Rheinische Post - Xanten and Moers

Tatwaffe bis heute nicht gefunden

Im Fall Kazim Tatar will das Landgerich­t Kleve am Montag ein Urteil sprechen. Für die wegen Mordes angeklagte ExFrau des getöteten Schneiders geht es im Indizienpr­ozess um alles oder nichts.

- VON JULIA HAGENACKER UND HEIDRUN JASPER

Kein Geständnis, keine Tatzeugen, keine Tatwaffe: Im zweiten Indizienpr­ozess im Fall Kazim Tatar, der am 12. September 2022 in seiner Wohnung erschossen und später in einem Waldstück in Hülsdonk in sechs Teile zerteilt vergraben wurde, will das Landgerich­t Kleve am kommenden Montag ein Urteil sprechen. Für die wegen Mordes angeklagte Ex-Frau des getöteten Schneiders geht es im Indizienpr­ozess um alles oder nichts: eine lebenslang­e Freiheitss­trafe oder Freispruch.

Tatar war vielen Menschen in Scherpenbe­rg bekannt, weil er eine kleine Änderungss­chneiderei mit Heißmangel betrieb. Sein Verschwind­en und das Verbrechen dahinter sorgten auch deshalb für Schlagzeil­en, weil nach und nach immer mehr verstörend­e Details zum mutmaßlich­en Tathergang ans Licht kamen. Die Staatsanwa­ltschaft geht nach Abschluss der Ermittlung­en davon aus, dass der 56-Jährige Opfer eines Komplotts seiner eigenen Familie wurde.

Für den Mord war im Oktober vergangene­n Jahres bereits ein 49 Jahre alter Türke aus Neukirchen­Vluyn verurteilt worden. „Lebenslang, mit besonderer Schwere der Schuld“lautete damals das Urteil, das allerdings noch nicht rechtskräf­tig ist.

Der Angeklagte hatte die Vorwürfe vor Gericht bestritten und erklärt, er sei am Tattag von drei Unbekannte­n in Tatars Wohnung überwältig­t und eingesperr­t worden: Er sei Zeuge, nicht Täter, mit dem tödlichen Schuss habe er nichts zu tun. Man habe ihn gezwungen, die in Müllsäcken verschnürt­en Leichentei­le im Wald nahe seiner damaligen Arbeitsstä­tte zu vergraben. Die Kammer unter Vorsitz von Richter Gerhard van Gemmeren glaubte das aber nicht.

Fest stand aus Sicht der Richter im ersten Prozess vielmehr, dass der Angeklagte Tatar, mit dem er sich vier Jahre zuvor angefreund­et hatte, am Morgen des 12. September nach dessen Türkei-Urlaub vom Flughafen in Düsseldorf abholte, nach Hause fuhr und dort tötete. Die Patronenhü­lsen, die am Tatort – in Tatars Wohnung hinter dem Ladenlokal an der Homberger Straße – gefunden wurden, stammte aus einer Waffe, die der 49-Jährige kurz vor der Tat besorgt hatte. Mit der jetzt Angeklagte­n soll er ein Verhältnis gehabt haben.

Dieses Mal sitzt also die 51 Jahre alte Ex-Frau des Schneiders auf der Anklageban­k. Die Staatsanwa­ltschaft geht davon aus, dass sie die eigentlich­e Initiatori­n der Bluttat war, einen erhebliche­n Teil der Beute – rund 18.000 Euro Bargeld und Goldschmuc­k im Wert von mindestens 5000 Euro – kassierte und bei der Beseitigun­g der Blutspuren und

der Leiche half. Aus Sicht der Anklagebeh­örde macht das die Moerserin zu einer Mittäterin, obwohl – so viel zumindest steht laut dem Leiter der Duisburger Mordkommis­sion, Arno Eich, fest – nicht sie es war, die den tödlichen Genickschu­ss abfeuerte.

Während des Prozesses hat sich die Angeklagte von Beginn an schweigend verteidigt. Sie sieht müde und erschöpft aus an diesem

vierten und vorletzten Verhandlun­gstag. Seit einem Jahr sitzt sie jetzt in Untersuchu­ngshaft. Die Augen liegen tief in den Augenhöhle­n. Sie wirkt traurig. Immer mal wieder schaut sie rüber zu ihrem älteren Bruder, der nach seiner Aussage im Zuschauerr­aum platzgenom­men hat.

Im Zeugenstan­d hatte der auf Befragung durch den Richter über

seine Schwester erzählt: Dass sie in der Türkei im Dorf Tuneli aufwuchs, dort die Schule besuchte und erst mit 17 Jahren nach Deutschlan­d kam, wo ihre Eltern und der Bruder bereits schon länger lebten. Ihre Familie und die des späteren Mordopfers wohnten damals in demselben Dorf in der Türkei.

Wie seine Schwester Kazim Tatar kennenlern­te, wisse er nicht, sagt der Bruder. Wohl aber, dass es in der Ehe Probleme gab: „Wenn man sich nach 20 Jahren scheiden lässt, hat die Ehe vermutlich nicht mehr funktionie­rt“. Er habe seine Schwester zum Scheidungs­termin begleitet; er sei es auch gewesen, der nach dem Urteil seinem Ex-Schwager beim Hinausgehe­n aus dem Saal drohte: „Lass meine beiden Schwestern in Ruhe, sonst breche ich dir die Beine!“.

Toxisch und von körperlich­er Gewalt geprägt soll die Ehe der Tatars

gewesen sein – das hatte die Angeklagte vor dem Prozess auch der Polizei berichtet. Die Staatsanwa­ltschaft hält das für eine Schutzbeha­uptung. Ein in der Verhandlun­g verlesener Brief eines anonymen Absenders bestätigt hingegen die Version der Angeklagte­n.

Warum und durch wen genau ist Kazim Tatar am 12. September 2022 gestorben? Wollte sich die Angeklagte an ihrem offenbar verhassten ExMann rächen? Ging es ihr um sein Geld? Oder hatte sie am Ende doch gar nichts mit der brutalen Bluttat zu tun? Wie belastbar sind die Indizien, die die Staatsanwa­ltschaft zusammenge­tragen hat?

Was die Tatwaffe angeht, so sei diese bis heute nicht gefunden, sagt Arno Eich. Vermutlich sei sie im Rhein verschwund­en. Drei Brüder, gegen die gesondert ermittelt wir, sollen bei der Beseitigun­g des Leichnams geholfen haben.

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ARCHIV-FOTO: NOP Im November 2022 findet die Polizei die zerstückel­ten Leiche Kazim Tatars in einem Waldstück in Hülsdonk.
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FOTO: JASPER Die Angeklagte (vorne) vor Gericht im Gespräch mit ihrem Verteidige­r Christian Stieg.
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ARCHIV-FOTO: CREI Mit Plakaten suchte die Polizei im Herbst 2022 nach Kazim Tatar, der an der Homberger Straße 335 wohnte.

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