Rheinische Post - Xanten and Moers
Erleichterungen im Eilverfahren
Die EU-Vorgaben für die Landwirtschaft werden deutlich gelockert. Entsprechende Vorschläge der Kommission könnten noch im Frühjahr in Kraft gesetzt werden. Die Proteste dauern trotzdem an.
Wieder verteilen Bauern viel Mist im Brüsseler Europaviertel, wieder stecken sie Reifen in Brand, wieder warnt die Polizei vor gefährlichen Situationen in Europas Hauptstadt angesichts Hunderter anrollender Traktoren. Schon zum dritten Mal in diesem Jahr verlangen aggressive Landwirte massive Erleichterungen von den EU-Verantwortlichen. Und wieder sind sie damit letztlich erfolgreich, denn die Vertreter der 27 EU-Staaten winkten bereits am Dienstagmorgen einen Vorschlag der EU-Kommission durch, Europas Landwirten deutlich und schnell entgegenzukommen. Stimmt auch das Europaparlament im April im Eilverfahren zu, gibt es schon im Frühjahr in der EU neue Bauernregeln mit erheblich weniger Bürokratie. Sehr zum Verdruss von Deutschlands Agrarminister Cem Özdemir (Grüne).
Er hat nichts gegen das geraffte Verfahren, unterstützt auch eine ganze Reihe der vorgeschlagenen Erleichterungen. Doch hinter einige andere setzt er „massive Fragezeichen“. So seien Vorgaben für die Fruchtfolge, die laut Kommission nun in Teilen entfallen sollen, „nicht aus Jux und Dollerei“erlassen worden. Dahinter stecke vielmehr die Erkenntnis, wie wichtig der wechselnde Anbau für die Bodenfruchtbarkeit und für die dauerhafte Sicherheit der Ernte sei. Was hier geplant sei, halte er schlicht für den „falschen Weg“.
Özdemir ist mit dem Eindruck nach Brüssel gekommen, dass zwar davon gesprochen werde, unnötige Bürokratie abzubauen, dass damit aber gemeint sei, Umweltauflagen und Artenschutz wegfallen zu lassen. Nachdrücklich wirbt er für eine Folgenabschätzung. „Was wir heute verloren geben, muss umso mühsamer wiederaufgebaut werden“, warnt der Grüne. Bürokratieabbau dürfe keine Ausrede dafür sein, Umweltauflagen außer Kraft zu setzen.
Der Chef des EU-Agrarausschusses, Norbert Lins (CDU), begrüßt die Entscheidung des Rates dagegen nachdrücklich und reagiert darauf mit „großer Erleichterung und Zustimmung“. Der Schritt habe große Bedeutung für die europäische Landwirtschaft und zeige, wie entscheidend es sei, die Praktikabilität und Nachhaltigkeit der Agrarpolitik stetig zu verbessern. Er sei zuversichtlich, dass das Schnellverfahren nun auch ohne Veränderungen durch das Europäische Parlament gehen werde, erklärt der Europaabgeordnete.
Nach dem Widerstand zum Thema des Vormittags stellt sich Özdemir auch bei den Beratungen des Nachmittags anders auf als etliche seiner Kollegen. Es geht um Lebensmittellieferungen aus der Ukraine, die für Einkommensverluste europäischer Bauern verantwortlich gemacht werden. Als Folge hatten die EU-Verhandler die Verlängerung der Zollfreiheit eingeschränkt. Bei Hafer, Mais, Zucker, Honig und Geflügel sind nun nur noch ukrainische Exporte im Umfang der Durchschnittsmengen der Vorjahre zollfrei – alles, was darüber geht, kostet extra. Vor allem Polen und Frankreich hatten sich beim Gipfel Ende vergangener Woche dafür stark gemacht, diese Einschränkungen auch beim Weizen anzuwenden.
„Ungerecht“ist es für Özdemir dagegen, die Ukraine für Fehler anderer verantwortlich zu machen. Dass in Polen die Getreidespeicher voll seien, liege nicht am ukrainischen Weizen, sondern an falschen Verkaufsempfehlungen der vormaligen Pis-Regierung. Er warnt seine Kollegen davor, sich an „Putins Propaganda“zu beteiligen, die das Sinken der Getreidepreise in Europa auf die ukrainischen Lieferungen zurückführe. „Dafür gibt es keinen Beleg“,
meint Özdemir. Und er setzt noch einen drauf und erklärt auch die EU-Agrarminister zum Teil des Solidaritätsprojektes mit der Ukraine. „Man kann nicht in Sonntagsreden Solidarität mit der Ukraine predigen und von montags bis freitags das Gegenteil machen“, meint der Grünen-Minister. An diesem Mittwoch wollen die EU-Vertreter erneut über die Zollregelungen entscheiden.
Die Situation der Winzer bereitet den Agrarministern laut Özdemir ebenfalls „große Sorgen“. Hier müsse die Kommission ebenfalls Entlastungen vorbereiten. Zugleich will der Minister „die Strukturprobleme angehen und dazu europaweit das Produktionspotenzial senken. Sein Vorschlag: Rodungen mit Biodiversitätsmaßnahmen zu verbinden. Ohnehin lautet sein Vorschlag für die beginnenden Verhandlungen zur nächsten Phase der Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik, künftig den Grundsatz „öffentliches Geld für öffentliche Leistungen“vorzusehen. Bäuerinnen und Bauern könnten dann mit freiwilligem Artenschutz, Klimaschutz und Tierwohl Geld verdienen.