Rheinische Post - Xanten and Moers
Sneaker machen Leute
Der Kunstpalast Düsseldorf huldigt dem Design und stellt 250 Paar Schuhe aus – darunter Kultstücke, die weltweit bekannt sind.
DÜSSELDORF Ende der 1960er-Jahre kamen lange Mähnen bei Männern in Mode. In den 70ern trugen Frauen Blumen im Haar. In den 80ern erregte sich ein ganzes Land darüber, dass der grüne Minister Joschka Fischer zu seiner Vereidigung Turnschuhe trug. Doch zu dieser Zeit fasste der bequeme Sportschuh Fuß und setzte mit seiner biegsamen Sohle, den bunten Farben, mit seiner Leichtigkeit und der Möglichkeit des Schleichens (to sneak) und Federns zu einer fulminanten Karriere an.
Von 20 Milliarden Schuhen, die jährlich weltweit produziert werden, sind ein Viertel Sneaker. Die einmaligen darunter, die legendären, teuersten, die stilprägenden, ikonischen, bekannten und zukunftsfähigen hat jetzt das NRW-Forum in Düsseldorf zu einer munteren Ausstellung zusammengefügt.
Das wird Generaldirektor Felix Krämer höchstwahrscheinlich enormen Zulauf einbringen und gleichzeitig wieder Kritik. Als er 2018 in dem nebenan liegenden ehrwürdigen Kunstpalast viele tolle Autos unter dem Titel „Cars“zeigte, verzog so mancher die Miene und fand das Sujet nicht museumswürdig. Jetzt steht erneut die Frage im Raum nach dem vermeintlichen Kunstgehalt eines Turnschuhs.
Ist das nicht alles ein bisschen übertrieben, furchtbar gehypt? Ja sicher, aber ein Hype ist immer auch Indikator für gesellschaftliche und stilistische Strömungen. Krämer fühlt sich per Sammlungsauftrag dem Design verpflichtet und hat nun im angegliederten NRW-Forum, das Alain Bieber leitet, die ideale Plattform für eine solche Ausstellung gefunden. Sneaker gehören zum Design des Alltags, sind stilbildend für die Mode- und Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts und späterer Jahre bis heute.
Die Sneakertragewut ist auch ein gesellschaftliches Massenphänomen, das von einer Hinwendung zum Unkonventionellen, zum Dauerfreizeitlook
berichtet; außerdem ein Geheimcode dafür, dass man sich bestimmten Gruppen zuordnen möchte.
Sneaker machen Leute. Und ohne die richtigen Leute hätten Sneaker kaum Bedeutung. Würden nicht Sportler, Schauspieler, Models und Musiker bestimmte Sneaker tragen, wären die Schuhe nur halb so teuer und landeten nach dem Verschleiß im Müll.
Turnschuhgeneration nannte man die damals mehrheitlich jungen oder alternativen Menschen in Deutschland, die keine Lederschuhe mehr trugen. Dieser Trend währt nun schon etwa 40 Jahre und hat sich maximal verbreitert. In jedem Winkel der Erde, wo Schuhe getragen werden, sind Turnschuhe dabei. Sie werden in Baby- wie Rentnergrößen produziert, von Sportgiganten wie Adidas, Puma oder Nike, aber auch von Modelabeln wie Louis Vuitton, Balenciaga oder Yamamoto.
Meist nennen wir sie heute Sneaker, weil sich in den USA eine noch intensivere Turnschuhkarriere vollzogen hat, die vor allem von Basketballstar Michael Jordan befeuert wurde. Als Sportschuh transferierte man ihn mit gigantischen Werbemitteln erfolgreich nach Europa.
Dorthin, wo sich der Sneaker zum Kultobjekt entwickeln konnte, zum Sammlerstück und Statussymbol. Auf Auktionen wurde schon mehr als eine Million für einen aufgerufen, so 2021 für das Modell Yeezy 1, das Kanye West mit Nike entworfen hatte. Für den Erwerb von Sneakern aus limitierten Editionen campieren Kauflustige vor den Shops, in den Schulklassen selbst der kleinsten Kinder wird schon auf das Label geschielt, das am Fuß von weiter Welt, Markentreue und viel Geld berichtet.
Hinein in die Schau geht es durch einen überdimensionierten roten
Karton. Willkommen im schicken Schuh-Shop. Zu sehen sind ausschließlich Sneaker-Paare – in teils ungewöhnlichen Röhrenregalen drapiert wie in anderen unerwarteten Aufbauten. Der Schuh im Fokus, nichts soll ablenken. Jetzt ist der Kenner gefragt. Oder der Sportler, die Fashionista, von denen Düsseldorf ja bekanntlich viele hat.
Besonders wichtig für den merkantilen Auftrieb des Sneakers ist die Air-Jordan-Reihe. So ist ein Highlight der Ausstellung die komplette Serie des Air Jordan von 1985 in 20 Farbzusammenstellungen, die lediglich wenige Sammler weltweit
besitzen. Sehr witzig zu Beginn der sagenhafte Nike Mag aus dem Science-Fiction-Film „Zurück in die Zukunft II“– die Originalrequisite steht neben dem Serienmodell, das 25 Jahr später mit automatischer Schnürung und LEDs produziert wurde. Und vergangenes Jahr gab es einen neuen Hit: Big red boot heißen die stiefelartigen Sneaker aus dem Jahr 2023 – sehen aus wie für Schlümpfe hergerichtet, untragbar, etwas über 600 Euro wert.
Allerlei berühmte Designerschuhe sind aufgebaut und solche aus Kollaborationen – ein Schuh trägt Legoteile, ein anderer den Stadtplan von Berlin in der Sohle. Schließlich werden im Schlussteil Schuhe mit technologischen Innovationen, individuellen Maßanfertigungen vorgeführt und solche, die nachhaltige, auch konsumkritische Ansätze aufweisen.
Kaufen kann man leider nichts, aber vieles simulieren. Vor einem Bildschirm mit Augmented Reality lassen sich allerlei Sneakerschönheiten an die Füße heften. Beim allerletzten Schritt aus der Ausstellung heraus wartet ein Spiegel für Selfies. Wetten, dass 90 Prozent der Besucherinnen und Besucher hier die eigenen Sneaker fotografieren?