Rheinische Post - Xanten and Moers
Wie Hitler die Macht in Moers ergriff
In seinem Titel für den 30. Januar 1933 fragt der „Grafschafter“, ob es am Montag ein Kabinett Hitler geben werde. Kein Tag also wie alle anderen. Im Innenteil meldet das Blatt, der „Generalanzeiger für Moers, Homberg und den Niederrhein“, dass die Friedrich-Alfred-Hütte wegen Auftragsmangel eine Feierschicht bis Dienstag einlege und das Arbeitsamt Moers seine Nebenstelle in Rheinhausen nicht auflösen wolle.
Ausgangslage und Erwartungen zu den einschneidenden Ereignissen, die auch in der Kreisstadt Moers das Ende der ersten deutschen Demokratie einleiten, sind im Kreis Moers sehr unterschiedlich. Der katholisch geprägte Norden des Kreises hat bis zuletzt nur zu knapp 25 Prozent für Hitler gestimmt. Die NSDAP hatte dort lange Mühe, Ortsgruppen zu gründen. Vor allem dieser Norden mit Xanten und Rheinberg trägt den in Moers seit 1920 regierenden Landrat. Dass Günter van Endert der Zentrumspartei nahesteht, die die Weimarer Republik mitträgt, wird ihn schon am 7. März den Posten kosten. Einer der „schwarz-roten Systemlinge“– wie es dann heißen wird. NeukirchenVluyn – im protestantischen Kern der Grafschaft – hat sich mit Erich Neumann bereits 1928 einen Bürgermeister zugelegt, der sich bald danach offen zur NSDAP bekennt. Hier, in Moers, Homberg und in Rheinhausen boomt die Mitgliedschaft bei der NSDAP. Moers-Mitte bekennt sich bei der letzten freien Wahl mit 50 bis 60 Prozent zur Hitlerkoalition.
Schwafheim, Kapellen und Repelen bringen es auf 80 Prozent. Schon bei der Reichspräsidentenwahl im Vorjahr hatte das „kaisertreue“Moers Adolf Hitler, dem starken Mann, den Vorzug vor seinem bisherigen Idol Hindenburg gegeben – unruhige Zeiten, auch in Moers.
Dieser Kern der Grafschaft, der die Weimarer Republik ablehnt, wird die Entscheidungen in Berlin schnell begrüßen. Bürgermeister Dr. Fritz Eckert, der Deutschen Volkspartei nahe stehend, kann bleiben. Schon bald wird die Kaufmannschaft freudig die Geschäfte in der Homberger Straße beflaggen. Und schon im Juni wird der „Kampfbund für den gewerblichen Mittelstand“unter Führung von Bruno Heger am Neumarkt aufmarschieren – hinter den Fahnen von NSDAP und SA.
Die Arbeiterschaft im Süden des Kreises leidet blanke Not. Fast die Hälfte der Bergleute ist arbeitslos, Einkommen und Erwerbslosenfürsorge sind gegenüber 1929 um 36 beziehungsweise 66 Prozent gesunken. Viele sehen hier in ihrer Not das revolutionäre Russland als Vorbild. Hinter der NSDAP, aber weit vor der SPD, ist die KPD jetzt zweitstärkste Partei in Rheinhausen, Moers und Kamp-Lintfort.
Der Landrat und die im Landratsamt untergebrachte Kreispolizei haben die KPD indes längst als Staatsfeind ausgemacht. Bei quartalsweiser Aktualisierung werden ihre Führer seit Januar 1931 mit Namen und Anschrift auf seitenlangen Listen geführt – schon bald ein enormer Vorteil für die neuen Machthaber, als man mit der Reichstagsbrandverordnung vom 28. Februar auch die hiesigen Kommunisten im Stundentakt verhaften kann.
Das Jahresende 1932 und der Januar 1933 sind auch im Moers unruhig. Bereits in der Ratssitzung von März 1932 hatte Bürgermeister Dr. Eckert die NSDAP mit ihrem Führer Ernst Bollmann für einen Moerser „Blutsonntag“verantwortlich gemacht. Am 27. Oktober wird in Moers-Hülsdonk der Arbeiter Thomas Igl von Arbeitsfreiwilligen der SA erschlagen. Verhaftet werden nicht die Täter, sondern seine beiden Brüder. 2000 bis 2500 Menschen begleiten, wie die Polizei selbst schätzt, den Sarg auf den sechs Kilometern von der Steinbrückenstraße zum Friedhof Meerbeck. Es bleibt aber ruhig. Ende Dezember überfallen Erwerbslose die Konsumanstalt von Rheinpreußen. Andere verbünden sich an der Stempelstelle am Moerser Nordring oder besetzen das Rathaus in Neukirchen.
Ende 1932 beschweren sich mehr als 250 Neukirchen-Vluyner Bürger darüber, dass ein Fest des Kampfbunds gegen Faschismus trotz vorheriger Genehmigung kurzfristig von der Ortspolizei verboten wurde. In einem Schreiben vom 17. Oktober an den Landrat nennt Bürgermeister Erich Neumann die Gruppe wörtlich eine organisierte Verbrecherbande. Und: „Es wird allerhöchste Zeit, dass diese Pestbeule am deutschen Volkskörper durch rücksichtsloses Verbot wegen ihrer staatsfeindlichen und staatsverneinenden Einstellung ausgemerzt wird, wenn nicht langsam, aber sicher großes Unheil über das deutsche Vaterland hereinbrechen soll“.
Dies ist bereits Monate vor dem 30. Januar die Sprache des Dritten Reiches bei einem amtierenden Bürgermeister – die den Weg nach Auschwitz weisende Lingua tertii imperii (LTI), wie sie Victor Klemperer genannt hat. Bereits am Nachmittag des 30. Januar geht die NSDAP in Rheinhausen triumphierend auf die Straße – es gibt erste Schüsse. Beim Fackelzug in Homberg und Hochheide am Abend fallen noch mehr Schüsse – es gibt zwei Tote. Als auch tags darauf die Nazis provozierend durch die Kolonie in Meerbeck marschieren, titelt der „Grafschafter“: „Große nationale Kundgebung in Moers – Disziplinierter Aufmarsch der Nationalen Front“. Im Bericht „Auch Repelen feiert den Sieg“begrüßen die Aktiven die so ersehnte Vereinigung von Stahlhelm und NSDAP.
Nach den „Homberger Vorfällen“empört sich die Moerser NSDAP über die Polizei, die dort versucht hatte, ihre Pflicht zu tun. Zu der großen Protestkundgebung ruft Führer, der Steiger Otto Suhr, auf – in den evangelischen Gemeindesaal. Bemühungen um eine Einheitsfront zwischen KPD und SPD und Streiks in den Großbetrieben misslingen, wie später der Sozialdemokrat Hermann Runge und der Kommunist Alfred Lemmnitz berichten werden. Sie werden abermals Anfang März scheitern – an den handelnden Personen, wie Bürgermeister Dr. Eckert später in einer Polizeiakte bemerkt.
Am 30. Januar jährt sich die Machtergreifung durch Adolf Hitler zum 90. Mal. Ausgangslage und Erwartungen zu den einschneidenden Ereignissen, die auch in der Grafenstadt das Ende der ersten deutschen Demokratie einleiten, sind im damaligen Kreis Moers sehr unterschiedlich. Ein Blick in die Unterlagen der NS-Dokumentationsstelle.
Bernhard Schmidt ist Leiter der NS-Dokumentationsstelle der Stadt Moers