Rheinische Post - Xanten and Moers
Meister der Steigerung
Das Royal Philharmonic Orchestra aus London gastierte in der Tonhalle. Am Pult stand der russische Dirigent Vasily Petrenko.
DÜSSELDORF Es gibt Kompositionen, die entfalten ihre beste Wirkung im Livekonzert. Dazu gehört die 5. Symphonie von Sergej Prokofjew. Auf Tonträgern erscheint diese Musik wie bis zur Unkenntlichkeit gestaucht – mit Ausnahme des relativ eingängigen Scherzo-Satzes. Nun ließ das Londoner Royal Philharmonic Orchestra unter der Leitung von Vasily Petrenko den Geist aus der Flasche.
In der gut besuchten Düsseldorfer Tonhalle erwies sich Petrenko, der 15 Jahre lang Chef des Royal Liverpool Orchestra war und seit der vorigen Konzertsaison beim Royal Philharmonic Orchestra die Stabführung innehat, als Meister des dramaturgischen Aufbaus. Bereits im Hauptsatz der Symphonie achtete er darauf, sein Pulver nicht zu schnell zu verschießen. Die von zahlreichen Dynamik-Steigerungen durchzogenen 45 Minuten von Prokofjews Fünfter verlangt in allen vier Sätzen einen langen Atem.
Petrenko wählte nüchtern straffe Tempi, schlug den Takt klar und elegant, unauffällig, aber nie langweilig. Mit dieser Strategie arbeitete er sich raffiniert zu den Kulminationspunkten vor, um dort effektvoll nachlegen zu können. Besonders fesselnd gelang ihm die Wiederholung des ATeils im berühmten Scherzo, das an zweiter Stelle der Symphonie steht. Prokofjew schreibt da ein ZeitlupenTempo vor, das wie eine ThemenVersteinerung wirkt. Mit stoischer Ruhe schlug Petrenko den Takt in dieser Passage, in der sich das Thema
allmählich zur Wiedererkennbarkeit belebt.
Sehr expressiv gestaltete das Orchester das emotional ambivalente Adagio, bei dem sich der Hörer nie ganz sicher sein kann, ob die Geigen vor Freude jauchzen oder aus Kummer schluchzen. Umso befreiter und heiterer ließ der Dirigent als Meister der Steigerung im freudig pochenden Finalsatz die Leinen los. Bereits im Eröffnungsstück des Abends, der summenden, surrenden und zuweilen hymnisch abhebenden Ouvertüre zu den „Wespen“von Ralph Vaughan Williams, kamen all diese Qualitäten Petrenkos und seines Royal Philharmonic Orchestras zum Ausdruck.
Dass die Londoner auch ohne Dirigenten auskommen können, demonstrierten sie in der Zugabe, während sich Petrenko schnell vom Pult verabschiedete: „Lezginka“von Aram Khatchaturian.
Dass aus einem vorzüglichen ein herausragender Abend wurde, lag auch am Solisten, dem kanadischen Pianisten Jan Lisiecki. Er spielte den Klavierpart in Edvard Griegs a-MollKonzert mit hinreißender Hingabe. Dies war mehr als Konzertieren, es war eine Mission. Vom athletischen, aber niemals groben Fortissimo bis zum lyrischen Klang gelang ihm alles perfekt – inklusive Koordination mit dem Orchester. Wer den Blick auf die Hände des jungen Virtuosen hatte, konnte sehen, welch spieltechnische Meisterschaft hinter alledem steckte. Selbst aus dem Anschlag eines einzelnen PianoTons machte er einen pianistischen Hochseilakt.