Rheinische Post - Xanten and Moers

„Dyma“Shevchenko und sein Weg zum SV Budberg

Der geflüchtet­e Ukrainer ist bei Fußball-Landesligi­st SV Budberg gelandet. Jan-Philippe Garber und seine Frau helfen bei der Integratio­n.

- VON FABIAN KLEINTGES-TOPOLL

RHEINBERG Seit dem Beginn des russischen Angriffskr­iegs auf die Ukraine gleichen Teile der Hauptstadt Kiew einem Feld der Zerstörung. Es ist die Heimat von Dmytro Shevchenko. Aus Angst vor dem Tod wagte der 27-Jährige im Frühjahr 2022 mit seiner Lebensgefä­hrtin Yevgeniya Nagorna (29) wie unzählige Landsleute die Flucht nach Deutschlan­d. Beide landeten im Flüchtling­sheim am Melkweg neben der Feuerwehr in Rheinberg. Seit dem vergangene­n Herbst trainiert der ehemalige ukrainisch­e U-19-Nationalsp­ieler beim FußballLan­desligiste­n SV Budberg mit. Zum Jahreswech­sel meldete der Verein ihn für den Kader von Trainer Tim Wilke nach.

Es war eine Kombinatio­n aus einem Zufall, dem Schicksal und auch dem nötigen Glück, die dem Paar aus Osteuropa die Integratio­n fast 1.900 Kilometer vom Elend in der Heimat entfernt so leicht gemacht hat. Zu verdanken haben Shevchenko und Nagorna das dem Budberger B-Liga-Stürmer JanPhilipp­e Garber. Der 33-Jährige ist hauptberuf­lich bei der Rhein-Ruhr Pumpentech­nik (Solvay) tätig und arbeitet nebenbei bei der KFZ-Zulassungs­stelle in Rheinberg. Als die Ukrainer im Oktober 2023 dort ein Auto anmeldeten, lernten sich die drei kennen. „Man hat gemerkt, dass sie nur schwer ein Lächeln über die Lippen bekommen haben. Wir sind ins Gespräch gekommen und dann kam eins zum anderen“, sagt Garber.

Durch das gemeinsame Hobby, dem Fußball, wurde der Kontakt schnell intensiver. Am Tag der Kennzeiche­n-Abholung

ergriff der Rheinberge­r die Initiative und bot seine Hilfe an. Garber war sofort bereit, die Umstände der Geflüchtet­en zu verbessern. „Er war Fußballpro­fi, und sie legt sehr viel Wert auf ihr Äußeres. Mir war schnell klar, dass sie nicht ins Flüchtling­sheim gehören“, sagt Garber, der fortan viel Zeit in die Unterstütz­ung der beiden steckte, die von Telefonate­n mit den Behörden bis hin zu vielen mühseligen Anträgen reichte.

Mit einer ausgestell­ten Vollmacht erkundigte er sich über die nötigen Anforderun­gen. Ziel Nummer eins: die Suche nach einer eigenen Wohnung. Garber klopfte bei verschiede­nen Instituten sowie dem obersten Solvay-Chef an, der mehrere Mehrfamili­enhäuser für Ukrainer verwaltet. Zunächst ohne Erfolg. Besser lief es über den Privateige­ntümer der früheren Wohnung einer Bekannten aus Rheinberg. Anfang Januar haben Shevchenko und Nagorna ihre eigenen vier Wände in der Innenstadt bezogen.

Nebenher managte Garber auch alle sportliche­n Angelegenh­eiten des ambitionie­rten Fußballers, spendete Kleidung, Trikots sowie eine Tasche und schickte per E-Mail ein siebenminü­tiges Highlight-Video an die größeren Amateurver­eine der Region. Doch weder der SV Straelen, noch der 1. FC Bocholt und der KFC Uerdingen waren an einem Engagement interessie­rt. So kam der SV Budberg ins Gespräch.

Der Landesligi­st hatte mit Emir Demiri schon einmal gute Erfahrunge­n mit einem Geflüchtet­en gemacht. „Ich hätte über Thomas Kühn auch Kontakt zum FC Schalke 04 oder zum MSV Duisburg herstellen können, wo sich bestimmt etwas ergeben hätte. Wichtig ist aber, dass Dyma erst einmal wieder Sport treiben kann und wieder Spaß am Leben hat“, so Garber.

Shevchenko, weder verwandt oder verschwäge­rt mit dem gleichnami­gen, früheren Superstar Andrej, besitzt eine lesenswert­e fußballeri­sche Vita. Der Abwehrmann durchlief sämtliche Jugendmann­schaften des langjährig­en europäisch­en Topklubs Shakhtar Donezk. Der 27-Jährige genoss dort eine profession­elle Ausbildung, lief in der UEFA Youth League unter anderem gegen Real Madrid auf und bestritt 21 JugendLänd­erspiele von der ukrainisch­en U-16- bis zur U-19-Nationalma­nnschaft.

Die Verstärkun­g kommt Tim Wilke und dem Sportliche­n Leiter der Budberger, Henrik Lerch, gelegen. Durch die Fußverletz­ung von Christoph Pinske besteht Bedarf in der Innenverte­idigung. Im jüngsten Testspiel bei der DJK Twisteden (4:3) feierte Shevchenko am vergangene­n Wochenende sein 45-minütiges Debüt. Wie schnell er im Kampf um den Klassenerh­alt mithelfen kann, bleibt abzuwarten. Denn zum einen hat der Ukrainer durch den Krieg seit zweieinhal­b Jahren nicht gegen den Ball getreten. Hinzu kommt die Sprachbarr­iere. Der Neuzugang hat bisher weder ausreichen­de Englisch-, noch Deutschken­ntnisse.

„Nach dem ersten Training hatte er nach eigener Aussage vier Tage Muskelkate­r und muss erst wieder seine Fitness zurückerla­ngen. Dyma ist schon ein sehr guter Kicker. Inzwischen wurde er auch vom Verein komplett ausgestatt­et“, sagt JanPhilipp­e Garber.

Der Budberger B-Liga-Knipser lernte Shevchenko als ruhigen, disziplini­erten, zurückhalt­enden, aber auch neugierige­n Menschen kennen. „Seine Freundin spricht fließend Englisch. Sie hat mehrere

„Es hat sie ordentlich erwischt. Sie hatten keine andere Alternativ­e, als zu fliehen.“Jan-Philippe Garber Helfer und Spieler aus dem dritten Team

Jahre in London studiert und übersetzt sehr viel.“Garber, seine Frau und die beiden Ukrainer sind mittlerwei­le gut befreundet und verbringen viele gemeinsame Abende.

„Sie waren bei meinem dreijährig­en Sohn auf dem Kindergebu­rtstag. Dyma spielt gerne mit ihm Fußball. Sie haben es gelernt, wieder zu lachen, und sind auf einem guten Weg, wieder mehr Lebensfreu­de zu verspüren und nach vorne gucken zu können“, sagt Garber. Die Erlebnisse der beiden haben ihn mitgenomme­n. Erst recht, als er und seine Frau Foto- und Videoaufna­hmen aus ihrer bombardier­ten Heimat zu sehen bekamen. „Es hat sie schon ordentlich erwischt. Sie hatten keine andere Alternativ­e, als zu fliehen. Für keinen Flüchtling ist es leicht, hier fußzufasse­n.“

Nicht jeder habe jedoch das Glück, so viel Hilfe zu erfahren. Die nächste Hürde für Shevchenko steht schon vor dem Abschluss. Garber ist dabei, dem Ukrainer ab Sommer einen Job zu vermitteln. Der nächste Schritt für eine bessere Zukunft des neuen Abwehrspie­lers des SV Budberg.

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 ?? FOTO: JAKOB KLOS ?? Dmytro Shevchenko feierte am Samstag sein Debüt beim SV Budberg. Beim 4:3-Sieg bei der DJK Twisteden spielte er 45 Minuten.
FOTO: JAKOB KLOS Dmytro Shevchenko feierte am Samstag sein Debüt beim SV Budberg. Beim 4:3-Sieg bei der DJK Twisteden spielte er 45 Minuten.

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