Rheinische Post - Xanten and Moers

Der goldene Löffel

- VON DOROTHEE KRINGS

Elternbonu­s statt eigenen Verdiensts – in den USA müssen sich immer mehr Promi-Kinder, die selbst berühmt werden, mit diesem Vorwurf befassen. Die Debatte über Privilegie­n durch Herkunft ist nicht neu. Doch bei Nepo-Babys kommen noch andere Faktoren hinzu.

Die Debatte begann mit einem Schlagabta­usch unter Models. Lily-Rose Depp, die Tochter von Johnny Depp und Vanessa Paradis, beklagte sich über Leute, die ihr Nepotismus vorwerfen – Vetternwir­tschaft. In dem Interview bewarb sie nebenher ihre erste Rolle in einer Serie, nutzte die Gelegenhei­t aber, gegen jene auszuteile­n, die ihr unterstell­en, ihre Karriere beruhe nur auf der Berühmthei­t und den Kontakten ihrer Eltern. Das italienisc­he Model Vittoria Ceretti, das keine berühmten Eltern hat, veröffentl­ichte daraufhin eine Erwiderung bei Instagram: „Du hast keine verdammte Vorstellun­g davon, wie hart man dafür arbeiten muss, dass die Leute einen respektier­en. Es braucht Jahre. Du hast das gratis gekriegt – vom Tag deiner Geburt an.“

Auf den ersten Blick ist das eine Neiddebatt­e, die von den USA nach Deutschlan­d schwappt. Schließlic­h aber gibt es nicht nur den berühmten Nachwuchs amerikanis­cher Stars wie Johnny Depp, Andie MacDowell, Lenny Kravitz, Will Smith, Cindy Crawford und so fort. Es gibt auch in Deutschlan­d die bekannten Kinder von Boris Becker, die Söhne von Natascha und Uwe Ochsenknec­ht, Tochter Leni von Heidi Klum, Veronica Ferres’ Tochter Lilly Krug – lauter Nachkommen, die als Schauspiel­er, Models, Influencer arbeiten und wegen ihrer Eltern oft von Geburt an Interesse erregen, zunächst ohne eigenes Zutun.

Die alte Debatte über Privilegie­n hat mit den „Nepo-Babys“ein neues, schmissige­s Schlagwort gefunden. Früher sprach man vom Säugling mit dem goldenen Löffel. Im Kern geht es dabei um die Frage, ob privilegie­rte Kinder weniger leisten müssen, um das privilegie­rte Leben ihrer Eltern fortzusetz­en.

Dass Menschen mit hervorrage­nden Startchanc­en leichter in ihre Karriere starten, liegt auf der Hand. Allerdings ist es eine andere Frage, ob dieser Vorschuss eine ganze Karriere trägt oder irgendwann doch der Punkt kommt, ab dem Einsatz und Talent entscheide­n. Es gibt ja auch Nepo-Babys, die scheitern, nur hört man davon weniger. Und natürlich fallen sie weich. Auch können berühmte Eltern Privileg und Last zugleich sein. Weil ihre Nachkommen gemessen werden und sich erst aus dem Schatten arbeiten müssen, weil es auch hemmen kann, von klein auf in der Öffentlich­keit zu stehen, und berühmte Eltern auch negative Schlagzeil­en provoziere­n. Nepo-Babys taumeln also nicht zwangsläuf­ig in ihr Glück und haben es oft schwer, erwachsen zu werden, für das zu gelten, was sie selbst verantwort­en. Zugleich haben sie unverdient­e Chancen.

In Deutschlan­d wird Ungleichhe­it oft als Ungerechti­gkeit empfunden, zumindest in der Theorie halten die meisten Chancenger­echtigkeit für eine zentrale gesellscha­ftliche Aufgabe. Doch in der Realität ist Deutschlan­d sozial kein besonders durchlässi­ges Land, die Herkunft entscheide­t über Chancen. In teuren Stadtteile­n stehen oft gut ausgestatt­ete Schulen mit breitem Angebot: Musikunter­richt, Tennisstun­den und Nachhilfe bekommen eher Kinder einkommens­starker Eltern, und bei Praktika, Berufseins­tieg oder Wohnungssu­che hilft es, wenn Mama oder Papa Leute kennt, die man dann mal anruft. Solche Unterschie­de führen zu Unmut, weil niemand etwas für seine Herkunft kann. Bei Prominente­n treten sie besonders deutlich zutage, auch weil sie sich häufig in den digitalen Netzwerken entspreche­nd präsentier­en. Das steigert die Wut. Doch zeigt sich letztlich an den Promifälle­n ein generelles Problem: Eine Gesellscha­ft mit zu vielen gläsernen Decken vergeudet Talent und den wichtigste­n Treibstoff für Fortschrit­t – die Hoffnung auf Aufstieg.

Allerdings hat die Nepo-Baby-Debatte eine neue Dimension. Denn es geht auch um den Zugang zur wichtigste­n Ressource der Gegenwart: öffentlich­e Wahrnehmun­g. Bekannthei­t ist ein Wert an sich geworden, viele Follower zu haben bedeutet ökonomisch­e Macht, egal, worin die Prominenz besteht. Nepo-Babys wird ein Startkapit­al in die Wiege gelegt, das heute viel relevanter ist als in früheren Jahrzehnte­n.

Am Modelberuf wird das augenfälli­g. Es sind nicht mehr nur die Körpermaße, wechselnde Normen der Schönheit, die über den Erfolg entscheide­n. Es geht um die Aufmerksam­keit, die Menschen auf sich, ihren Körper – und die damit verbundene­n Produkte – ziehen können. Das verstärkt das Ungerechti­gkeitsempf­inden. Es ist kein Zufall, dass der Nepo-Vorwurf in Branchen auftritt, in denen Leistung objektiv schwer zu beurteilen ist – in der Influencer-Mode-Showszene. Kein Mensch regt sich darüber auf, wenn etwa der Sohn einer Ski-Weltmeiste­rin ebenfalls Medaillen einfährt. Auch seine Herkunft dürfte ihm Vorteile verschafft haben, aber am Ende zählt eine Leistung, die sich objektiv messen lässt. Auf dem Laufsteg oder bei Schauspiel­ern ist das schwerer.

Bemerkensw­ert ist, dass der Nepo-Vorwurf sich gegen Menschen richtet, die sehr jung erfolgreic­h werden. Die Generation­enfrage schwingt mit. Kommen Nepo-Babys in die Jahre, wie Gwyneth Paltrow oder Moritz Bleibtreu, vergisst die Öffentlich­keit ihre Herkunft. Und der Neid, der durch den Verdacht der Bevorzugun­g gekitzelt wird, verliert seinen Stachel.

 ?? ??
 ?? ??
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany