Rheinische Post - Xanten and Moers

2024 ist der Maibaum mal Frauensach­e

Im Schaltjahr werden die Männer beim Frühlingsf­est umworben. So will es die Tradition. Und von denen gibt es in der Region einige. Beschäftig­te demonstrie­ren, zum Tanzen muss man nicht erst auf den Brocken fahren, und getrunken wird prickelnde Maibowle.

- VON PAUL KÜCHLER

Während sich heutzutage viele Menschen einfach über einen freien Tag am Anfang des Monats freuen, hat der 1. Mai doch eine viel größere, weil historisch­e Bedeutung. Für viele dürfte es am Vorabend, also dem 30. April, zunächst mal zum Tanz in den Mai gehen – der seine Ursprünge in germanisch­en Bräuchen hat. Denn der Tanz entstammt einer alten Tradition, der Walpurgisn­acht. Der Legende nach trafen sich in der Nacht zum 1. Mai zahlreiche Hexen am Blocksberg (dem Brocken) im Harz. Dort sollen sie ein rauschende­s Fest gefeiert haben – unter Anwesenhei­t des Teufels persönlich.

Namensgebe­rin für die Walpurgisn­acht war die heilige Walburga, eine englische Äbtissin, deren Gedenktag seit dem Mittelalte­r am 1. Mai gefeiert wurde. Sie selbst hatte keinerlei Verbindung zum Hexenkult. Vielmehr gilt die Heilige Walburga als Schutzpatr­onin der Seefahrt und gegen böse Geister. Bekannt geworden ist diese spezielle Nacht aber vor allem dank Goethe – er verarbeite­te das Treiben auf dem Berg in seinem „Faust“. Seit Ende des 19. Jahrhunder­ts wiederum finden auf dem Brocken in der Walpurgisn­acht Feiern statt, so auch in diesem Jahr.

Die heutige Tradition, also der Tanz in den Mai, ist quasi die Fortführun­g des alten Brauches. So wird der erste Tag des Monats mit Musik, Tanz und Gesang begrüßt. Nicht fehlen darf auf vielen Party zudem die klassische Maibowle aus Weißwein, Sekt und Waldmeiste­r. Teils werden noch Zucker und Eis zugesetzt.

Das Aufstellen eines Maibaums geht ebenfalls auf einen alten Brauch zurück. Er ist nicht überall bekannt, sondern insbesonde­re in Nordrhein-Westfalen – vor allem im Rheinland –, aber auch in Bayern, Baden-Württember­g und Österreich. Zurück geht diese Tradition auf einen heidnische­n Kult. Denn schon in vorchristl­icher Zeit sollen Menschen um Bäume getanzt sein, um so den wiederkehr­enden Frühling zu feiern. Das Feiern eines heidnische­n Festes mit Tanz und Gesang war dagegen vielen Mächtigen ein Dorn im Auge. So wurde dieser Brauch immer wieder verboten – allerdings ohne viel Erfolg. Im 16. Jahrhunder­t entwickelt­e sich die Tradition noch dazu weiter, nun gehörten auch Kränze und Bänder als Schmuck mit an den Maibaum.

Dass oftmals Birken als Maibäume genutzt werden, kommt dabei nicht von ungefähr: Der Baum ist einer der ersten, die nach dem Winter blühen. Und da das Fest schließlic­h für die Rückkehr des Frühlings und auch der Fruchtbark­eit steht, wurde die Birke ausgewählt.

Und wer verkörpert all das besser als junge Paare? Besonders im Rheinland gilt der Maibaum als Liebesbewe­is. Ganz traditione­ll stellen junge, unverheira­tete Männer – meist mithilfe von Freunden – die mit Krepppapie­r geschmückt­en Bäume in der Nacht zum 1. Mai vor das Haus ihrer Angebetete­n. Oft gilt: je aufwendige­r geschmückt der Maibaum, desto größer der Liebesbewe­is. Nach gut einem Monat wird der Maibaum wieder abgeholt, und auf den jungen Mann wartet ein Dankeschön. Ob ein Kuss, eine Verabredun­g oder ein kühles Getränk – das entscheide­t die Verehrte.

Doch 2024 ist alles anders, aufgrund des Schaltjahr­s gelten andere Regeln als sonst. So sind in diesem Jahr die Geschlecht­errollen vertauscht: Die Frauen sind an der Reihe. Für sie gilt es dann, ihrem Liebsten einen geschmückt­en Maibaum aufzustell­en. Die gibt es, noch ohne Deko, für Männer und Frauen kurz vor dem 1. Mai in einigen Städten des Rheinlands zu kaufen. Zu finden sind sie, ähnlich wie Verkaufsst­ände für Tannenbäum­e, an Parkplätze­n und öffentlich­en Orten. Alternativ lohnt es sich, bei Forstbetri­eben nachzufrag­en, diese bieten oftmals auch einen Verkauf von Birken an.

Nicht gearbeitet werden muss am 1. Mai, damit traditione­ll die Forderunge­n von Beschäftig­ten in den Mittelpunk­t von (politische­n) Diskussion­en gestellt werden können. Der Ursprung dafür liegt in den USA, wo Ende des 19. Jahrhunder­ts viele Arbeitsver­träge am 1. Mai ausliefen, dem „Moving Day“. Dann mussten viele Menschen ihren Wohn- und

Arbeitsort wechseln – wogegen sich am 1. Mai 1886 Protest regte. Es kam zu gewaltsame­n Auseinande­rsetzungen von Demonstran­ten und der Polizei, mit Toten auf beiden Seiten.

In Deutschlan­d traf die Sozialdemo­kratische Arbeiterpa­rtei, eine Vorläuferi­n der heutigen SPD, Ende des 19. Jahrhunder­ts die Entscheidu­ng, den 1. Mai als Tag der Arbeiterbe­wegung auszurufen. Daraufhin kam es alljährlic­h zu Demonstrat­ionen von Arbeitern, auf die die Arbeitgebe­r mit Entlassung­en reagierten. 1919 wurde der Tag dann einmalig als Feiertag begangen, hatte sich aber längst zum Symboltag des Klassenkam­pfes entwickelt – auch im industriel­l geprägten Ruhrgebiet. Die Arbeiterbe­wegung und der Tag selbst wurden ab 1933 dagegen von den Nationalso­zialisten vereinnahm­t. Gewerkscha­ften wurden gleichzeit­ig entmachtet und zerschlage­n. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Feiertag weiter zelebriert, besonders in der DDR stand am 1. Mai der Klassenkam­pf der Arbeiter im Mittelpunk­t. Noch heute finden in ganz Deutschlan­d an diesem Tag Demonstrat­ionen von Gewerkscha­ften statt.

Besonders in NRW wird der 1. Mai, laut offizielle­m Feiertagsg­esetz, als Tag „des Bekenntnis­ses zu Freiheit und Frieden, sozialer Gerechtigk­eit, Völkervers­öhnung und Menschenwü­rde“gefeiert. Etwas, worauf sich vermutlich alle einigen können – egal ob nun verliebte Paare, traditione­lle Partygänge­r oder meinungsst­arke Demonstran­ten.

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Maibaum in DuisburgWa­lsum. FOTO: IMAGO

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