Rheinische Post - Xanten and Moers
Abschied vom Meister des Stahls
Der Amerikaner Richard Serra, der mit tonnenschweren Skulpturen zu einem der erfolgreichsten Bildhauer der Welt wurde, ist im Alter von 85 Jahren gestorben. Vor allem im Ruhrgebiet hat er der industriellen Vergangenheit Denkmäler gesetzt.
Große Kunst hat es anfangs oft schwer. Richard Serra, der Amerikaner, der jetzt 85-jährig in Orient (New York) an einer Lungenentzündung gestorben ist, hatte manches Hindernis aus dem Weg zu räumen, bis seine stählernen, wundersam ausbalancierten Kolosse im öffentlichen Raum nicht nur keinen Protest mehr hervorriefen, sondern weltweit Anerkennung fanden.
Gerade in Deutschland und dort besonders im Ruhrgebiet hat Serra der industriellen Vergangenheit und letztlich sich selbst Denkmäler gesetzt, die nicht zu übersehen sind. Am heftigsten umstritten war einst „Terminal“am Bochumer Hauptbahnhof. Die mehr als zwölf Meter hohe Skulptur besteht aus vier trapezförmigen, scheinbar lose aneinandergelehnten Platten aus einer Stahlsorte, die schnell eine rostige, das darunter liegende Material vor der Witterung schützende Patina entwickelt.
Die Wahl des Materials verweist unmittelbar auf das Ruhrgebiet als Zentrum der stahlverarbeitenden Industrie. Der ästhetische Clou der Plastik besteht in einem schmalen Eingang. Wer aus dem Inneren hinaufblickt, dem bietet sich ein quadratischer Ausschnitt des Himmels, der durch die vier senkrecht stehenden Platten eingefasst wird. Was Serra daran vor allem reizte, war der Wechsel von einem dynamischen Außen- zu einem statischen Innenraum, der sich körperlich erleben lässt.
Serra hatte das Werk 1977 für den heutigen Standort geschaffen, es aber zunächst auf der Documenta in Kassel gezeigt. Die Stadt Bochum erwarb die Plastik damals für 350.000 Mark. Schon auf der Documenta war sie auf Ablehnung gestoßen, weil manche sie als „Kunstklo“benutzt hatten. Kassel hätte sie dennoch gern behalten, Köln wollte sie sogar auf dem Domvorplatz eingemeinden.
In Bochum dagegen machte die NRW-CDU im Landtagswahlkampf Stimmung gegen die Aufstellung der Plastik. Der damalige Kandidat Kurt Biedenkopf kündigte in einer Rede unmittelbar vor dem Objekt sogar dessen Abriss an.
Während sich in Bochum der ortsansässige Galerist Alexander von Berswordt-Wallrabe von vornherein für „Terminal“starkgemacht hatte, sah sich Richard Serra andernorts weiteren Konfrontationen ausgesetzt. Das führte dazu, dass er seinen Entwurf für das HolocaustMahnmal in Berlin zurückzog, als seine Grundidee von einem Meer
aus Stelen gegen seinen Willen abgewandelt wurde. Eine Skulptur in New York musste nach starken Protesten sogar ihren Standort verlassen.
Wer war dieser unbeirrbare Mann, der mit dem Kopf durch Stahlwände zu gehen schien und heute, nach seinem Tod, erheblich mehr Bewunderer als Verächter hat? Richard Serra verdiente während seines Literaturstudiums seinen Lebensunterhalt in einem Stahlwerk, schloss ein Kunststudium an und wurde Assistent des aus Bottrop stammenden Malers und Emigranten Josef Albers. Dessen Minimalismus hat offensichtlich
auf Serra abgefärbt.
In der Zeit eines Reisestipendiums in Paris heiratete er seine Kommilitonin Nancy Graves und schloss Bekanntschaft mit dem amerikanischen Komponisten Philip Glass. Schon seit Beginn der 60er-Jahre hatte er sich mit den für die Kunst neuen Medien Film und Video befasst. Nach Reisen durch Europa und Nordafrika ließ er sich in New York nieder.
Sein Spätwerk ist von jenen Großskulpturen bestimmt, die ihm viel Ärger und noch mehr Ruhm eintrugen. 1981 bekam er den Goslarer Kaiserring, 1991 den Wilhelm-Lehmbruck-Preis
der Stadt Duisburg, 2010 den spanischen Prinz-von-Asturien-Preis in der Sparte Kunst. Vor allem diejenigen Skulpturen, in denen der Stahl Kurven bekam, fanden beim Publikum Anklang. Serra fasste seine Eindrücke so zusammen: „Die Menschen haben auf die Kurven reagiert, wie sie nie zuvor auf Ecken und gerade Linien reagiert hatten. Das hatten sie noch nie gesehen. Die Menschen waren bereit für die Kurven.“Und Galerien und Museen öffneten ihm weit die Türen.
In die Geschichte der Kunst wird Richard Serra vor allem als Erfinder von Formen eingehen, die leicht wirken, obwohl sie in tonnenschweres Material gegossen sind – Wegmarken, die vielleicht auch in die Zukunft weisen. Vor zehn Jahren wurde „Terminal“nach einer Restaurierung neu enthüllt.
Der Förderkreis „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ehrte das Andenken an den Bildhauer. Serras künstlerische Vision habe entscheidend zur Konzeption des Holocaust-Denkmals in Berlin beigetragen. Als einen der bedeutendsten zeitgenössischen Künstler weltweit hat Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) Serra gewürdigt. „Mit seinen Filmen sowie seinen zeichnerischen und druckgrafischen Werken begeisterte Serra vor allem mit seinen großformatigen, aufsehenerregenden Stahlkörpern seit vielen Jahrzehnten die Kunstwelt“, sagte Roth am Mittwoch in Berlin. Mit seinem eindrucksvollen Vermächtnis werde Serra „in unser aller Erinnerung bleiben.“(mit
In die Geschichte der Kunst wird Richard Serra vor allem als Erfinder von Formen eingehen