Rheinische Post - Xanten and Moers

Aufatmen in NRW nach Bahn-Einigung

Nachdem sich die Lokführerg­ewerkschaf­t GDL und die Deutsche Bahn auf einen Tarifvertr­ag verständig­t haben, herrscht gute Stimmung in Politik und Wirtschaft. Doch die Diskussion um eine Änderung des Streikrech­ts geht weiter.

- VON J. MARQUARDT, B. MARSCHALL, H. STRAUSS UND S. ZEHRFELD

Die Erleichter­ung war unüberhörb­ar, sowohl in der Politik als auch unter Wirtschaft­sexperten. Nach der Tarifeinig­ung der Deutschen Bahn und der Lokführerg­ewerkschaf­t GDL jubelte Verkehrsmi­nister Volker Wissing (FDP) regelrecht, gerade vor Ostern sei dies „eine wirklich frohe Botschaft“: Nach vier Monaten der Tarifausei­nandersetz­ung sind weitere Streiks erst mal abgewendet.

Bahn und Gewerkscha­ft einigten sich auf die schrittwei­se Reduzierun­g der Wochenarbe­itszeit für Schichtarb­eitende auf 35 Stunden ohne Lohnverlus­t. Die Beschäftig­ten können für mehr Geld trotzdem freiwillig mehr arbeiten. Außerdem gibt es 2850 Euro Inflations­ausgleich und eine Lohnerhöhu­ng um insgesamt 420 Euro pro Monat bei einer Laufzeit von 26 Monaten.

Nachdem die Lokführer bis zu dem zäh errungenen Kompromiss insgesamt sechs Mal in den Ausstand

getreten waren, sorgte das Ergebnis am Dienstag aber nicht nur für reine Freude. Die CDU-Politikeri­n Angela Erwin, Vorsitzend­e der Mittelstan­ds- und Wirtschaft­sunion NRW, erneuerte ihren Vorstoß für Änderungen am Streikrech­t. „Zuerst einmal ist es eine gute Nachricht, dass ein Bahnstreik der GDL über Ostern abgewendet scheint“, sagte sie unserer Redaktion: „Das grundsätzl­iche Problem aber ist damit nicht gelöst: Wir brauchen klare Regeln für Streiks in kritischer Infrastruk­tur – jetzt und in Zukunft.“Niemand wolle an der Tarifauton­omie oder dem allgemeine­n Streikrech­t rütteln, betonte sie. Aber sie forderte verpflicht­ende Schlichtun­gsverfahre­n im Vorfeld von Streiks in der kritischen Infrastruk­tur, die Einrichtun­g von Notfalldie­nsten und, „auf Streiks im Umfeld von bundesweit­en Feiertagen wie jetzt an Ostern zu verzichten“.

Aus der SPD-Landtagsfr­aktion kam prompt Widerstand: Die Äußerungen insbesonde­re aus der CDU-Wirtschaft­sunion seien der

SPD eine Warnung, sagte die wirtschaft­spolitisch­e Sprecherin Lena Teschlade. „Sie wollen die Arbeitnehm­errechte einschränk­en. Das ist mit uns aber nicht zu machen, denn der Streik ist das wichtigste Instrument für Arbeitnehm­ende, um mit Unternehme­n auf Augenhöhe zu verhandeln. Deshalb gilt: Finger weg vom Streikrech­t.“Die erzielte Einigung nannte sie ein gutes Ergebnis. „Der Weg zu einer 35-Stunden-Woche ist nun klar.“

Auch der Vorsitzend­e des Fahrgastve­rbands Pro Bahn, Detlef Neuß, lobte den Kompromiss. Ohne bessere Arbeitsbed­ingungen bekomme die Bahn kein neues Personal, „die Jobs in der Schicht- und Wochenenda­rbeit sind bisher nicht attraktiv genug gewesen“, befand er. „Allerdings hätte man die Einigung auch ohne so viele Streiks erzielen können.“

Wirtschaft­svertreter aus NRW reagierten ähnlich: „Es ist gut, dass nun eine Einigung erreicht und weiterer Schaden vom Wirtschaft­sstandort Deutschlan­d abgewendet ist. Dies schafft wichtige Planungssi­cherheit für Unternehme­n und Berufspend­ler“, sagte Tanja Nackmayr, stellvertr­etende Hauptgesch­äftsführer­in von Unternehme­r NRW. Die Schäden für die Wirtschaft seien immens, wenn aufgrund von Streiks Lieferkett­en für Vorprodukt­e und Rohstoffe gestört, fertige Produkte nicht transporti­ert würden und Berufspend­ler nicht fahren könnten.

Generell wurde nicht nur die Einigung selbst positiv bewertet, auch ihre Details fanden Zuspruch. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung, Marcel Fratzscher, nannte den Kompromiss klug, „weil er mehr Flexibilit­ät für die Beschäftig­ten bei der Wahl ihrer Arbeitszei­t schafft. Die erhöhte Flexibilit­ät führt zu mehr Zufriedenh­eit, weniger Krankheits­tagen und damit zu einer höheren Produktivi­tät, wovon alle Seiten profitiere­n“. Mit der schrittwei­sen Reduzierun­g der Arbeitszei­t habe die Bahn Zeit, neue Fachkräfte zu finden und auszubilde­n. Nun müssten Politik und Tarifparte­ien das Streikrech­t so anpassen, „dass es eine schnellere Einigung gibt und der wirtschaft­liche Schaden begrenzt bleibt“.

Bundesverk­ehrsminist­er Wissing merkte an, es sei nach den vergangene­n Monaten kein Wunder, dass die Frage laut geworden sei, „ob das Streikrech­t womöglich an die Gegebenhei­ten unserer Zeit angepasst werden muss“.

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