Rheinische Post - Xanten and Moers
Gesünder, fitter, besser
Apps zur Selbstoptimierung sollen helfen, dabei sind sie ein Teil des Problems.
Jedes Jahr im Januar werden die „guten Vorsätze“motiviert angegangen – die Aufmerksamkeit richtet sich auf Ernährung, Fitness und mentale Gesundheit. Apps aus der Branche boomen wie zu keinem anderen Zeitpunkt im Jahr. Öffnet man „Headspace“, eine der beliebtesten Apps für mentale Gesundheit, wird man aufgefordert, tiefe Atemzüge zu nehmen. Eine Stimme sagt, wann man einatmen, die Luft anhalten und ausatmen soll. Manche Menschen mögen dies als entspannend empfinden, ich ertappe mich dabei, schon nach fünf Sekunden auf die Uhr zu schauen und über eine Zukunft zu grübeln.
Die Analysetools dieser Apps (Bewegungs-, Stimmungs- und Schlaftracking) laden die Nutzer dazu ein, sowohl Forscher als auch Subjekt zu werden, indem sie ihre eigenen Verhaltensdaten zur Kenntnis nehmen und nach Mustern suchen – zum Beispiel, dass Angstzustände mit schlechtem Schlaf zusammenhängen. Die Apps stellen eine digitale Aktualisierung des Selbsthilfegenres dar. Wie die vielen Taschenbücher aus der Abteilung für „persönliches Wachstum“in den Buchhandlungen, versprechen solche Apps totale „Selbsterkenntnis“. Bei aller Konzentration auf Selbsterkenntnis helfen sie aber natürlich nicht zu verstehen, warum man überhaupt ängstlich oder depressiv ist. Wissenschaftler haben den Begriff „Bildschirm-Apnoe“eingeführt, um die Tendenz zu beschreiben, den Atem anzuhalten oder flacher zu atmen, wenn man einen Bildschirm benutzt. Das Phänomen tritt bei vielen digitalen Aktivitäten auf und kann zu Schlafstörungen, einem niedrigeren Energieniveau oder verstärkten Depressionen führen. Es gibt viele Theorien darüber, warum eine ausgedehnte Gerätenutzung den Körper in einen Stresszustand versetzt – psychologische Stimulation, die drohende Gefahr von Arbeits-E-Mails und Weltuntergangsschlagzeilen.
Freud hat einmal darauf hingewiesen, dass neue Technologien lediglich Probleme lösen, die von anderen Technologien geschaffen wurden. Die kritische Frage lautet also: Können digitale Tools eine Gesundheitskrise lösen, die sie mit verursacht haben?
Unsere Autorin ist Start-up-Gründerin und Sprecherin der Initiative NRWalley. Sie wechselt sich hier mit Blogger Richard Gutjahr ab.