Rheinische Post - Xanten and Moers
Ärzte wollen Mandel-OPs verweigern
Die Verbände der Hals-Nasen-Ohren-Ärzte rufen zur Aussetzung von Operationen – auch der Polypen – bei Kindern auf. Minister Laumann warnt: Es sei inakzeptabel, einen Honorarstreit auf dem Rücken der Patienten auszutragen.
DÜSSELDORF Für Familien ist es ein Schlag: Kinder, denen eigentlich Polypen oder Mandeln entfernt werden müssen, sollen vorerst nicht mehr operiert werden. Die Verbände der Hals-Nasen-Ohren-Ärzte rufen im Streit um Geld zur Aussetzung der Operationen auf. „Bis zu einer deutlich verbesserten Bezahlung durch die Krankenkassen sollen ab sofort bundesweit keine neuen Termine für Mandeloperationen bei Kindern vergeben werden“, teilten der Deutsche Berufsverband der Hals-Nasen-Ohren-Ärzte (BVHNO) und die Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Chirurgie (DGHNO) mit.
Welche Eingriffe werden bestreikt? Es geht um die Adenotomie mit Paukenröhrchen, bei der die Rachenmandel (Polypen) entfernt und die Belüftung des Mittelohrs verbessert wird, sowie um die Tonsillotomie, die Teilentfernung der Gaumenmandel. Beide Eingriffe werden in der Regel bei Kindern zwischen dem zweiten und achten Lebensjahr vorgenommen. „Adenotomie und
Tonsillotomie sind wichtige Operationen bei Kindern mit vergrößerten Mandeln“, sagt DGHNO-Präsident Orlando Guntinas-Lichius. Die Vergrößerung führe zu Atem- und Schlafstörung und verschlechterter die Belüftung der Ohren, was zu Hörminderung oder Mittelohrentzündung führen könne.
Wie begründen Ärzte ihren Streik? „Durch die jahrelange Unterfinanzierung des ambulanten Operierens ist es zu einem eklatanten Versorgungsnotstand mit monatelangen Wartezeiten auf dringend benötigte Operationen bei kleinen Kindern gekommen. Die jüngste Kürzung der gesetzlichen Krankenversicherung hat das Fass zum Überlaufen gebracht“, sagten Guntinas-Lichius sowie BVHNO-Präsident Jan Löhler. Es bleibe den Ärzten nichts anderes übrig, als mit einem Aussetzen der Operationen auf die Lage aufmerksam zu machen. „Wir erwarten eine hohe Beteiligung der Kolleginnen und Kollegen an der Aktion.“Viele Operateure in OP-Zentren und Kliniken hätten bereits die Eingriffe aus ihrem Leistungsspektrum gestrichen.
Worum geht es bei dem Streik? Um ein paar Euro, so der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV ). „Im Zuge der mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV ) vorgenommenen Neukalkulation von ambulanten Operationen ist es zu einer Verschiebung der Vergütungsanteile gekommen. Bei größeren ambulanten Operationen wird nun mehr Aufwand veranschlagt, für kleinere Operationen etwas weniger. Konkret bedeutet dies, dass sich für eine Adenotomie die Vergütung von 111 Euro auf 107 Euro verringert hat.“Bei längeren Operationen, wie der plastischen Korrektur der Nasenscheidewand, hat sich die Vergütung dagegen von 261 Euro auf 304 Euro erhöht. „Es ist empörend, dass einige Ärzteverbände nicht einmal vor Drohungen gegen die Gesundheit von Kindern haltmachen. Wer wegen vier Euro Honorar offen dazu auffordert, kranke Kinder nicht zu behandeln, stellt offenkundig Geld über Gesundheit“, kritisiert der GKV. Selbst die KBV weist in einem Brief an die HNO-Verbände darauf hin, dass die Ärzte unterm Strich nun 2,3 Prozent mehr verdienen.
Dürfen Ärzte Operationen aussetzen? Nein. Das Bundesgesundheitsministerium fordert die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) auf zu handeln. „Verweigert ein Vertragsarzt eine notwendige Behandlung mit dem Verweis auf eine zu geringe Vergütung, stellt dies einen Verstoß gegen die vertragsärztlichen Pflichten dar. In diesem Fall ist es Aufgabe der zuständigen KV, den Vertragsarzt zur Einhaltung der Pflichten anzuhalten“, sagte der Sprecher von Karl Lauterbach (SPD). Hierfür stünden verschiedene Disziplinarmaßnahmen zur Verfügung. Die KV Nordrhein ist wachsam: „Uns liegen bislang keine Hinweise vor, dass es in hiesigen HNO-Praxen zu entsprechenden Konstellationen gekommen wäre. Etwaigen Beobachtungen und Angaben von Patienten aus dem Rheinland würden wir nachgehen“, erklärte der KV-Sprecher. Das NRW-Gesundheitsministerium warnt die Ärzte: „Die Neukalkulation der Vergütung wurde von der KBV mitgetragen. Auch vor diesem Hintergrund ist es nicht akzeptabel, wenn ein Streit über die Höhe der Vergütung auf dem Rücken der Patientinnen und Patienten ausgetragen wird. Dies gilt insbesondere dann, wenn es sich um die Gesundheit von Kindern handelt“, sagte die Sprecherin von Karl-Josef Laumann (CDU).
Wie lange wird der Streik dauern? Der Aufruf, keine Operationstermine mehr zu vergeben, soll so lange gelten, bis es eine Zusage für eine deutliche Anhebung der Bezahlung gebe, kündigen die Ärzteverbände an. Privatpatienten sollen dagegen weiterhin operiert werden.