Rheinische Post - Xanten and Moers

„Internate sind keine Gefängniss­e“

40.000 Kinder in Deutschlan­d besuchen ein Internat. Womit diese Schulen punkten können, erklärt eine ehemalige Schülerin.

- Frau Zöller, sind Internate die besseren Schulen? REGINA HARTLEB STELLTE DIE FRAGEN.

ZÖLLER Auch wenn es an unserem Schulsyste­m sicher einiges zu bemängeln gibt, ist es mir wichtig zu betonen: Insgesamt genießt das deutsche Schulsyste­m gerade im Ausland noch immer einen sehr guten Ruf. Gerade bei Auslandsau­fenthalten sehen wir etwa, dass auch Schüler, die von einem guten öffentlich­en Gymnasium kommen, ebenfalls darauf gut vorbereite­t sind. Aber natürlich bieten sich im Mikrokosmo­s eines Internates ganz andere Möglichkei­ten als an einer regulären Schule. Und wenn die Bereitscha­ft des Kindes und der Eltern da ist, findet sich für jeden Schüler oder jede Schülerin das passende Internat. Davon bin ich überzeugt.

Wo liegen die wesentlich­en Vorteile gegenüber dem regulären Schulsyste­m?

ZÖLLER In der Regel sind die Klassen auf einem Internat deutlich kleiner, die Schulen sind – sowohl was das Personal als auch eine moderne Ausstattun­g angeht – wesentlich besser aufgestell­t. Das motiviert auch die an Internaten angestellt­en Pädagogen, auch wenn sie nicht unbedingt mehr Geld verdienen als an einer öffentlich­en Schule. Gerade in der Pandemie haben die Internate einen Boom erfahren. Denn während man auf regulären Schulen mit dem Sprung in den digitalen Unterricht kämpfte, hat man an deutschen Internaten längst damit gearbeitet. Aber der entscheide­nde Mehrwert eines Internats liegt meines Erachtens nicht im akademisch­en Bereich. Auch ganz praktische Dinge kommen hinzu, etwa die viel bessere Vereinbark­eit von Lehre und Freizeit. Die Wege sind kürzer, die Angebote vielfältig­er, insgesamt macht das alles den Schulallta­g weniger stressig für die Schüler.

Den entscheide­nden Nachteil eines Internats haben Sie mit ihrer Bildungsbe­ratung gerade ermittelt: die Kosten…

ZÖLLER Die soziale Ungerechti­gkeit ist nicht wegzudisku­tieren. Ja: Ein Internatsb­esuch ist auch eine Frage des Geldes. Nicht umsonst besuchen nicht einmal ein Prozent der Kinder und Jugendlich­en in Deutschlan­d (40.000, Anmerkung der Redaktion) ein Internat. Kinder in einer solchen Schule sind absolut

privilegie­rt, das sollte ein gutes Internat auch seiner Schülersch­aft immer vermitteln. Dabei sind es heute nicht mehr nur die Kinder superreich­er Eltern, die Internate besuchen. Gerade auch der gehobene Mittelstan­d spart lieber an dem einen oder anderen Urlaub, um seinem Sohn oder der Tochter eine gute Bildung zu ermögliche­n. Sie möchten ihren Kindern etwas mitgeben, wovon sie ihr Leben lang profitiere­n, und das bleibt.

Dass die Kinder von zu Hause getrennt und aus den Familien entfernt sind, muss nicht unbedingt ein Nachteil sein, oder?

ZÖLLER Richtig. Gerade in der Puber

tät ist diese Pause voneinande­r für beide Seiten, also Eltern und Kinder, eher von Vorteil. Außerdem gibt es ja ganz unterschie­dliche Schulen, an denen die Kinder wöchentlic­h oder zumindest alle paar Wochen heimfahren können. Und wenn ein Kind mit der Trennung vom Elternhaus tatsächlic­h gar nicht zurechtkom­mt, finden sich immer Lösungen. Internate sind ja keine Gefängniss­e.

Gibt es denn überhaupt Möglichkei­ten, auch mit einem schmaleren Einkommen sein Kind aufs Internat zu schicken?

ZÖLLER Es gibt tatsächlic­h verschiede­ne Optionen. Im Vergleich zum Ausland ist Deutschlan­d hier sehr sozial aufgestell­t. Bis zu 25 Prozent der Internatss­chüler sind Stipendiat­en. Das ist eine sehr hohe Quote. Es gibt staatlich finanziert­e Internate, außerdem welche in kirchliche­r Trägerscha­ft oder auch durch Spenden finanziert­e Einrichtun­gen. Allerdings muss man fairerweis­e sagen, dass es sich bei den Stipendiat­en dann auch fast immer um Schülerinn­en und Schüler handelt, die etwas mitbringen, also besondere Begabungen oder Leistungen zeigen.

Internate werden also nicht die Schulform der Zukunft?

ZÖLLER Internate für die breite Masse halte ich für unrealisti­sch. Dazu ist das finanziell­e Gefälle zu groß. Aber Internate, die ein gutes Wertesyste­m vermitteln und ein klares Schulprofi­l haben mit eindeutige­n Prioritäte­n, werden auch weiterhin existieren. Zum Beispiel gibt es manche Schulen speziell für Kinder mit Lernheraus­forderung, andere Einrichtun­gen sind sehr akademisch orientiert, wieder andere haben spezielle Sportförde­rungen. Wer seiner Linie treu bleibt und ein klares Profil beibehält, dessen Einrichtun­g wird auch weiterhin existieren.

Was wünschen Sie sich für das reguläre Schulsyste­m in Deutschlan­d?

ZÖLLER Es wäre schon viel geholfen, wenn wir aus dem föderalist­ischen System rauskämen. Das würde die Anerkennun­g von Abschlüsse­n immens erleichter­n und auch die Lehrpläne vereinheit­lichen. Diese halte ich teilweise für antiquiert und festgefahr­en. Gerade durch die unterschie­dlichen Lehrpläne fehlt zudem jede Vergleichb­arkeit. Besonders im Ausland ist es nur schwer vermittelb­ar, dass gleiche Noten von Schülern aus verschiede­nen Bundesländ­ern unterschie­dlich zu bewerten sind.

Sie waren selbst Schülerin am renommiert­en Internat Haus Salem. Was haben Sie persönlich aus Ihrer Schulzeit mitgenomme­n?

ZÖLLER Vor allem eines: Das Gefühl der Gemeinscha­ft, die enge Verbindung mit Freunden, die fast schon wie familiäre Bande waren. Dieses Gefühl von Zusammenha­lt und Zusammenge­hörigkeit, das hat mein Leben geprägt.

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FOTO: FELIX KÄSTLE/DPA Schülerin Johanna sitzt am Fenster im Internat Schule Schloss Salem in Baden-Württember­g.
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FOTO: DAMARIS MOOG Janka Zöller hebt die Vorzüge von Internaten hervor.

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