Rheinische Post - Xanten and Moers
70 Tonnen Hightech
Der deutsche Kampfpanzer Leopard 2 genießt seit Jahrzehnten einen exzellenten Ruf. In Sachen Feuerkraft, Beweglichkeit und Schutz zählt er zu den besten Militärfahrzeugen der Welt. Doch allein kann auch er nicht die Wende im Krieg in der Ukraine bringen.
Man montiere einen Krug voll schäumenden Bieres vorn ans Kanonenrohr eines Leopard 2 und brettere dann mit dem Panzer durch die tiefsten Schlammlöcher eines Truppenübungsplatzes. Am Ende der rasanten Schaukelpartie prostet der Kommandant zu aller Überraschung dem Kameramann fröhlich zu – erstaunlicherweise ist kein einziger Tropfen unterwegs verschüttet worden. Typischer Soldatenhumor ist jener viele Jahre alte, vermutlich echte Videoclip, der auf eine ganz besondere Qualität des Kampffahrzeugs aufmerksam macht: die WSA, die Waffenstabilisierungsanlage, die das Rohr in jeder Position genau auf das zuvor anvisierte Ziel gerichtet hält. Damit trifft der Panzer auch in voller Fahrt präzise sein Ziel, selbst nachts oder bei schlechter Sicht. Besonders beeindruckend: Die 120-Millimeter-Glattrohrkanone gilt über eine Entfernung von fünf Kilometern als treffsicher, was trotz aller propagandistischen Beteuerungen kein russischer Panzer schafft. Im Kalten Krieg trainierten deshalb die östlichen Streitkräfte den konzentrierten Einsatz von je drei T-72 gegen einen Leopard, um überhaupt eine Chance zu haben.
Die Besatzungen russischer Panzer wie dem T-80 sitzen wegen der Lageautomatik auf der Munition, was bei Treffern sofort tödliche Folgen hat. Im Leo sind die Granaten durch ein Schott getrennt gelagert, der Bunker leitet bei einer Explosion die Energie durch Öffnungen nach oben ab. In Afghanistan hatte die Bundeswehr 2007 den Kanadiern mehrere Leopard 2 ausgeliehen und erhielt prompt ein Dankesschreiben: In einer November-Nacht war einer der Panzer bei Kandahar mit einer 15 Kilogramm schweren, ferngezündeten Bombe attackiert worden. Trotz einer riesigen Explosion kam die Besatzung jedoch mit ein paar Schrammen davon – die Qualität „made in Germany“hatte vier Menschenleben gerettet.
Kann der deutsche Kampfpanzer im Ukraine-Krieg nun die endgültige Wende zugunsten der Angegriffenen bringen? Das ist abhängig von der Schnelligkeit der Lieferungen und der ausreichenden Stückzahl. Eine einzelne Panzerkompanie mit 14 Leopard-Panzern kann wohl kaum bei einem Gegenangriff den Durchbruch erzielen. Zudem ist ein Vorstoß allein mit Kampfpanzern taktisch nicht erfolgversprechend, wie es die Russen im ersten Teil ihrer Invasion erleben mussten. Ohne Begleitschutz wäre ein Leopard eine leichte Beute von Infanteristen mit modernen Panzerabwehrwaffen. Die Russen werden außerdem inzwischen einen Großteil des besetzten Geländes vermint haben. Und verliert ein Panzer seine Kette, ist er hilflos. Unabhängig von einer möglichen psychologischen Schockwirkung auf den Feind ist ein Kampfpanzer deshalb nur im Verbund mit Grenadieren in
Schützenpanzern, Pionieren, Flugabwehr und Artillerie sinnvoll einsetzbar. Hier ergibt eine parallele Lieferung deutscher Schützenpanzer vom Typ Marder an die Ukraine Sinn: Die Fahrzeuge sind leistungsmäßig aufeinander abgestimmt; ihr Einsatz war bei der Bundeswehr im „Gefecht der verbundenen Waffen“stets gemeinsam vorgesehen.
Herausforderungen gibt es dennoch zuhauf: Es gibt nämlich keinen einheitlichen Leopard. Die Modelle 1 und 2 unterscheiden sich so fundamental wie ein Porsche und ein Rolls-Royce. Und die einzelnen Baureihen, die von A1 bis A7 reichen, sind wohl am einfachsten am Beispiel des „Dauerbrenners“VW Golf zu erklären: Was 1973 noch topmodern war, ist heute längst ein Oldtimer; das Innere, die Bedienung und die Möglichkeiten unterscheiden sich extrem. Liefert man also der Ukraine eine bunte Palette an LeopardPanzern aller Versionen, müssen die Besatzungen unterschiedlich ausgebildet werden; es wird Ersatzteil-, Instandsetzungs- und Nachschubprobleme geben. So hatte der erste Leopard noch eine 105-Millimeter-Kanone, die neueren Modelle verfügen über ein 120-MillimeterGeschütz, die Geschosse sind also schon deshalb unterschiedlich. Die auffällig kantige Version 2 A4 ist für manche Experten das beste Modell, weil sie vom Gewicht her ausgewogen ist. Danach wurde der Turm immer mehr mit Hightech aufgerüstet, stärker gepanzert und damit immer schwerer, der Panzer in der Folge kopflastig und das Fahrgestell, die sogenannte Wanne, vorher nicht erwarteten Belastungen ausgesetzt. Ein weiteres Problem ist die Gewichtszunahme: Der Leopard der 1970er-Jahre wog etwa 44 Tonnen, der spätere Leopard 2 A4 rund 60 Tonnen und das neueste Modell an die 70 Tonnen – zu schwer für viele Brücken und schlammiges Gelände. Das muss bei der Einsatzplanung stets berücksichtigt werden.
Frühere Panzerbesatzungen der Bundeswehr hätten da nur ungläubig gestaunt: Der Kommandant beobachtet nicht mehr wie einst primär durch Winkelspiegel oder gar deckungslos aus der offenen Luke heraus, sondern sieht vor sich auf einem großen Bildschirm, ergänzt durch ein Wärmebildgerät, deutlich mehr als das menschliche Auge. Außerdem scannt ein Kamerasystem automatisch ständig die Umgebung ab, erkennt Strukturen wie Körper oder Fahrzeuge und meldet Veränderungen in Sekundenbruchteilen.
So bleibt ein hinter Büschen versteckter potenzieller Angreifer durch seine Körpertemperatur nicht mehr unsichtbar, sondern wird von dem System erkannt und auf dem Bildschirm durch ein Symbol deutlich markiert. Eine neue Softwarearchitektur, nur eine der weiteren Verbesserungen, hebt den Kampfpanzer technisch auf den aktuellen Stand der Technik, sodass auch künftig neue Systementwicklungen mühelos integriert werden können.
Dieser oder ein ähnlicher „SuperLeo“werden aber wohl nicht zum Einsatz kommen, aber die Version A6 ist die beste, die die Bundeswehr beisteuern kann. Die Verstärkung durch westliche Kampf- und Schützenpanzer ist für die Verteidiger nicht nur qualitativ, sondern auch quantitativ wichtig und wird den Kriegsverlauf zugunsten der Ukrainer verändern. Britische und österreichische Analysten sehen die ukrainischen Streitkräfte personell und materiell als „bedrohlich ausgepowert“an; die Hälfte der Waffensysteme und Ausrüstung sei inzwischen vernichtet. Zu nennenswerten Gegenschlägen, die bislang sehr erfolgreich waren, seien sie aufgrund der hohen Verluste nicht mehr fähig. Ihnen laufe zudem die Zeit davon, weil die russische Rüstungsindustrie inzwischen rund um die Uhr Waffen und Munition produziere und Moskau offenbar ständig neue Verstärkungskräfte an die Front wirft. Durch die neuen Waffenlieferungen, wenn sie nicht zu spät kommen, wird das ukrainische Heer überhaupt erst wieder handlungsfähig gemacht. Es kann nach dem Winter erneut in die Offensive gehen und im Südosten, wie erhofft, weiteres Gebiet zurückerobern.
Um die neuen, gefährlicheren Waffen auszuschalten, wird sich Russland mehr auf die Panzerabwehr konzentrieren müssen, unter anderem mit dem verstärkten Einsatz von Kampfhubschraubern und Jagdbombern. Das Kriegsbild wird sich grundsätzlich wohl nicht ändern: An weiten Teilen der Front schwelt ein zermürbender Stellungskrieg, an vermuteten Schwachstellen setzen starke gepanzerte Verbände zu Durchbrüchen an. Unterdessen werden die Russen weiterhin aus der Luft die zivile Infrastruktur angreifen – ein Abnutzungskrieg auf allen Ebenen. So ist die Flugabwehr eine weitere kritische Schwachstelle der Ukrainer.
Bei aller politischen Aufregung um die Leopard-Panzer hatte die Lieferung deutscher Panzerhaubitzen 2000 – trotz der deutlich kleineren Zahl – eine militärisch mindestens ebenso große Bedeutung: Ihre enorme Reichweite, Präzision und Beweglichkeit machten den Ukrainern eine erfolgreiche Bekämpfung von mobilen Befehlsstellen oder vorgeschobenen Munitionsdepots möglich. So stoppten sie im Verbund mit US-Raketenwerfern den russischen Vormarsch im Südosten des Landes.
Ohne Begleitschutz ist auch ein LeopardKampfpanzer eine leichte Beute
Der vom Gewicht her ausgewogene 2 A4 ist für viele Experten das beste Modell