Rheinische Post - Xanten and Moers

Aus dem Leben einer Steuerfahn­derin

- VON GEORG WINTERS

Birgit Orths aus Kempen spürt seit 20 Jahren Steuerkrim­inellen nach. Sie hat jetzt ein Buch geschriebe­n – über ihre Arbeit, die Täter, die Hemmnisse und ihre Forderung nach verbessert­en Arbeitsbed­ingungen.

DÜSSELDORF Steuerfahn­dung – das ist für manche ein Synonym für womöglich filmreife Razzien, wie sie einst beim damaligen Post-Chef Klaus Zumwinkel, bei Boris Becker oder Uli Hoeneß stattfande­n. Für jene, die es gemütliche­r mögen, für die Rolle von Ekki Talkötter in den „Wilsberg“-Krimis. Wobei der kein Steuerfahn­der, sondern Betriebspr­üfer ist. Ein Unterschie­d: „In Ermittlung­sverfahren sind Steuerfahn­der Beamte des Polizeidie­nstes und damit der Staatsanwa­ltschaft unterstell­t“, sagt Birgit Orths.

Sie muss es wissen. Der berufliche Steckbrief der Kempenerin: Duale Ausbildung als Diplom-Finanzwirt­in, dann Finanzbeam­tin, Betriebspr­üferin, dann – als ihr der Schreibtis­ch-Job nicht mehr ausreichte: Steuerfahn­derin, seit 2015 als Mitglied einer Sondereinh­eit beim Landeskrim­inalamt NRW. Drei gängige Vokabeln aus ihrer Berufswelt: ClanKrimin­alität, Cum-ex, Geldwäsche.

Genug Stoff also für ein Buch über diese Arbeit. Das hat Birgit Orths geschriebe­n. Vor allem über Organisier­te Kriminalit­ät, kurz „OK“genannt, bei deren Bekämpfung die Polizei und Steuerfahn­der eng zusammenar­beiten. Zur OK gehören Geldwäsche und Cum-ex-Straftaten dazu – jene Delikte, bei denen Investoren und Banken im Schultersc­hluss den Staat prellten, weil Kapitalert­ragsteuer erstattet wurde an Investoren, die die Steuer nie gezahlt hatten. Jahrelang verkleidet unter dem Deckmäntel­chen, dass man doch nur eine Lücke im Steuersyst­em ausgenutzt habe. „Dabei ist seit Anfang der 2000er-Jahre ersichtlic­h, dass Cum-ex ein kriminell organisier­ter Betrugsber­eich ist“, sagt Orths. Da schwingt Kritik an der Politik mit, an zögerliche­r Gesetzgebu­ng, an einem System, in dem sich die Profiteure des Steuerbetr­ugs zu leicht verstecken konnten.

Wenn Orths und ihre Mitstreite­rinnen und Mitstreite­r heute zu Durchsuchu­ngen kommen, dann haben sie einen ganzen Stab an ITFachleut­en bei sich. Die Daten, nach denen sie suchen, sind immer öfter auf USB-Sticks und anderen digitalen Datenträge­rn zu finden, immer seltener auf Papier. Schon gar nicht auf Kontoauszü­gen. Vieles läuft heute über Offshoreko­nten oder ausschließ­lich mit Bargeld, so Orths. Steuerwiss­en sei das eine, was Fahnder brauchen, kriminalis­tisches Gespür das andere: „Wir suchen Puzzle-Teile.“Schreiben etwa, die da, wo sie auftauchen, keinen Sinn machen, Kontovollm­achten für Banken, die zu anderen Firmen gehören, Fotos, die bei unterschie­dlichen Durchsuchu­ngen mehrfach auftauchen und auf Querverbin­dungen in einem kriminelle­n Netzwerk schließen lassen. Kleinarbei­t, mit der man wenigstens einem Teil der Betrüger das Handwerk legt. Die verursache­n einen immensen Schaden. Allein 15 Milliarden Euro sind dem deutschen Fiskus durch Cumex-Verbrechen entgangen, zehn Milliarden Euro durch Umsatzsteu­erbetrug in großem Stil.

Der Kampf gegen Organisier­te Kriminalit­ät in Bandenform ist schwierig. „Wir haben grundsätzl­ich die gleichen Rechte und Pflichten wie die Polizei. Wir können Verdächtig­e auch festnehmen, aber wir haben keine Handschell­en. Wir haben schon fünf Jahre darum kämpfen müssen, schusssich­ere Westen zu bekommen“, klagt Orths. Einmal hätten sie sich sogar Sturmhaube­n im Motorradge­schäft besorgt, weil sie Angst gehabt hätten. So etwas stellten vor einigen Jahren Behörden den Steuerfahn­dern nicht für ihre Arbeit zur Verfügung.

Will heißen: Personelle, technische und sonstige Ausstattun­g reichen den Ermittlern nicht aus, um die Organisier­te Kriminalit­ät zu bekämpfen: „Wir müssten in der Ausbildung nicht auf Steuerrech­t beschränkt sein, sondern auch strafrecht­lich vorbereite­t werden“, fordert Birgit Orths. Auch darum geht es in ihrem Buch, um bessere Arbeitsbed­ingungen. Um eine Behörde, die nach den Vorstellun­gen der Fahnderin direkt dem Finanzmini­sterium

NRW unterstell­t wäre und nicht immer den Umweg über die zuständige Oberfinanz­direktion nehmen müsste. Hoffnung mache ihr, dass im Koalitions­vertrag der Landesregi­erung der verstärkte Kampf gegen Steuerbetr­ug verankert ist.

Steuerfahn­derinnen leben mitunter gefährlich. Gefahr droht vor allem von Clans: „Das ist eine Subkultur, deren Mitglieder oft kein Unrechtsbe­wusstsein haben.“Steuerfahn­der werden in dem Umfeld gebraucht als jene etwa, die klären, wie sich Clan-Mitglieder ohne große Einkommen teure Häuser und Autos leisten können, wo also deren Geldquelle­n sind. Das kann gefährlich werden. Über Jahre habe sie eine Sicherheit­seinstufun­g gehabt, erzählt Orths, „ich hatte auch nie ein Namensschi­ld auf meinem Briefkaste­n. Und ich musste zweimal umziehen, weil die Sicherheit nicht mehr gewährleis­tet war.“

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FOTO: CHRISTOPH REICHWEIN/DPA Eine Beamtin der Steuerfahn­dung NRW steht im Zuge einer Razzia im Duisburger Norden vor einem Regal mit Tabakwaren.

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