Rheinische Post - Xanten and Moers
Die höchste Form der Ehrlichkeit
Connie Palmen hat ein Buch über Autorinnen geschrieben – und eigentlich ist es ein Buch vor allem über sie selbst geworden.
Typisch Connie Palmen. Schreibt ein Buch vor allem über Schriftstellerinnen, und den einzigen Mann, den sie dabei in näheren Betracht zieht, ist der US-amerikanische Autor Philipp Roth (1933 bis 2018). Ausgerechnet Roth, denkt man sofort, dem (dezent formuliert) ein wenigstens problematisches Verhältnis zu Frauen attestiert wird. Aber genau das ist für die Niederländerin so spannend und aufschlussreich, so bedenkenswert.
Die Bestsellerautorin hat über ihre Lieblingsautoren nachgedacht, schreibt über deren Schreiben, und bald auch über sich selbst. Tatsächlich seien die Essays eine Art Autobiografie, sagt sie bei unserem Treffen: „Es ist unabwendbar, dass es über mich selbst geht. Ich ist Ich. Eigentlich ist das Buch darum ein Selbstporträt.“Ein ziemlich ehrliches, sollte man hinzufügen.
Und warum dann Philipp Roth? Weil sie ihn als Schriftsteller einfach liebe, weil er in seiner Literatur „schonungslose Intimität und radikales Schreiben“zusammenbringe. „Er war ehrlich und echt“, sagt Palmen. Sein Drama sei gewesen, dass er erst das Tugendhafte in sich töten musste, um Schriftsteller werden zu können: „Der gehorsame, liebe Junge, der Roth einst gewesen ist, musste also erst sterben.“Connie Palmen denkt kurz nach und vollzieht eine ihrer typischen Kurven: Indem sie versucht, etwas aus ihrer Beobachtung zu finden, das für viele gültig ist – und am Ende auch für sich selbst. Denn viele Schriftsteller, sagt sie, müssten erst „die gehorsame, brave Person in sich töten. Ich auch. Talent entwickelt man nicht, weil man so viel kann. Talent entwickelt man, weil man etwas nicht kann, aber es sehr gerne können möchte.“
Dass Palmen darüber mit großer Gelassenheit spricht, hat viel mit ihrem Verständnis von Literatur als
einer Form ehrlicher Selbsterfahrung zu tun. Von Beginn an. Seit sie 1991 mit „Die Gesetze“sprichwörtlich über Nacht zum Star niederländischer Gegenwartsliteratur wurde. 100.000 Mal wurde das Buch damals gekauft – in bloß zwei Monaten und zunächst nur in den Niederlanden. Es folgten weitere Klassiker unserer Literaturgegenwart, unter anderem
„I. M.“, das Erinnerungsbuch an ihre erste große Lebensliebe Ischa Meijer, geschrieben drei Jahre nach dessen Tod.
Was bis heute blieb, ist das lebenslange Schreiben. Wobei es Connie Palmen natürlich etwas anders ausdrückt. „Ich schreibe eigentlich fast nie, und ich schreibe immer. Schreiben ist für mich kein
Beruf, sondern eine Art zu leben: nämlich das Leben zu genießen, es tiefer und spannender zu machen. Ich schaue mir das Leben immer mit den Augen einer Schriftstellerin an. Ich habe keine andere Persönlichkeit daneben.“Das klingt hart, irgendwie auch einsam, aber ehrlich. Und es scheint sehr im Einklang mit der 68-Jährigen zu stehen mit ihren gekonnt ungezähmten Haaren.
Connie Palmen denkt in „Vor allem Frauen“schreibend über Viriginia Woolf und Sylvia Plath nach, Joan Didion und Vivian Gornick, über Janet Malcolm. Und hat dabei immer sich selbst im Blick, weil es vielleicht das größte Abenteuer ist, sich besser zu verstehen. „Wenn
man seine eigenen Gefühle nicht wirklich begreift, dann sind es die Gefühle, die dich beherrschen, dominieren. Ich bin eigentlich immer bemüht zu verstehen, was ich gerade empfinde und denke. Um meine eigene Autonomie zu bewahren; und die ist mir alles wert.“
So offen Palmen ist, mit und über sich bis an die Grenze ehrlich zu sein, so wichtig sind ihr doch Geheimnisse. Die nämlich schützten, gerade eine Schriftstellerin. Es gibt Gedanken, die man hegen müsse, über die man nicht gleich sprechen sollte. Denn was zwangsläufig folgt, ist der Verrat als großer Impuls für Schriftsteller: „Man denkt permanent nach, am Ende aber verrät man alles, was man gesehen und gedacht hat. Und das ist nicht immer nett.“
Nett will Connie Palmen auch gar nicht sein, obwohl die niederländische Schriftstellerin es meist ist. Lieber ehrlich, unverstellt, neugierig. Das gelingt vielleicht nicht immer. Doch wenn man sich bemüht und mutig ist, oft. Vor allem beim Schreiben.