Rheinische Post - Xanten and Moers
Eskalation der Gewalt befürchtet
Nach den schweren Anschlägen will Israels Regierungschef durchgreifen – auch gegen Angehörige von Attentätern.
TEL AVIV (dpa) Nach zwei Terroranschlägen am Freitagabend und Samstagvormittag mit sieben Toten und mehreren Verletzten hat Israel eine Reihe von Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung beschlossen. „Wir suchen keine Eskalation, aber wir sind auf alle Möglichkeiten vorbereitet“, sagte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, der Chef der neuen Rechtsregierung am Sonntag bei einer Kabinettssitzung in Jerusalem. „Unsere Antwort auf Terror sind eine harte Hand und eine starke, schnelle und gezielte Reaktion.“International gibt es nach dem Anschlag – dem schlimmsten eines Palästinensers seit anderthalb Jahrzehnten – Sorgen vor einer neuen Eskalation der Gewalt im Nahen Osten.
Der Angriff am Freitag galt Besuchern einer Synagoge in Ost-Jerusalem. Am Abend des internationalen Holocaust-Gedenktags eröffnete der palästinensische Mann das Feuer auf Israelis, die nach dem Schabbat-Gebet gerade eine Synagoge verließen. Sieben Menschen wurden getötet und drei verletzt, darunter ein 15-Jähriger. Unter den Toten ist auch eine Frau, die aus der Ukraine stammte. Der 21 Jahre alte Attentäter aus Ost-Jerusalem wurde von Polizisten noch am Tatort erschossen. Mehr als 40 Menschen aus seinem Umkreis wurden festgenommen.
Der Anschlag geschah nur einen Tag nach einer Razzia der israelischen Armee in Dschenin, beei der insgesamt zehn Palästinenser getötet wurden – darunter auch Mitglieder der militanten Gruppierung Islamischer Dschihad, die sich ein Feuergefecht mit den Soldaten geliefert hatten. Damit wurden seit Jahresbeginn 33 Palästinenser bei Konfrontationen mit der Armee oder eigenen Anschlägen getötet.
Auf den Anschlag bei der Synagoge reagierten Palästinenser im Gazastreifen und im Westjordanland mit Freudenfeiern. Ein Sprecher der im Gazastreifen herrschenden radikalislamischen Hamas bezeichnete ihn als „Vergeltung für den Überfall der israelischen Armee auf das Flüchtlingslager Dschenin“.
Am Samstag kam es dann zu weiteren Anschlägen: Ein 13-jähriger Palästinenser verletzte zwei Israelis in Ost-Jerusalem. Einer von ihnen schoss auf den Jungen, der anschließend medizinisch versorgt wurde. In der Siedlung Kedumim im nördlichen Westjordanland wurde ein Palästinenser nach einer Messerattacke erschossen.
Israelische Sicherheitskräfte versiegelten in der Nacht zum Sonntag das Haus des Attentäters vom Freitag in Ost-Jerusalem. Damit wurde eine nur wenige Stunden alte Entscheidung des israelischen Sicherheitskabinetts umgesetzt: Die Wohnungen oder Häuser von Attentätern sollen künftig sofort versiegelt und dann zerstört werden.
Netanjahu kündigte zudem an, Angehörigen von Attentätern, die Terror unterstützten, soziale Rechte zu entziehen. Weitere mögliche Schritte seien der Entzug israelischer Identitätskarten und des Aufenthaltsrechts. Palästinenser aus Jerusalem haben oft ein Aufenthaltsrecht in Israel, aber nur selten die Staatsbürgerschaft. Auf Entscheidung des Sicherheitskabinetts sollen Israelis zudem leichter Lizenzen für Schusswaffen bekommen. Die Armee beschloss am Sonntag die Verstärkung der Polizei.
Die Gewalteskalation sei ein „Albtraum“für den neuen rechtsextremen Polizeiminister Itamar BenGvir, schrieb Politikexperte Avi Issacharoff auf der Nachrichtenseite ynet. Ben-Gvir hatte seinen Wählern versprochen, mit einem harten Kurs gegen Palästinenser für Ruhe zu sorgen. Nun müsse er jedoch erfahren, dass es keine Zauberlösungen gebe, so Isacharoff. Wenn junge Palästinenser bereit seien, bei einem Anschlag zu sterben, „dann wird auch die Versiegelung eines Hauses oder seine Zerstörung nicht den nächsten Anschlag verhindern“.
Im Einklang mit seinen radikalen Partnern kündigte Netanjahu am Sonntag auch eine Ausweitung des israelischen Siedlungsprojekts in den besetzten Gebieten an. Damit wolle
man „den Terroristen, die uns aus unserem Land entwurzeln wollen, klarmachen, dass wir hierbleiben“. Damit begibt er sich jedoch auf Konfrontationskurs mit Israels wichtigstem Bündnispartner, den USA. USAußenminister Antony Blinken, der am Montag in Israel erwartet wird, hatte die Siedlungspolitik im besetzten Westjordanland erst kürzlich mit scharfen Worten kritisiert. (mit kna)