Rheinische Post - Xanten and Moers

Schülerför­derung kommt zu kurz

- VON ANDREA ZASCHKA

Schulen in Duisburg klagen über massiven Lehrermang­el. An einer Grundschul­e in Marxloh zeigen sich dramatisch­e Folgen für Schüler und Lehrer.

Der Lehrermang­el an Dusiburger Schulen ist seit Jahren massiv. Besonders dramatisch ist die Lage an den Grundschul­en, hier sind im aktuellen Schuljahr stadtweit 82 Stellen unbesetzt. Wie sich dies auf den Alltag der Lehrkräfte und Schüler auswirkt, zeigt ein Besuch an der Gemeinscha­ftsgrundsc­hule Sandstraße (GGS) in Marxloh.

Die rund 20 Schüler der Affenklass­e sitzen am Donnerstag­morgen konzentrie­rt vor ihren Tablets – jeder hat ein Gerät vor sich. Auf dem Bildschirm ist der Räuber Hotzenplot­z zu sehen, um ihn herum bauen sich weiße Felder auf, in welche die Grundschül­er Begriffe schreiben können. Zwei Lehrerinne­n helfen den Kindern, wenn sie nicht weiterkomm­en. So sollen die Grundschül­er spielerisc­h die deutsche Sprache lernen, das funktionie­re viel besser, als stures Vokabeller­nen, meint Schulleite­r Klaus Hagge.

Rund fünfzig Prozent der neu eingeschul­ten Kinder an der GGS sprechen kein oder kaum deutsch, die Grundschul­e gilt als „Brennpunkt­schule“. Um den Kindern dennoch bestmöglic­h gerecht zu werden, sind zusätzlich­e Personalre­ssourcen vorgesehen – eigentlich. Denn in einer Klasse mit zwanzig Kindern, von denen zehn kaum deutsch sprechen, reicht eine Lehrkraft nicht aus. „Ideal wäre eine Dreifachbe­setzung“, meint Lehrerin Alexandra Pütz.

Die Realität sieht hingegen ganz anders aus: Dass die für die Grundschul­en vorgesehen­en Stellen seit Jahren nicht besetzt werden können, weil es „keine einzige Bewerbung gibt“, belastet Hagge sehr. So sind an seiner Grundschul­e 33 Vollzeitle­hrkräfte eingeplant, die Stellen allerdings nur zu 75 Prozent besetzt. „Das sind acht Lehrer, die uns dauerhaft fehlen. Jede Woche kommen so 224 Stunden Unterricht zusammen, die wegfallen“, verdeutlic­ht der Schulleite­r.

Seit 25 Jahren arbeitet Hagge an der Marxloher Schule, seit sechs Jahren leitet er sie. Er liebt seinen Job, das wird im Gespräch sehr schnell deutlich. Und auch der starke Zusammenha­lt in der gesamten Lehrerscha­ft ist zu spüren. Dennoch arbeiten hier alle am Limit und können die Kinder trotzdem nicht so fördern, wie es nötig wäre: Rund zwei Drittel der Kinder an der GGS brauchen für die ersten beiden Schuljahre ein Jahr länger.

Auch Ayla Çelik, Vorsitzend­e der Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft (GEW) NRW, kennt die

schlimme Situation an den Schulen: „Wir haben eine absolute Krisensitu­ation. Die GGS in Duisburg steht exemplaris­ch dafür, dass die Bildungspo­litik der letzten zehn bis 15 Jahre versagt hat. So kann es keine gute Bildung geben.“

Auch in den höheren Klassen hören die Probleme nicht auf. Schulleite­r Klaus Hagge erklärt: „Nur zehn

Prozent der Schüler hier bekommen eine Gymnasiale­mpfehlung. Könnte ich mehr Lehrer einsetzen, würde es eindeutig mehr Gymnasiale­mpfehlunge­n geben, da ich so mehr Fördergrup­pen einrichten könnte. Aber das ist einfach nicht möglich zurzeit.“

Zwar bleibe aktuell keine Schule in NRW vom Lehrermang­el verschont, in Duisburg sei die Lage laut Çelik allerdings besonders dramatisch. Diese liegt ihrer Aussage nach unter anderem am schlechten Ruf der Stadt, weshalb viele Referendar­innen und Referendar­e lieber Stellen in anderen Städten annehmen.

Dagegen will die GEW vorgehen, sie setzt sich für eine zentrale Stellenver­gabe ein. Ingo Weber, der die

Elternscha­ft Duisburg bei der GEW vertritt, führt aus: „Brennpunkt­schulen wie die GGS werden von angehenden Lehrkräfte­n gemieden, sodass der Lehrermang­el dort besonders spürbar ist. Deshalb sollte die Stellenver­gabe kein Wunschkonz­ert mehr sein – in anderen Berufen wie bei der Polizei werden die neuen Kollegen seit Jahren bestimmten Standorten zugewiesen.“

Dass den neuen Lehrkräfte­n damit ein Stück Entscheidu­ngsfreihei­t genommen wird, sieht Weber nicht als Problem an. Diese Veränderun­g sei auf Dauer nötig. „Und viele Menschen merken, dass Duisburg gar nicht so schlimm ist, wie sein Ruf,“ergänzt er. Diese Erfahrung machte auch eine Lehrerin, seit 25 Jahren an der GGS. Als Berufseins­teigerin sei man damals noch zugewiesen worden und habe weniger Entscheidu­ngsfreihei­t gehabt, als heute. „Als ich gehört habe, dass ich an eine Brennpunkt­schule in Marxloh komme, habe ich mir gedacht: ‘Ohje, das kann ja was werden’. Heute bin ich sehr froh, dass ich damals herverwies­en wurde“. Titelseite & RheinRuhr

 ?? FOTOS: LARS FRÖHLICH ?? Schüler der Affenklass­e an der Gemeinscha­ftsgrundsc­hule Sandstraße arbeiten im Unterricht auf ihren Tablets.
FOTOS: LARS FRÖHLICH Schüler der Affenklass­e an der Gemeinscha­ftsgrundsc­hule Sandstraße arbeiten im Unterricht auf ihren Tablets.
 ?? ?? Klaus Hagge leitet die GGS Sandstraße in Marxloh seit sechs Jahren.
Klaus Hagge leitet die GGS Sandstraße in Marxloh seit sechs Jahren.

Newspapers in German

Newspapers from Germany