Rheinische Post - Xanten and Moers
Vom Atomfonds lernen
Rentenreform mit Aktien: Wird der Staat zum Spekulanten?
Die Kameras waren schon an, als sich Bundesfinanzminister Christian Lindner daran erinnerte, dass es in den nächsten 60 Minuten um die Chancen junger Menschen, sprich Generationengerechtigkeit, gehen sollte. Also schnell die Krawatte abgelegt, dann konnte es losgehen. Bewusst hatte er den Termin kurz vor die Ankündigung von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil gelegt, dass im gesetzlichen Rentensystem eine „Aktienrücklage“aufgebaut werden soll. Denn es war Lindners FDP, die dies in den Koalitionsvertrag der Ampel eingebracht hatte.
Losgehen soll es mit zehn Milliarden Euro in diesem Jahr. Die kommen nicht aus dem Bundeshaushalt, sondern sind Schulden, die der Finanzminister erst noch machen wird. Damit
MARGARET HECKEL wird es spannend: Der Staat wird zum Zocker. Oder zum vorausschauenden Investor. Je nach Sichtweise. Kern der Lindnerschen Idee ist ein „Zins-Differenzgeschäft“: Deutschland als vertrauenswürdiger Staat kann sich derzeit für rund zwei Prozent Zinsen Geld leihen und hofft, damit an den Finanzmärkten mindestens vier Prozent Rendite im jährlichen Schnitt einfahren zu können. Die Differenz wird investiert, später soll neues Kapital hinzukommen. Ab Mitte der 2030er-Jahre sollen die Erträge als „Generationenkapital“für Rentenzahlungen eingesetzt werden und die Jüngeren bei der Finanzierung der Umlage-Rente entlasten.
Wie das mit dem Investieren gehen soll, erklärte die neben Lindner sitzende Anja Mikus. Die Finanzexpertin ist seit fünf Jahren Chefin des Kenfo, der größten öffentlichen Stiftung des Landes. Dort haben die Atomkonzerne Milliarden für die Lagerung und Beseitigung des Atommülls eingezahlt. Mikus und ihr Team sollen die Gelder im Auftrag des Staates so mehren, dass bis 2100 alle Kosten damit gedeckt werden können. Bislang klappt das. 10,4 Prozent Rendite hat der Kenfo 2021 erwirtschaftet. Vom Atomfonds für die Rente zocken lernen: Ist das nun besonders clever? Oder besonders abgebrüht? Jetzt sind Sie dran: Wird der Staat zum Spekulanten? Oder eher doch zum enkeltauglichen Investor?
Unsere Autorin ist Publizistin in Berlin. Sie wechselt sich hier mit unserer Bürochefin Kerstin Münstermann und unseren beiden Hauptstadt-Korrespondenten Jan Drebes und Hagen Strauß ab.