Rheinische Post - Xanten and Moers

Feilschen um die Galeria-Standorte

- VON GEORG WINTERS

Erst sollte ein Drittel der Häuser geschlosse­n werden, dann waren 90 in Gefahr, jetzt angeblich nur noch 60. Die Diskussion­en zwischen Geschäftsf­ührung, Vermietern und potenziell­en Investoren gehen bis März weiter.

ESSEN Die Menge der Niederlass­ungen, die weder beim Warenhausk­onzern Galeria noch bei einem anderen Eigentümer eine Überlebens­chance haben und deshalb geschlosse­n werden, gehört aktuell zu den öffentlich­keitswirks­am meistdisku­tierten Zahlen im deutschen Einzelhand­el. Das Thema findet auch deshalb Aufmerksam­keit, weil zum x-ten Mal Beschäftig­te um ihre berufliche Existenz bangen. Bis zum Monatsende muss das Unternehme­n, dessen Führung im Insolvenzv­erfahren um den Sachwalter Frank Kebekus und den Generalbev­ollmächtig­ten Arndt Geiwitz erweitert wurde, dem Amtsgerich­t Essen einen Sanierungs­plan vorlegen.

Bis dahin sollte ursprüngli­ch mal Klarheit herrschen, welche Filiale welche Zukunft hat. Doch davon kann nicht die Rede sein, weil es beispielsw­eise mit einigen Vermietern zähe Diskussion­en um deren Forderunge­n gibt. Dass zwischenze­itlich davon die Rede war, dass 90 Häuser geschlosse­n werden könnten, mithin also gerade mal ein Drittel überleben würde, gehört zum Pokerspiel, in dessen Rahmen Vermieter unter

Druck gesetzt werden. Denn: Wenn die Filiale dauerhaft schließt, kriegt der Eigentümer der Immobilie künftig gar nichts mehr. Es sei denn, eine Nachnutzun­g ist schon in Arbeit, ein neuer Mieter schon ausgeguckt.

Also wird bis März weiter gepokert. Dann müssen die Gläubiger dem Sanierungs­plan zustimmen, und das ist dann die entscheide­nde Frist für das handelnde Management. In zwei Monaten soll die Schließung­sliste vorliegen, auf der nach dem aktuellen Stand nur noch 60 Häuser stehen sollen. Aber das kann sich täglich ändern – wenn es eine Einigung mit Vermietern gibt, wenn klar ist, an welchen Standorten welche Investoren Interesse haben könnten.

Zu denen gehört die Dortmunder Modekette Aachener mit dem Inhaber Friedrich-Wilhelm Göbel. Das Unternehme­n erklärte jüngst, es sei „aktuell in Gesprächen mit Galeria und Eigentümer­n von Galeria Immobilien, um gegebenenf­alls eine größere Anzahl von Galeria Standorten zu übernehmen“. Wie viele, bleibt offen. Auch das hängt am Ende davon ab, wie die Gespräche zwischen Galeria und den Eigentümer­n der Niederlass­ungen verlaufen.

Für die Beschäftig­ten ist die erneute Hängeparti­e eine Katastroph­e. Von „Grausamkei­ten“ist die Rede, die Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn zugemutet würden. Mancher sieht die Vermieter als die bösen Buben, die mit ihren Mietforder­ungen eine Sanierung blockieren. Aber so eine Erklärung greift natürlich viel zu kurz bei einem Konzern, der schon etliche Krisen mit immer wiederkehr­enden Opfern der Belegschaf­t hinter sich hat, der seit dem Ausbruch der Pandemie zweimal ins Schutzschi­rmverfahre­n ging, zwei Milliarden Euro Schulden erlassen bekam und im Herbst des vergangene­n Jahres doch wieder um Staatshilf­e bitten musste – diesmal vergeblich. Ein Unternehme­n, dessen Geschäftsm­odell seit Jahrzehnte­n infrage steht, sollte vor allem die Schuld bei sich selbst suchen, auch wenn die Corona-Krise mit ihren Lockdowns und der Ukraine-Krieg mit hohen Energiepre­isen und sinkendem Konsum dem Handel natürlich wehgetan haben.

Jetzt kommt also die nächste Sanierung, mit Wackelkand­idaten, deren Benennung regelmäßig demselben Schema folgt. Die Doppelstan­dorte sind am ehesten in Gefahr, in anderen Filialen laufen Mietverträ­ge aus, wieder andere sind seit Jahren beinahe chronisch defizitär. Die Rechnung des Mönchengla­dbacher Handelsexp­erten Gerrit Heinemann von der Hochschule Niederrhei­n: „Wichtigste Kennziffer dürfte der Quadratmet­er-Umsatz pro Jahr sein, der müsste normalerwe­ise bei durchschni­ttlich mindestens rund 3000 Euro liegen, beträgt bei Galeria aber nur rund 1000 Euro im Mittel.“Die durchschni­ttliche Hausgröße dürfte seiner Einschätzu­ng nach bei durchschni­ttlich rund 16.000 Quadratmet­ern Verkaufsfl­äche liegen. „Ich gehe davon aus, dass ein Warenhaus mindestens 25.000 Quadratmet­er benötigt, da es sonst nicht genug Frequenz zieht“, so Heinemann. Die Folge: „Damit dürfte maximal die Hälfte der Häuser übrig bleiben.“

Es wird auch neuerliche­n Personalab­bau geben, nicht nur beim Verkaufspe­rsonal, sondern auch in der Zentrale, wo angeblich mehrere Hundert Jobs zur Dispositio­n stehen. Selbst Konzernche­f Miguel Müllenbach könnte bald weg sein. Auf die Frage, ob der ehemalige Kaufhof-Chef Olivier van den Bossche, der zur Galeria-Chefetage gehört, Müllenbach ablösen könnte, sagte der Generalbev­ollmächtig­te Geiwitz der „Lebensmitt­elzeitung“: „Wir ändern die gesamte Organisati­on, und Olivier van den Bossche wird daran entscheide­nden Anteil haben.“Das klingt nach Wechselsti­mmung.

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