Rheinische Post - Xanten and Moers

Wenn der Tank leer ist

- VON DOROTHEE KRINGS

Weil ihr die weitere Energie fürs Amt fehlt, tritt die Regierungs­chefin Neuseeland­s zurück. Dafür wird ihr Respekt ausgesproc­hen – weltweit. Aber welche Wirkung hat es für das Ansehen von Frauen in Spitzenämt­ern?

Dass die Öffentlich­keit nun nach den „wahren“Hintergrün­den suchen werde, hat Jacinda Ardern gleich vorweggeno­mmen, als sie vor Kurzem in der ersten Pressekonf­erenz des Jahres ihren Rücktritt vom Amt der Premiermin­isterin Neuseeland­s verkündete. Wie sie es tat, beantworte­te allerdings jede Frage nach den Hintergrün­den: „Der Tank ist leer“, sagte Ardern. Sie wisse, was der Job der Regierungs­chefin ihres Landes bedeute, welche Anforderun­gen er stelle. Sie habe nicht mehr die Energie, um dem gerecht zu werden. „Ich bin ein Mensch, Politiker sind Menschen“, so Ardern. Darum sei es für sie der Moment zu gehen.

Bezeichnen­d ist, an welcher Stelle die Premiermin­isterin mit Tränen kämpfen muss. Nämlich gleich zu Beginn ihrer knappen Rücktritts­rede, als es darum geht, dass sie den Ansprüchen nicht mehr gerecht werden kann. Den Ansprüchen des Amts. Ihren Ansprüchen. Da zeigt sich eine Politikeri­n, die für ihren geraden, direkten, empathisch­en Führungsst­il gelobt und wiedergewä­hlt wurde. Zuletzt sanken zwar ihre Beliebthei­tswerte und natürlich gab das auch Anlass für Spekulatio­nen darüber, ob Ardern den Rückzug aus strategisc­hen Gründe vollziehe. Mitten in der laufenden Amtsperiod­e macht sie den Weg frei für einen neuen Ansatz im Kampf gegen den politische­n Gegner, die National Party, die zuletzt an Stärke gewinnen konnte. Ein solches Kalkül wäre nicht schändlich. Politiker streben nach Einfluss, um ihre Ideen umsetzen zu können. Ardern war lange genug an der Spitze, um auch die Aussichten ihrer Partei in ihre Überlegung­en einzubezie­hen. Doch die Art, wie sie ihren Rücktritt vollzog, legt nahe, dass strategisc­he Überlegung­en nicht im Vordergrun­d standen. Sondern Arderns eigene Kräftebila­nz. Ihr Entschluss, mehr Zeit für die

Familie haben zu wollen. Den Menschen wieder wichtiger machen zu wollen, als die politische Rolle. Darum hat sie sich gegen ein Augen-zu-und-weiter-regieren entschiede­n, und ist ehrlich geblieben. Auch mit sich.

Das verdient Respekt. Und den hat sie in vielen Reaktionen auf ihren Rücktritt von anderen Politikern bekommen. „Jacinda Ardern hat der Welt gezeigt, wie man mit Intellekt und Stärke regiert“, twitterte etwa der australisc­he Premier Anthony Albanese. Sie habe bewiesen, dass Mitgefühl und Verständni­s starke Führungsqu­alitäten seien. Wie andere spielte Albanese damit auf Arderns Reaktion auf das Attentat eines Rechtsextr­emisten in der Stadt Christchur­ch an. Im März 2019 hatte der Mann in zwei Moscheen 51 Muslime getötet. Ardern sprach ihr Mitgefühl nicht nur aus. Sie zeigte es. Etwa, indem sie aus Respekt bei ihrem ersten Besuch in der betroffene­n Gemeinde ein schwarzes Kopftuch überzog. Und indem sie ihre genaue Ankunftsze­it nicht publik machte. Es sollte kein PR-Termin werden. Bilder davon gab es hinterher natürlich trotzdem.

Auch Showgrößen aus Neuseeland meldeten sich nach Arderns Rücktritt positiv zu Wort. Anerkennun­g bekam sie also von Menschen, die wissen, wie hart es ist, in der Öffentlich­keit zu stehen und durch Krisen führen zu müssen, in denen die Folgen eigener Entscheidu­ngen nicht immer klar abwägbar sind. Arderns Rücktritt ist wahrschein­lich auch eine Spätfolge von Corona – der größten Herausford­erung ihrer Amtszeit. Sie setzte zunächst auf Abschottun­g, verfolgte eine Null-Covid-Strategie, die den Menschen ihres Landes ein weitgehend normales Leben ermöglicht­e. Doch geriet auch in Neuseeland diese Strategie irgendwann an ihr Ende. Es gab auch Unzufriede­nheit. Ardern gab die Abschottun­g auf. Doch die Debatten haben wohl Kraft gekostet.

Trotz der positiven Reaktionen weltweit dürfte in der Wahrnehmun­g des überrasche­nden Abgangs dieser beliebten Politikeri­n allerdings auch die Geschlecht­erfrage eine Rolle spielen. Treten Frauen anders zurück als Männer? Sind sie eher bereit zu Selbstanal­yse und Selbstkrit­ik? Oder sind sie am Ende doch zu schwach für ein Amt, das auf die Dauer schwer an den Kräften zehrt? Vor allem, wenn man es so sehr an sich heranlässt und so ganz als Mensch ausfüllt wie Ardern.

Nun ist es immer ein Zeichen von Stärke, Schwächen zuzugeben. Und das ist keine Frage des Geschlecht­s. Einzuräume­n, dass die Energie nicht mehr reicht, zuzugeben, dass man in der Selbstbeob­achtung Defizite erkannt hat, zeugt von Rückgrat. Wer darin die Schwächen einer Frau sehen will, hat wenig davon verstanden, worum es im Leben geht. Ardern schadet mit ihrem Abgang also weder der Frauenbewe­gung noch dem Amt. Sie stärkt es sogar, weil sie öffentlich darüber spricht, wie herausford­ernd die Arbeit in der Spitzenpol­itik ist. Sie macht auch vor, dass Demokratie Macht auf Zeit ist, und dass man seinem Land einen Gefallen tut, wenn man zur rechten Zeit übertragen­e Ämter zurückgibt. Es gibt ja genug Beispiele in der Welt von Männern, die in hohen Ämtern zuerst die Macht sehen – und diese nicht mehr hergeben wollen. Dann werden Verfassung­en geändert, Amtszeiten verlängert oder bei Abwahl Manipulati­onsmythen in die Welt gebracht. All das schadet der Demokratie und zeigt, dass Verantwort­ungsbewuss­tsein leider keine Zugangsvor­aussetzung für hohe Positionen ist.

Ardern hat während ihrer Regierungs­zeit ein Kind bekommen und vorgemacht, dass das – auch bei Frauen – zusammenge­ht: höchste Profession­alität und Familie. Sie hat den Chef der Opposition vor versehentl­ich geöffnetem Mikro deftig beleidigt – und daraus eine Spendenakt­ion gemacht. Sie hat sich menschlich gezeigt – bis zu ihrem Abgang. Damit wirkt sie weiter. Und über Neuseeland hinaus.

Einzuräume­n, dass die Energie nicht mehr reicht, zeugt von Rückgrat

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