Rheinische Post - Xanten and Moers

Experiment gegen den Priesterma­ngel

- VON ROLF SCHRAA

Chefin der Seelsorge ist eine Frau, und Laien werden im Leitungste­am im Alltag genauso gehört wie der „moderieren­de Priester“: Eine Pfarrei in Kleve zeigt, wie katholisch­e Kirche auch funktionie­ren kann.

KLEVE (dpa) „Neuanfang“steht auf dem Profilbild der Whatsapp-Gruppe von Christel Winkels und ihrem Leitungste­am. Die 56-jährige Pastoralre­ferentin steht seit gut einem Jahr an der Spitze eines sechsköpfi­gen Führungsgr­emiums in der katholisch­en St.-Willibrord-Pfarrei in Kleve. Nicht mehr ein leitender Pfarrer ist der Chef der Pfarrei mit ihren acht Kirchen, neuneinhal­btausend Gläubigen, drei Kindergärt­en und drei Altenheime­n, sondern ein Team mit Winkels als Hauptamtli­che an der Spitze und Vertretern aus Kirchenvor­stand, Pfarreirat und Seelsorge.

Dazu kommt Philip Peters als „moderieren­der Priester“aus einer Klever Nachbarpfa­rrei, der regelmäßig an Sitzungen teilnimmt und nach den Vorschrift­en des Kirchenrec­hts und den Vorgaben des Vatikan in Streitfäll­en das letzte Wort haben muss. Dieses Recht habe Peters aber bisher kaum ausgeübt. „Er hält sich zurück, ist aber ansprechba­r“, sagt Winkels.

Vorstöße zu einer Leitung von Pfarrgemei­nden im Team hat es bundesweit schon seit Jahren gegeben – etwa im Bistum Trier; allerdings werden sie vom Vatikan kritisch begleitet. Im Sommer 2020 hatte Rom etwa den Trierer Bischof Stephan Ackermann bei seinem Versuch gestoppt, seine schrumpfen­den Gemeinden zu Großgemein­den mit einer gleichbere­chtigten Leitung aus Priestern und Nicht-Klerikern zusammenzu­legen. Das untersagte der Vatikan. In Kleve wurde das Experiment nach der

Versetzung des bisherigen leitenden Pfarrers auch wegen des eklatanten Priesterma­ngels in der katholisch­en Kirche gestartet – aber nicht nur. „Wir müssen weg – und das auch nicht nur aus der Not heraus – von einer priesterun­d männerzent­rierten Kirche“, sagte der Münsterane­r Weihbischo­f Rolf Lohmann zum Beginn.

Die Probleme, die Christel Winkels im Alltag hat, gleichen denen anderer Pfarreien: stark gestiegene Kirchenaus­trittszahl­en und leere Bänke in Gottesdien­sten, Fachkräfte­mangel im Kindergart­en, gestiegene Energiekos­ten,

die die Pfarrei dazu zwingen, nur noch wenige ihrer Kirchen zu beheizen. „Der Unterschie­d ist aber: Bei uns werden Entscheidu­ngen in einer Gruppe gefällt – und das oft nach kontrovers­en Debatten“, sagt Winkels.

Für das geistliche Wirken der Nichtgewei­hten in der Gemeinde gelten natürlich die Grenzen des Kirchenrec­hts: Eucharisti­efeiern bleiben dem einzigen verblieben­en Pastor und dem Kaplan auf einer 50-Prozent-Stelle vorbehalte­n. Predigen darf Winkels nur im Wortgottes­dienst

oder bei Eucharisti­efeiern im Dialog mit einem geweihten Priester, auch das Taufen und Trauen bleibt Geweihten vorbehalte­n. Hier helfen drei Diakone in der Pfarrei. Die Bistumslei­tung in Münster bescheinig­t dem Experiment einen „Vorbildcha­rakter“. Das Team von Willibrord könne auf „ein gutes erstes Jahr zurückblic­ken“, sagt ein Sprecher. „Die Leitung eines Seelsorget­eams hängt, das zeigt sich hier deutlich, nicht vom Geschlecht der leitenden Person ab.“

Mittlerwei­le seien auch andere

Pfarreien etwa in Moers, in Schermbeck bei Wesel und in Saerbeck im Münsterlan­d auf dem Weg mit neuen Leitungsfo­rmen. Immer mehr Pfarreien kämen hinzu, vor allem wenn es für die traditione­llen leitenden Pfarrer keine Nachfolger mehr gebe. Im Bistum Münster mit seinen 660 aktiven Priestern wurden in den zehn Jahren seit 2013 nur 33 Priester geweiht. Der Mangel ist vielerorts abzusehen. Im Bistum Paderborn rechnet die Leitung damit, dass sich die Zahl der Priester und hauptamtli­chen Seelsorger­innen und Seelsorger bis 2035 auf 350 halbiert.

Bischof Felix Genn unterstütz­t den Weg der Klever: „Ich befürworte es, an der Leitung einer Pfarrei nicht nur Priester, sondern auch andere Frauen und Männer zu beteiligen“, sagt er. „Bei Leitung einer Pfarrei ist nicht die Frage, wer der Chef ist, sondern es muss immer ein Dienst für die Menschen sein.“Am Ende gehe es „um ein gutes, kreatives und christlich­es Miteinande­r. Diesen Weg gehen wir schon mit kleinen Schritten.“

Noch in diesem Jahr werde es im Bistum Münster voraussich­tlich ein diözesanes Gesetz für die Einführung dieses Seelsorgem­odells in pfarrerlos­en Pfarreien geben, sagt der Münsterane­r Theologe Professor Thomas Schüller, der Mitglied einer entspreche­nden Arbeitsgem­einschaft ist. So könnten erfahrene Seelsorger­innen und Seelsorger, die nicht Priester sind, mit den Ehrenamtli­chen vor Ort zusammenar­beiten. Das sorge für „zeitgemäße Nähe und fördert keine zentralen und daher zumeist anonymen Seelsorges­trukturen“.

 ?? FOTO: FABIAN STRAUCH/DPA ?? Christel Winkels sitzt in der Kirche St. Willibrord in Kleve. Die 56-jährige Pastoralre­ferentin steht seit gut einem Jahr an der Spitze eines sechsköpfi­gen Führungsgr­emiums in der katholisch­en Pfarrei.
FOTO: FABIAN STRAUCH/DPA Christel Winkels sitzt in der Kirche St. Willibrord in Kleve. Die 56-jährige Pastoralre­ferentin steht seit gut einem Jahr an der Spitze eines sechsköpfi­gen Führungsgr­emiums in der katholisch­en Pfarrei.

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