Rheinische Post - Xanten and Moers

Komplizen gesucht

Was können wir tun, um den drohenden Klimakolla­ps zu stoppen? Möglichkei­ten gibt es viele, vor allem aber braucht es Mut zur Genügsamke­it und Durchhalte­vermögen.

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Klimawande­l macht Urlaub. Gespräche nach der letzten Klausur lassen es vermuten. Runterkomm­en in Spanien, in den Emiraten. Mit dem Flug dorthin haut jeder der Erde mehr Kohlendiox­id um die Ohren als er in einem Jahr klimavertr­äglich verbrauche­n dürfte. Dabei lag der Fokus meiner Veranstalt­ungen auf CO2-Sparen und Energiekos­ten. Mit Dekarbonis­ierung, Wasserstof­f und Kreislaufw­irtschaft. Experten berichtete­n vom CO2-freien Hochofen und klimaneutr­alen Stahlwerk. Wir lernten: 95 Prozent des Stahls sind seit der Antike recycelt; die Recyclingq­uote von Kupfer liegt bei 50 Prozent. Für Windkraftr­äder und Solarzelle­n braucht es mehr. Auch mehr Strom: Der ist nicht grün – sonst ständen hinter dem Hochofen 500 Windräder.

Den Klimakolla­ps zu stoppen, heißt Marathon zu laufen. Digitalisi­erung, selbst Energiever­schwender, zählt Schritte, misst CO2: 368 Gramm pro Euro Umsatz bei der DHL, wie uns deren Experte berichtet. Künstliche Intelligen­z hilft, lässt sich mit Kondensstr­eifenMuste­rn trainieren. Kondensstr­eifen halten Wärme auf der Erde. Algorithme­n lenken Flugzeuge in Luftschich­ten, in der Abgase keine

Streifen bilden; mildern den Klimaschad­en, den die Fliegerei anrichtet, ein wenig ab.

Wir steigen derweil in die Urlaubsfli­eger. Sollen andere liefern: Industrie, Politik. China. Konsum macht mehr Spaß als Klima. Damit haben wir 2023 das 1,5-GradZiel gerissen. Das wärmste Jahr seit 100.000 Jahren. Bei 1,5 Grad leidet Südeuropa an Wassermang­el; bei zwei Grad funktionie­rt nix mehr. Kipppunkt erreicht: Erderwärmu­ng unumkehrba­r. Arktis-Eis weg, Temperatur­en in den Emiraten über 60 Grad. Die Erde kann die Menschen nicht mehr ernähren – riesige Flüchtling­swellen kommen auf uns zu.

Obwohl wir wissen, was zu tun ist, kommen wir nicht in Schwung. Laufen wir den Marathon zu Ende! Hören wir nicht nach zwei Metern auf! Suchen wir Komplizen, die mitlaufen und durchhalte­n. Packen wir „Sufficienc­y“, Englisch für „Genügsamke­it“, ein. Was kann ich tun? Mit Komplizen aus der Wirtschaft Studenten für den Klimawande­l qualifizie­ren, Fundamente für neue Berufe legen, Resilienz fördern. Das Klimathema aus drei Kilometer Höhe runterhole­n, es praktisch gestalten. In Europa lassen sich Flugreisen etwa durch Nachtzüge ersetzen. Bilden wir einen positiven Kipppunkt.

Die Sätze in den Klausuren meiner Studierend­en machen mir Mut: „Fangen wir bei uns an. Treten wir mit der Natur, nicht mit dem Smartphone in Dialog. Praktische­r Fortschrit­t statt globales Gelaber“. Ich freue mich aufs neue Semester und neue Klimakompl­izen.

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FOTO: PULST Edda Pulst ist Professori­n für Digitalisi­erung an der Westfälisc­hen Hochschule Gelsenkirc­hen.

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