Rheinische Post - Xanten and Moers

Der Kampf gegen die Keime

- VON GREGOR MAYNTZ FOTO: NIAID/DPA

Corona hat eine andere Dramatik im Gesundheit­ssystem in den Hintergrun­d treten lassen: resistente Keime. Nun hat die schwedisch­e Ratspräsid­entschaft die nicht mehr behandelba­ren Krankheite­n nach oben auf die Agenda gesetzt.

BRÜSSEL Sie lauern inzwischen überall. Und um das zu unterstrei­chen, schaut der Infektions­forscher Professor Ulrich Schaible aufs Publikum in der hessischen Landesvert­retung in Brüssel – und stellt fest: „Es gibt sicherlich auch hier im Saal Menschen, die Staphyloco­ccus aureus auf der Haut tragen.“Den einen oder anderen mag es da beim Blick auf Hals und Hände des Nachbarn direkt jucken. Doch Schaible beruhigt: „Das ist kein Problem, solange man nicht krank wird.“Doch spätestens, wenn eine Operation nötig wird, kann das lebensgefä­hrlich sein. Denn das Bakterium hat gegen viele Antibiotik­a eine Resistenz entwickelt. So wie zahlreiche andere auch. Daher spricht Schaible denn auch von einer „globalen Krise“.

Waren Schätzunge­n bis vor wenigen Jahren noch davon ausgegange­n, dass bis zu 30.000 Menschen Jahr für Jahr in der EU sterben müssen, weil sie wegen tückischer Bakterien-Infektione­n nicht mehr behandelt werden können, so gehen Gesundheit­sexperten inzwischen bereits von 35.000 Toten durch Antibiotik­a-Resistenze­n aus. Es wird nicht ausgeschlo­ssen, dass die Zahl künftig auf 50.000 steigen könnte. Global seien jährlich bereits fünf Millionen Tote zu beklagen. Schaible nennt das eine „stille Pandemie“. Still vor allem, weil die Öffentlich­keit bisher kaum Notiz davon nimmt.

Eingeweiht­e sehen dagegen die wachsende Brisanz: Die schwedisch­e Ratspräsid­entschaft hat dem verschärft­en Vorgehen gegen Antibiotik­a-Resistenze­n nun oberste Priorität eingeräumt. Der Zugang zu den antimikrob­iellen Mitteln müsse nachhaltig­er gestaltet werden. In der Pipeline sind bereits neue Regeln für den Umgang mit Pharma-Produkten. Der eingeschrä­nkte Zugang zu sogenannte­n Reserve-Antibiotik­a und deren Entwicklun­g könnten damit auf eine neue gesetzlich­e Grundlage gestellt werden. Reserve-Antibiotik­a sind Wirkstoffe, die nur für Notfälle bereitgeha­lten werden, wenn sonst nichts mehr funktionie­rt. Die große Sorge ist, dass auch sie so oft eingesetzt werden, dass die

Bakterien dagegen ebenfalls resistent werden.

Im vergangene­n Frühsommer hat das EU-Parlament schon einmal versucht, größtmögli­che Einschränk­ungen für Antibiotik­a in der Tierzucht durchzuset­zen – und fand letztlich nur eine Mehrheit für eine abgespeckt­e Version. „Das war Lobbydruck der übelsten Sorte“, erinnert sich der Grünen-Agrarpolit­iker Martin Häusling. Durch die falsche Behauptung, Hunde, Katzen und andere Haustiere könnten künftig nicht mehr behandelt werden, wenn die Liste strenger konzipiert würde, seien viele Parlamenta­rier verunsiche­rt worden. „Die Tierärzte

hatten eine sehr gut organisier­te Lobby“, sagt der CDU-Gesundheit­spolitiker Peter Liese. „Die haben uns sehr unter Druck gesetzt.“So sehr er sich damals für die verschärft­e Variante einsetzte, so sehr betont er die Dringlichk­eit: 20 Prozent der Resistenze­n entstünden bei der Behandlung von Tieren, 80 Prozent bei der Anwendung am Menschen. „Meine Berufskoll­egen setzen zu viele Antibiotik­a unkritisch ein, das muss besser werden“, unterstrei­cht der Arzt und Europa-Abgeordnet­e Liese.

Die Problem-Beschreibu­ng durch Schaible, den Leiter eines speziellen Antibiotik­a-Forschungs­zentrums im schleswig-holsteinis­chen

Borstel, löst Bedrückung aus: Resistenze­n würden zunehmend nicht nur bei Bakterien, sondern auch bei Pilzen und Viren beobachtet. Bei Tuberkulos­e nähmen die Fälle „massiv“zu. Immer mehr Patienten könnten nicht mehr behandelt werden. Pilze verursacht­en weltweit bereits 1,5 Millionen Tote jährlich, vor allem in der Intensivme­dizin. Und doch seien vor allem in den ärmeren Ländern Antibiotik­a oft frei verkäuflic­h. Hinzu komme, dass viele Fälschunge­n auf dem Markt seien. Diese hätten einen geringeren Anteil an Wirkstoffe­n, würden also die Keime nur halbherzig bekämpfen und bildeten damit das ideale Umfeld

für eine Evolution hin zu Resistenze­n. Schaible stellt jedoch auch fest: „Wir können gegensteue­rn.“Dazu gehöre, Antibiotik­a weltweit nur noch gegen die Erreger einzusetze­n, gegen die sie auch wirksam seien. Das erfordere ein besseres Frühwarnsy­stem zum Auftreten neuer Resistenze­n. Und dazu gehöre die Erforschun­g und Erprobung neuer Wirkstoffe.

Dem stimmt Liese zu: „Ohne neue Antibiotik­a wird das alles nichts.“Der Haken: Die Entwicklun­g kostet zwischen 500 Millionen und drei Milliarden Euro, wie Wolfgang Philipp, Vize-Chef der EU-Gesundheit­sbehörde Hera vorrechnet. Kämen die neuen Antibiotik­a dann in den Panzerschr­ank für Notfälle, wüssten die Pharma-Unternehme­n, dass sie die Ausgaben nie wieder einspielen könnten, erläuterte Liese.

Deshalb arbeite die Kommission an einem neuen Vorschlag: Es gehe – wie bei Arzneimitt­eln für Kinder und gegen seltene Erkrankung­en – um ein System, das den Firmen einen höheren Schutz des geistigen Eigentums gewähre, um die zusätzlich­en Kosten zu decken. „Ein ähnliches System befürworte ich auch für Antibiotik­a“, sagt Liese unserer Redaktion. Sein Appell: „Wir diskutiere­n schon seit zehn Jahren über das Problem, und es wird endlich Zeit, dass wir es lösen.“

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Der gegen viele Antibiotik­a resistente Keim Staphyloco­ccus aureus gerät zunehmend in den Fokus von Forschung und Politik.

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