Rheinische Post - Xanten and Moers
„Internate sind keine Gefängnisse“
40.000 Kinder in Deutschland besuchen ein Internat. Womit diese Schulen punkten können, erklärt eine ehemalige Schülerin.
ZÖLLER Auch wenn es an unserem Schulsystem sicher einiges zu bemängeln gibt, ist es mir wichtig zu betonen: Insgesamt genießt das deutsche Schulsystem gerade im Ausland noch immer einen sehr guten Ruf. Gerade bei Auslandsaufenthalten sehen wir etwa, dass auch Schüler, die von einem guten öffentlichen Gymnasium kommen, ebenfalls darauf gut vorbereitet sind. Aber natürlich bieten sich im Mikrokosmos eines Internates ganz andere Möglichkeiten als an einer regulären Schule. Und wenn die Bereitschaft des Kindes und der Eltern da ist, findet sich für jeden Schüler oder jede Schülerin das passende Internat. Davon bin ich überzeugt.
Wo liegen die wesentlichen Vorteile gegenüber dem regulären Schulsystem?
ZÖLLER In der Regel sind die Klassen auf einem Internat deutlich kleiner, die Schulen sind – sowohl was das Personal als auch eine moderne Ausstattung angeht – wesentlich besser aufgestellt. Das motiviert auch die an Internaten angestellten Pädagogen, auch wenn sie nicht unbedingt mehr Geld verdienen als an einer öffentlichen Schule. Gerade in der Pandemie haben die Internate einen Boom erfahren. Denn während man auf regulären Schulen mit dem Sprung in den digitalen Unterricht kämpfte, hat man an deutschen Internaten längst damit gearbeitet. Aber der entscheidende Mehrwert eines Internats liegt meines Erachtens nicht im akademischen Bereich. Auch ganz praktische Dinge kommen hinzu, etwa die viel bessere Vereinbarkeit von Lehre und Freizeit. Die Wege sind kürzer, die Angebote vielfältiger, insgesamt macht das alles den Schulalltag weniger stressig für die Schüler.
Den entscheidenden Nachteil eines Internats haben Sie mit ihrer Bildungsberatung gerade ermittelt: die Kosten…
ZÖLLER Die soziale Ungerechtigkeit ist nicht wegzudiskutieren. Ja: Ein Internatsbesuch ist auch eine Frage des Geldes. Nicht umsonst besuchen nicht einmal ein Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland (40.000, Anmerkung der Redaktion) ein Internat. Kinder in einer solchen Schule sind absolut
privilegiert, das sollte ein gutes Internat auch seiner Schülerschaft immer vermitteln. Dabei sind es heute nicht mehr nur die Kinder superreicher Eltern, die Internate besuchen. Gerade auch der gehobene Mittelstand spart lieber an dem einen oder anderen Urlaub, um seinem Sohn oder der Tochter eine gute Bildung zu ermöglichen. Sie möchten ihren Kindern etwas mitgeben, wovon sie ihr Leben lang profitieren, und das bleibt.
Dass die Kinder von zu Hause getrennt und aus den Familien entfernt sind, muss nicht unbedingt ein Nachteil sein, oder?
ZÖLLER Richtig. Gerade in der Puber
tät ist diese Pause voneinander für beide Seiten, also Eltern und Kinder, eher von Vorteil. Außerdem gibt es ja ganz unterschiedliche Schulen, an denen die Kinder wöchentlich oder zumindest alle paar Wochen heimfahren können. Und wenn ein Kind mit der Trennung vom Elternhaus tatsächlich gar nicht zurechtkommt, finden sich immer Lösungen. Internate sind ja keine Gefängnisse.
Gibt es denn überhaupt Möglichkeiten, auch mit einem schmaleren Einkommen sein Kind aufs Internat zu schicken?
ZÖLLER Es gibt tatsächlich verschiedene Optionen. Im Vergleich zum Ausland ist Deutschland hier sehr sozial aufgestellt. Bis zu 25 Prozent der Internatsschüler sind Stipendiaten. Das ist eine sehr hohe Quote. Es gibt staatlich finanzierte Internate, außerdem welche in kirchlicher Trägerschaft oder auch durch Spenden finanzierte Einrichtungen. Allerdings muss man fairerweise sagen, dass es sich bei den Stipendiaten dann auch fast immer um Schülerinnen und Schüler handelt, die etwas mitbringen, also besondere Begabungen oder Leistungen zeigen.
Internate werden also nicht die Schulform der Zukunft?
ZÖLLER Internate für die breite Masse halte ich für unrealistisch. Dazu ist das finanzielle Gefälle zu groß. Aber Internate, die ein gutes Wertesystem vermitteln und ein klares Schulprofil haben mit eindeutigen Prioritäten, werden auch weiterhin existieren. Zum Beispiel gibt es manche Schulen speziell für Kinder mit Lernherausforderung, andere Einrichtungen sind sehr akademisch orientiert, wieder andere haben spezielle Sportförderungen. Wer seiner Linie treu bleibt und ein klares Profil beibehält, dessen Einrichtung wird auch weiterhin existieren.
Was wünschen Sie sich für das reguläre Schulsystem in Deutschland?
ZÖLLER Es wäre schon viel geholfen, wenn wir aus dem föderalistischen System rauskämen. Das würde die Anerkennung von Abschlüssen immens erleichtern und auch die Lehrpläne vereinheitlichen. Diese halte ich teilweise für antiquiert und festgefahren. Gerade durch die unterschiedlichen Lehrpläne fehlt zudem jede Vergleichbarkeit. Besonders im Ausland ist es nur schwer vermittelbar, dass gleiche Noten von Schülern aus verschiedenen Bundesländern unterschiedlich zu bewerten sind.
Sie waren selbst Schülerin am renommierten Internat Haus Salem. Was haben Sie persönlich aus Ihrer Schulzeit mitgenommen?
ZÖLLER Vor allem eines: Das Gefühl der Gemeinschaft, die enge Verbindung mit Freunden, die fast schon wie familiäre Bande waren. Dieses Gefühl von Zusammenhalt und Zusammengehörigkeit, das hat mein Leben geprägt.