Rheinische Post - Xanten and Moers
Freier Handel in unfreier Welt
Olaf Scholz ist wieder dort, wo ein Bundeskanzler unweigerlich hinmuss, wenn er neue Partner finden, alte Bande pflegen und sein Land entwickeln will: unterwegs in der Welt. Scholz führt zu Hause mit der Ampel eine selbst erklärte Fortschrittskoalition. Und Fortschritt will er für Deutschland auch global organisieren – auf einer Reise durch drei Schlüsselstaaten Südamerikas. Erst Argentinien, dann Chile, dann Brasilien. Diese Staaten haben große soziale und wirtschaftliche Probleme, aber eben auch großes Potenzial. Ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und dem Staatenbund Mercosur böte wegen seiner insgesamt gut 750 Millionen Verbraucher auf beiden Kontinenten riesige Wachstumschancen. Doch dieses Abkommen liegt seit Monaten auf Eis. Scholz ist gekommen, um die Chancen für einen solchen Handelsvertrag wiederzubeleben.
Doch die Allianz, die Scholz im krisengebeutelten Südamerika schmieden möchte, ist nicht unbelastet. Freier Handel in unfreier Welt. Gerade Brasilien pflegt in der Gruppe der BRICS-Staaten, in der sich Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika zusammengeschlossen haben, enge Kontakte mit dem Kreml, was sich immer wieder auch bei Abstimmungen bei den Vereinten Nationen auswirkt. Selbst vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges wollen sich Schwellenstaaten wie Brasilien, Indien und China nicht unbedingt vom Westen einfangen lassen. Die vernetzte Welt ist kompliziert. Und Scholz möchte in Südamerika Pflöcke setzen – im Namen von Demokratie, Freiheit, Handel, Klimaschutz, Rohstoffunabhängigkeit und Frieden.
Scholz hat zu Hause genügend andere drängende Themen. Doch die Welt wartet nicht, weil der Wettlauf um Einflusszonen und Rohstoffe längst in vollem Gange ist. Scholz will nicht zu spät kommen. Auch deshalb ist er nach Südamerika gereist. Für Fortschritt im eigenen Land.