Rheinische Post - Xanten and Moers
„Gesprächsstörungen überwinden“
Der Politikwissenschaftler und Parteienforscher Karl-Rudolf Korte stellte in Rheinberg in einem Live-Talk sein neues Buch „Wählermärkte“vor. Im Gespräch mit Jens Korfkamp riet er zu Zuversicht und einer positiven Perspektive.
Ach, könnten unsere Bundespolitiker uns die komplexen Herausforderungen der Zeit doch so gut erklären wie dieser Mann! Das dürften viele der Besucherinnen und Besucher im vollen Saal der Alten Kellnerei gedacht haben, als sie Professor Karl-Rudolf Korte dort am Mittwoch beim Live-Talk im Gespräch mit VHS-Leiter Jens Korfkamp erlebten. Korte, bundesweit bekannter, viel gefragter und kluger Analytiker der Polit- und Parteienlandschaft, lieferte einen beeindruckenden und sympathischen Auftritt ab: eloquent, unterhaltsam, witzig-spritzig, auf den Punkt und klar in der Zuspitzung, dabei nie um einen markigen Spruch verlegen.
Dass die Zeit bei dieser Kooperationsveranstaltung von VHS und NRW School of Governance (deren Direktor der Politikwissenschaftler und Professor an der Uni DuisburgEssen ist) in Windeseile verstrich, lag auch am sehr guten Fragensteller Jens Korfkamp. Der begrüßte die Zuhörer mit den Worten „Ich bin nicht Caren Miosga“und spielte auf Kortes enorme Medienpräsenz an. Der 65-Jährige ist regelmäßiger Gast in großen Nachrichtensendungen, und auch in Talk-Shows ist seine Expertise gefragt.
Korte stellte sein neues Buch „Wählermärkte – Wahlverhalten und Regierungspolitik in der Berliner Republik“vor. Da ist Rheinberg in illustrer Gesellschaft. Auch in Berlin, mit Ministerpräsidentin Malu Dreyer in Rheinland-Pfalz und auf der Leipziger Buchmesse ist oder war er zu erleben.
Bei der Wahl des Buchtitels habe er bewusst auf die Metapher des Wochenmarktes zurückgegriffen, erläuterte der Autor. Denn auf Märkten entstehen Gespräche, und aus Gesprächen entsteht Politik. Wähler und Politiker, das sei wie Markthändler hinter und Käufer vor dem Stand. Der „Resonanzdraht“zwischen diesen beiden Seiten sei „ein Schlüssel, um Gesprächsstörungen zu überwinden“. Und derlei Störungen gibt es genügend: zwischen protestierenden Bauern und Politikern, zwischen Anhängern
rechtsextremer oder rechtspopulistischer Parteien wie insbesondere der AfD und Demokraten oder zwischen Bundeskanzler Olaf Scholz und dem Volk. Der, so mutmaßte der Redner, habe offenbar ein „Schweigegelübde“abgelegt: „Selbst wenn er spricht, ist das noch Schweigen. Er ist eben kein Niederrheiner.“Schulz gehe angeblich nicht zum Arzt, „weil dort ja Sprechstunde ist“. Wirtschaftsminister Robert Habeck sei mit seiner oft verschachtelten und ausschweifenden Art zu reden eine höchst interessante Ergänzung zum Regierungschef.
Karl-Rudolf Korte riet dazu, der stimmungsmäßigen Depression im Land mit Zuversicht und einer positiv gedrehten Perspektive zu
begegnen. „Die Gesellschaft ist ja in Bewegung“, sagte er. „Aber wir sollten nicht gegen die AfD aufstehen, sondern für das Grundgesetz“und die freiheitlich-demokratische Grundordnung, auf die man in Deutschland stolz sein könne. Denn aus Stimmungen werden seiner Erfahrung nach Stimmen, „und 85 Prozent der Wähler entscheiden sich für die politische Mitte“und nicht für die extremen Ränder. Damit unterscheide sich Deutschland von anderen Ländern in Europa.
Korte skizzierte deutsche Seltsamkeiten. Richtige Typen gebe es kaum noch in der Politik: „Heute wird alles niedergeschmust.“Die Wähler sollten aufhören, „wie das Kaninchen vor der Schlange zu sitzen
und sich zu fragen, ob die AfD nun 25 oder 30 Prozent bekommt“. Was gebraucht werde, sei ein „enkelfähiges Zukunfts-Narrativ“und Medienmündigkeit: „Der Idealzustand ist, wenn die Bürger dazu befähigt werden, selbst zu entscheiden.“
Im zweiten Teil des Live-Talks stellten Zuhörer Fragen, die Korte bereitwillig beantwortete. Da ging es um die Ungerechtigkeit, dass Kommunalpolitiker die Kloppe für die Taten der Bundespolitik abbekämen und um die Frage, ob die berühmte demoskopische Sonntagsfrage eigentlich Wahlergebnisse beeinflusse. Ja, das passiere, sagte Korte: „Denn wir haben in Deutschland auch eine Umfrage-Demokratie.“