Rheinische Post - Xanten and Moers
Der goldene Löffel
Elternbonus statt eigenen Verdiensts – in den USA müssen sich immer mehr Promi-Kinder, die selbst berühmt werden, mit diesem Vorwurf befassen. Die Debatte über Privilegien durch Herkunft ist nicht neu. Doch bei Nepo-Babys kommen noch andere Faktoren hinzu.
Die Debatte begann mit einem Schlagabtausch unter Models. Lily-Rose Depp, die Tochter von Johnny Depp und Vanessa Paradis, beklagte sich über Leute, die ihr Nepotismus vorwerfen – Vetternwirtschaft. In dem Interview bewarb sie nebenher ihre erste Rolle in einer Serie, nutzte die Gelegenheit aber, gegen jene auszuteilen, die ihr unterstellen, ihre Karriere beruhe nur auf der Berühmtheit und den Kontakten ihrer Eltern. Das italienische Model Vittoria Ceretti, das keine berühmten Eltern hat, veröffentlichte daraufhin eine Erwiderung bei Instagram: „Du hast keine verdammte Vorstellung davon, wie hart man dafür arbeiten muss, dass die Leute einen respektieren. Es braucht Jahre. Du hast das gratis gekriegt – vom Tag deiner Geburt an.“
Auf den ersten Blick ist das eine Neiddebatte, die von den USA nach Deutschland schwappt. Schließlich aber gibt es nicht nur den berühmten Nachwuchs amerikanischer Stars wie Johnny Depp, Andie MacDowell, Lenny Kravitz, Will Smith, Cindy Crawford und so fort. Es gibt auch in Deutschland die bekannten Kinder von Boris Becker, die Söhne von Natascha und Uwe Ochsenknecht, Tochter Leni von Heidi Klum, Veronica Ferres’ Tochter Lilly Krug – lauter Nachkommen, die als Schauspieler, Models, Influencer arbeiten und wegen ihrer Eltern oft von Geburt an Interesse erregen, zunächst ohne eigenes Zutun.
Die alte Debatte über Privilegien hat mit den „Nepo-Babys“ein neues, schmissiges Schlagwort gefunden. Früher sprach man vom Säugling mit dem goldenen Löffel. Im Kern geht es dabei um die Frage, ob privilegierte Kinder weniger leisten müssen, um das privilegierte Leben ihrer Eltern fortzusetzen.
Dass Menschen mit hervorragenden Startchancen leichter in ihre Karriere starten, liegt auf der Hand. Allerdings ist es eine andere Frage, ob dieser Vorschuss eine ganze Karriere trägt oder irgendwann doch der Punkt kommt, ab dem Einsatz und Talent entscheiden. Es gibt ja auch Nepo-Babys, die scheitern, nur hört man davon weniger. Und natürlich fallen sie weich. Auch können berühmte Eltern Privileg und Last zugleich sein. Weil ihre Nachkommen gemessen werden und sich erst aus dem Schatten arbeiten müssen, weil es auch hemmen kann, von klein auf in der Öffentlichkeit zu stehen, und berühmte Eltern auch negative Schlagzeilen provozieren. Nepo-Babys taumeln also nicht zwangsläufig in ihr Glück und haben es oft schwer, erwachsen zu werden, für das zu gelten, was sie selbst verantworten. Zugleich haben sie unverdiente Chancen.
In Deutschland wird Ungleichheit oft als Ungerechtigkeit empfunden, zumindest in der Theorie halten die meisten Chancengerechtigkeit für eine zentrale gesellschaftliche Aufgabe. Doch in der Realität ist Deutschland sozial kein besonders durchlässiges Land, die Herkunft entscheidet über Chancen. In teuren Stadtteilen stehen oft gut ausgestattete Schulen mit breitem Angebot: Musikunterricht, Tennisstunden und Nachhilfe bekommen eher Kinder einkommensstarker Eltern, und bei Praktika, Berufseinstieg oder Wohnungssuche hilft es, wenn Mama oder Papa Leute kennt, die man dann mal anruft. Solche Unterschiede führen zu Unmut, weil niemand etwas für seine Herkunft kann. Bei Prominenten treten sie besonders deutlich zutage, auch weil sie sich häufig in den digitalen Netzwerken entsprechend präsentieren. Das steigert die Wut. Doch zeigt sich letztlich an den Promifällen ein generelles Problem: Eine Gesellschaft mit zu vielen gläsernen Decken vergeudet Talent und den wichtigsten Treibstoff für Fortschritt – die Hoffnung auf Aufstieg.
Allerdings hat die Nepo-Baby-Debatte eine neue Dimension. Denn es geht auch um den Zugang zur wichtigsten Ressource der Gegenwart: öffentliche Wahrnehmung. Bekanntheit ist ein Wert an sich geworden, viele Follower zu haben bedeutet ökonomische Macht, egal, worin die Prominenz besteht. Nepo-Babys wird ein Startkapital in die Wiege gelegt, das heute viel relevanter ist als in früheren Jahrzehnten.
Am Modelberuf wird das augenfällig. Es sind nicht mehr nur die Körpermaße, wechselnde Normen der Schönheit, die über den Erfolg entscheiden. Es geht um die Aufmerksamkeit, die Menschen auf sich, ihren Körper – und die damit verbundenen Produkte – ziehen können. Das verstärkt das Ungerechtigkeitsempfinden. Es ist kein Zufall, dass der Nepo-Vorwurf in Branchen auftritt, in denen Leistung objektiv schwer zu beurteilen ist – in der Influencer-Mode-Showszene. Kein Mensch regt sich darüber auf, wenn etwa der Sohn einer Ski-Weltmeisterin ebenfalls Medaillen einfährt. Auch seine Herkunft dürfte ihm Vorteile verschafft haben, aber am Ende zählt eine Leistung, die sich objektiv messen lässt. Auf dem Laufsteg oder bei Schauspielern ist das schwerer.
Bemerkenswert ist, dass der Nepo-Vorwurf sich gegen Menschen richtet, die sehr jung erfolgreich werden. Die Generationenfrage schwingt mit. Kommen Nepo-Babys in die Jahre, wie Gwyneth Paltrow oder Moritz Bleibtreu, vergisst die Öffentlichkeit ihre Herkunft. Und der Neid, der durch den Verdacht der Bevorzugung gekitzelt wird, verliert seinen Stachel.