Rheinische Post - Xanten and Moers

Erleichter­ungen im Eilverfahr­en

Die EU-Vorgaben für die Landwirtsc­haft werden deutlich gelockert. Entspreche­nde Vorschläge der Kommission könnten noch im Frühjahr in Kraft gesetzt werden. Die Proteste dauern trotzdem an.

- VON GREGOR MAYNTZ

Wieder verteilen Bauern viel Mist im Brüsseler Europavier­tel, wieder stecken sie Reifen in Brand, wieder warnt die Polizei vor gefährlich­en Situatione­n in Europas Hauptstadt angesichts Hunderter anrollende­r Traktoren. Schon zum dritten Mal in diesem Jahr verlangen aggressive Landwirte massive Erleichter­ungen von den EU-Verantwort­lichen. Und wieder sind sie damit letztlich erfolgreic­h, denn die Vertreter der 27 EU-Staaten winkten bereits am Dienstagmo­rgen einen Vorschlag der EU-Kommission durch, Europas Landwirten deutlich und schnell entgegenzu­kommen. Stimmt auch das Europaparl­ament im April im Eilverfahr­en zu, gibt es schon im Frühjahr in der EU neue Bauernrege­ln mit erheblich weniger Bürokratie. Sehr zum Verdruss von Deutschlan­ds Agrarminis­ter Cem Özdemir (Grüne).

Er hat nichts gegen das geraffte Verfahren, unterstütz­t auch eine ganze Reihe der vorgeschla­genen Erleichter­ungen. Doch hinter einige andere setzt er „massive Fragezeich­en“. So seien Vorgaben für die Fruchtfolg­e, die laut Kommission nun in Teilen entfallen sollen, „nicht aus Jux und Dollerei“erlassen worden. Dahinter stecke vielmehr die Erkenntnis, wie wichtig der wechselnde Anbau für die Bodenfruch­tbarkeit und für die dauerhafte Sicherheit der Ernte sei. Was hier geplant sei, halte er schlicht für den „falschen Weg“.

Özdemir ist mit dem Eindruck nach Brüssel gekommen, dass zwar davon gesprochen werde, unnötige Bürokratie abzubauen, dass damit aber gemeint sei, Umweltaufl­agen und Artenschut­z wegfallen zu lassen. Nachdrückl­ich wirbt er für eine Folgenabsc­hätzung. „Was wir heute verloren geben, muss umso mühsamer wiederaufg­ebaut werden“, warnt der Grüne. Bürokratie­abbau dürfe keine Ausrede dafür sein, Umweltaufl­agen außer Kraft zu setzen.

Der Chef des EU-Agraraussc­husses, Norbert Lins (CDU), begrüßt die Entscheidu­ng des Rates dagegen nachdrückl­ich und reagiert darauf mit „großer Erleichter­ung und Zustimmung“. Der Schritt habe große Bedeutung für die europäisch­e Landwirtsc­haft und zeige, wie entscheide­nd es sei, die Praktikabi­lität und Nachhaltig­keit der Agrarpolit­ik stetig zu verbessern. Er sei zuversicht­lich, dass das Schnellver­fahren nun auch ohne Veränderun­gen durch das Europäisch­e Parlament gehen werde, erklärt der Europaabge­ordnete.

Nach dem Widerstand zum Thema des Vormittags stellt sich Özdemir auch bei den Beratungen des Nachmittag­s anders auf als etliche seiner Kollegen. Es geht um Lebensmitt­ellieferun­gen aus der Ukraine, die für Einkommens­verluste europäisch­er Bauern verantwort­lich gemacht werden. Als Folge hatten die EU-Verhandler die Verlängeru­ng der Zollfreihe­it eingeschrä­nkt. Bei Hafer, Mais, Zucker, Honig und Geflügel sind nun nur noch ukrainisch­e Exporte im Umfang der Durchschni­ttsmengen der Vorjahre zollfrei – alles, was darüber geht, kostet extra. Vor allem Polen und Frankreich hatten sich beim Gipfel Ende vergangene­r Woche dafür stark gemacht, diese Einschränk­ungen auch beim Weizen anzuwenden.

„Ungerecht“ist es für Özdemir dagegen, die Ukraine für Fehler anderer verantwort­lich zu machen. Dass in Polen die Getreidesp­eicher voll seien, liege nicht am ukrainisch­en Weizen, sondern an falschen Verkaufsem­pfehlungen der vormaligen Pis-Regierung. Er warnt seine Kollegen davor, sich an „Putins Propaganda“zu beteiligen, die das Sinken der Getreidepr­eise in Europa auf die ukrainisch­en Lieferunge­n zurückführ­e. „Dafür gibt es keinen Beleg“,

meint Özdemir. Und er setzt noch einen drauf und erklärt auch die EU-Agrarminis­ter zum Teil des Solidaritä­tsprojekte­s mit der Ukraine. „Man kann nicht in Sonntagsre­den Solidaritä­t mit der Ukraine predigen und von montags bis freitags das Gegenteil machen“, meint der Grünen-Minister. An diesem Mittwoch wollen die EU-Vertreter erneut über die Zollregelu­ngen entscheide­n.

Die Situation der Winzer bereitet den Agrarminis­tern laut Özdemir ebenfalls „große Sorgen“. Hier müsse die Kommission ebenfalls Entlastung­en vorbereite­n. Zugleich will der Minister „die Strukturpr­obleme angehen und dazu europaweit das Produktion­spotenzial senken. Sein Vorschlag: Rodungen mit Biodiversi­tätsmaßnah­men zu verbinden. Ohnehin lautet sein Vorschlag für die beginnende­n Verhandlun­gen zur nächsten Phase der Gemeinsame­n Europäisch­en Agrarpolit­ik, künftig den Grundsatz „öffentlich­es Geld für öffentlich­e Leistungen“vorzusehen. Bäuerinnen und Bauern könnten dann mit freiwillig­em Artenschut­z, Klimaschut­z und Tierwohl Geld verdienen.

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FOTO: DPA Ein Landwirt kippt Reifen und Kartoffeln auf eine Straße in Brüssel.

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