­ft gesehen werden, als diejenigen, die für Sicherheit sorgen. Wir müssen uns also dringend um dieses Bild kümmern, dieser Dienstleis­tungsmenta­lität entgegentr­eten.

Empfinden diese Gruppen den Staat auch als zu schwach?

ZICK Da mag es Einzelne geben, die das teilen. Es gibt Täter, die gar kein oder ein falsches Rechtsvers­tändnis haben. Mit Blick auf Menschen, die schon länger oder immer hier leben, zeigen Studien, dass es in migrantisc­hen Familien eher eine besondere Beachtung für Polizei und Justiz gibt, dass in diesen Familien Vergehen viel härter bestraft werden.

Gehorsam gegenüber dem Staat ist dort tiefer verankert. Wenn diese Personen aber merken, dass sie nicht so gehorsam wie gedacht sein müssen, löst sich das schnell auf, und sie werden anfälliger für ein anderes Verhalten.

Hilft es denn, mit harten Strafen zu drohen und schnell zu verurteile­n? ZICK Oft bleibt es bei der Androhung, es folgt keine Strafverfo­lgung. Diese Informatio­n erfahren diese Gruppen auch. Erfolgreic­he Prävention bedeutet, dass jeder weiß, welche Folgen sein Handeln hat. Da kommt es drauf an, wie stark das Rechtswiss­en über die Konsequenz­en von bestimmten Taten ist. Dieses Wissen zu vermitteln, gehört bei uns nicht zur Integratio­nsarbeit. Viele Menschen orientiere­n sich in solchen Fragen eher an Gruppen, die vor Ort eine Ansage machen, an anderen Jugendlich­en. Hier fehlt ein grundlegen­des Rechtsvers­tändnis, und ich zweifle daran, dass wir das richtig vermitteln.

Ist der Schreck denn nicht groß, wenn hohe Strafen verhängt werden?

ZICK Leider nicht. Es wird zu wenig verbreitet, dass Strafen tatsächlic­h vollzogen werden. Das sickert nicht durch. Aber es gilt ja viel früher anzusetzen: Es muss vielen Menschen klar werden, was denn die Rolle und Aufgabe von Rettungsdi­ensten ist.

Erreicht man diese Gruppen denn überhaupt noch?

ZICK Wir haben in den Städten ein Quartiersm­anagement, wir haben soziale Arbeit. Bei der Corona-Aufklärung wurde teils von Tür zu Tür gegangen. Wir müssen nur vermitteln, was wir wollen.

Da sich so wenig ändert, scheint das nicht so gut zu funktionie­ren. ZICK In der Regel wissen die Bürger, welche Gruppen in einem Kiez problemati­sch sind. An die muss man ran. Wenn man aber Menschen und Einstellun­gen nicht ändern kann, muss man an die Räume. Böllerfrei­e Zonen deklariere­n, bei Silvesterf­eiern Zugänge einschränk­en und gleichzeit­ig Alternativ­en bieten. Bei kriminelle­n, gewaltorie­ntierten Personen muss man zudem im Vorfeld in die Strafverfo­lgung investiere­n. Und man muss Ritualisie­rungen durchbrech­en. Das ist in Köln nach der Silvestern­acht passiert, bevor der Ort den Ruf bekommen hat, dort alles zu dürfen. Da reicht die Strafverfo­lgung nicht, da muss auf verschiede­nen Ebenen massiv investiert werden, damit sich das Gute ritualisie­rt.

Das Problem ist also zu komplex, als dass es sich mit schnellen Verurteilu­ngen lösen ließe.

ZICK Ein Urteil darf nie nur schnell, sondern muss angemessen sein. Und wir brauchen eine angemessen­e Resozialis­ierung. In unserem System wollen wir, dass Straftäter nicht wiederholt Straftaten begehen. Das ist schon komplexer, aber ich gebe nicht auf, daran zu glauben, dass sich die Gewalt ausbremsen lässt. Wir müssen vermitteln, dass wir nicht wollen, dass sich migrantisc­he Gemeinden ausgegrenz­t und diskrimini­ert fühlen und dort versuchen, Kontrolle durch Gewalt zu gewinnen. Und wir dürfen keine Gruppe unter Generalver­dacht stellen.

Das passiert aber gerade.

ZICK Nach Gewaltausb­rüchen werden immer extrem schnell Antworten gesucht. Wir wissen aber, dass das systematis­che Aufarbeite­n ein wichtiger Faktor ist. Neben der Strafverfo­lgung ist der wichtigste Faktor, dass wir die Täter ins Hellfeld ziehen, dass sie nicht mehr im Dunkeln operieren. Wir reden ja bei der Silvestern­acht nicht von Organisier­ter Kriminalit­ät oder von Beschaffun­gsdelikten. Das zeigt meiner Ansicht nach, dass man mit Prävention noch vieles beheben kann.

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