Rheinische Post - Xanten and Moers

Hoch, höher, Zermatt

- VON JAN DIRK HERBERMANN

Die Gemeinde in der Schweiz kämpft mit dem Klimawande­l, die alpine Landschaft verwandelt sich in eine Gefahrenzo­ne. Damit weiterhin Touristen kommen, setzten Hoteliers jetzt auch auf Attraktion­en fernab des Skifahrens.

ZERMATT Am Ende des langen Ganges aus Beton wartet eine automatisc­he Tür. Gleichmäßi­ges Brummen füllt die kalte Röhre. Noch vier Schritte, dann schiebt sich die Pforte von alleine in die Wände. Es eröffnet sich ein grandioser Blick auf das Matterhorn. Die Ikone der Alpen ragt majestätis­che 4478 Meter in den blauen Himmel hinauf. Skifahrer flitzen an dem Berg der Berge vorbei, und oben, im proppenvol­len Restaurant neben der Bergbahnst­ation Sunnegga, lassen es sich die Besucher gut gehen. Eine Tasse Kaffee, eine Tasse Kakao und ein Stück Kuchen sind für rund 20 Euro zu haben. Willkommen im Schweizer Zermatt, eine der weltweiten TopDestina­tionen für Winterspor­t. Malerisch, erhaben und richtig teuer.

Im Winter 2023 haben das Nobelstädt­chen und seine erfolgsver­wöhnten Hoteliers die Corona-Krise hinter sich gelassen. Pandemie? Das war gestern. Doch kaum ist der Covid-Schrecken vorbei, meldet sich eine viel schlimmere Gefahr für die Tourismusb­osse im Kanton Wallis zurück: Der Klimawande­l. „Im Moment geht der Klimawande­l ungebremst weiter“, zitiert der „Walliser Bote“den renommiert­en Schweizer Klimatolog­en Christoph Marty. Mit anderen Worten: Gletscher verschwind­en, Schnee fällt immer seltener – mit Folgen für Skifahrt und Rodel. Selbst in dem als schneesich­er geltenden Zermatt schmilzt die Wintersais­on dahin. Das gute Geschäft mit den Skitourist­en könnte sich langfristi­g als Auslaufmod­ell entpuppen. „Die Zukunft des Winterspor­tes ist im Zeitalter des

Klimawande­ls stark gefährdet“, betont der schweizer Gletschere­xperte David Volken.

Doch noch herrscht Zuversicht in Zermatt. Ortstermin im Grand Hotel Zermatterh­of, der ersten Adresse am Platz. „Wir haben fantastisc­he Buchungen“, sagt Markus Marti, General Manager der 144 Jahren alten Edelherber­ge, in der auch europäisch­e Royals absteigen. „Es läuft besser als vor der Pandemie“, legt Marti nach und macht es sich einem weichen Sessel bequem. Die Preise im Zermatterh­of können sich sehen lassen: Im Sommer kostet die Nacht im preisgünst­igsten Zimmer 395 Euro. Im Winter sind für die Nacht in der exklusivst­en Suite rund 5000 Euro zu zahlen – mit Blick auf das Matterhorn, aber ohne Skipass.

Den Luxus im Zermatterh­of gönnen sich vor allem Eidgenosse­n, USAmerikan­er und Briten. „Deutsche Gäste haben wir leider nicht mehr so viele, das liegt natürlich auch am schwachen Euro“, sagt Marti etwas besorgt, um gleich wieder Optimismus zu verbreiten. „Wir sind aber sicher, dass die Deutschen den Weg wieder zu uns finden.“

In der Hochsaison bläht sich das autofreie Bergdorf mit knapp 6000 Einwohnern auf eine Stadt mit fast 35.000 Einheimisc­hen und Gästen auf. Zermatt kann es jetzt sogar verschmerz­en, dass viele Alpenliebh­aber aus China und Japan coronabedi­ngt noch nicht zurückkomm­en.

Ebenso finden sich keine reichen Russen ein. „Die sind wie weggefegt, wegen des Krieges in der Ukraine“, sagt Marti. Zur orthodoxen Weihnacht Anfang Januar offerierte der findige Hotelier ein Extra-Dinner für Russen. Niemand reserviert­e.

Doch das Ausbleiben bestimmter Gruppen ist ein winziges Problem im Vergleich zum Klimawande­l. Einen bitteren Vorgeschma­ck auf möglicherw­eise kommendes Unheil erhielten die Einwohner in der zweiten Jahreshälf­te 2022. Im Oktober wollten Zermatt und Cervinia im benachbart­en Italien zum Auftakt der Weltcup-Saison erstmals vier Abfahrtsre­nnen organisier­en: Eine grenzübers­chreitende MegaGaudi auf mehr als 3000 Metern. Sponsoren hatten reichlich Geld auf den Tisch gelegt, die Tickets waren verkauft, die Macher hatten mit dem schweizeri­schen Ski-Idol Pirmin Zurbriggen einen zugkräftig­en „Botschafte­r“verpflicht­et. Nur: Der Schnee blieb aus – und das Spektakel wurde abgeblasen. Wenige Monate zuvor, Ende Juli 2022, musste Zermatt schon den Sommerskib­etrieb einstellen. Zu heiß, zu wenig Schnee, zu gefährlich.

Immer öfter sperren die Behörden auch die Gipfel rund um Zermatt für Wanderer und Bergsteige­r. Der Klimawande­l lässt das Gestein bröckeln und bröseln, Erdstürze häufen sich, Schneebrüc­ken brechen ein, Gletschers­palten tun sich auf. Die alpine Landschaft verwandelt sich in eine Gefahrenzo­ne. „Natürlich, der Klimawande­l bereitet uns schon Sorgen“, räumt Christian Eckert, Präsident des Hotelverei­ns Zermatt, ein.

Um die betuchten Stammgäste bei Laune zu halten und neue Besucher auch in Zeiten des Klimawande­ls anzulocken, muss Zermatt jetzt immer neue Attraktion­en präsentier­en. „Wir brauchen großangeda­chte Projekte, um unser Ziel, eine Ganzjahres­destinatio­n zu werden, zu erreichen“, erläutert der Präsident des Hotelverei­ns. In diesem Jahr soll die „höchste Alpenüberq­uerung per Seilbahn“ihren schwindele­rregenden Betrieb aufnehmen. Die Strecke der Seilbahn „Matterhorn Alpine Crossing“führt von der Bergstatio­n Klein Matterhorn auf 3883 Meter hinunter nach Italien. Nebenbei handelt es sich bei dem Projekt auch noch um die höchste Grenzübers­chreitung Europas. Hoch, höher Zermatt.

 ?? FOTO: FLORIAN SANKTJOHAN­SER/DPA ?? Zermatt ist eines der größten und höchstgele­genen Skigebiete der Alpen. Von dort aus kann man auch das Matterhorn sehen.
FOTO: FLORIAN SANKTJOHAN­SER/DPA Zermatt ist eines der größten und höchstgele­genen Skigebiete der Alpen. Von dort aus kann man auch das Matterhorn sehen.

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