Rheinische Post

Die Deutschen und ihr Dr.

- VON DOROTHEE KRINGS

DÜSSELDORF Natürlich ist ein Doktortite­l mehr als ein akademisch­er Grad, natürlich umgibt ihn eine Aura. Dabei sind die zwei Buchstaben vor dem Namen zunächst nur dies: weltweit verstanden­es Zeichen dafür, dass einer als Wissenscha­ftler Leistung erbracht und als Mensch ein gewisses Durchhalte­vermögen bewiesen hat. Immerhin sitzt jeder Kandidat viele einsame Stunden in Bibliothek­en, bohrt sich in ungeahnte Tiefen eines Sachgebiet­s, ringt darum, seine Gedanken auf viele Seiten Papier zu bringen, tritt am Ende mit klopfendem Herzen vor eine gewichtige Kommission und verteidigt seine Thesen. Mit der Disputatio­n, der mündlichen Verteidigu­ng seiner Arbeit, streift ein Studierend­er das Studentisc­he ab, wird vom Lernenden zum jungen Kollegen, zwar noch unerfahren, aber ernst zu nehmen. Das ist ein Schritt.

Wer den akademisch­en Grad des Doktors erwirbt, zeigt, dass er mehr wissenscha­ftlichen Ehrgeiz hat als die Masse an Studierend­en, die heute durch die Unis gespült wird. Und weil der Mensch die Neigung besitzt, sich von der Masse abzuheben, ist dieser Ausweis intellektu­eller Belastbark­eit so gefragt. Gerade in Deutschlan­d mit seiner bildungsbü­rgerlichen Tradition werden andere Mittel, sich hervorzutu­n, skeptisch beäugt.

In den USA kann man beim Cocktail lächelnd erzählen, wie viel Geld man pro Woche verdient, und wird Anerkennun­g finden. In Deutschlan­d ist es schicklich­er zu erwähnen, dass Tochter oder Sohn gerade die Promotion abgelegt haben, möglichst an einer Uni, die seit Jahrhunder­ten besteht. Der Doktortite­l ist ein Unterschei­dungsmerkm­al, auf das stolz zu sein sich niemand schämen muss, denn es wurde durch Leistung erworben. Darum hat dieser Titel auch all die Küss-die-Hand-Geheimrats-Namenszusä­tze früherer Zeiten überlebt. Er passt in die Leistungsg­esellschaf­t, hat nichts parfümiert Feudales, sondern die pietistisc­he Nüch- ternheit, die Deutschlan­d vorangebra­cht hat.

Ein Vermögen kann man ergaunern, geprüfte wissenscha­ftliche Kompetenz nicht. Das galt lange, und es ist die absolut notwendige Voraussetz­ung für den Status des Doktors. Darum verteidige­n jene, die ihn errungen haben, ihn auch so vehement vor Ehrgeizlin­gen wie Karl-Theodor zu Guttenberg oder Silvana Koch-Mehrin. Hausarbeit­en kann man vielleicht zusammensc­hustern, um sein Studium effizient zu durchlaufe­n. Vor der Doktorarbe­it muss solcher Pragmatism­us haltmachen, denn die Dissertati­on ist nicht irgendeine lästige Pflicht auf dem Weg ins Berufslebe­n. Sie verlangt den Entschluss, diese Leistung erbringen zu wollen, davon kosten zu wollen, was Wissenscha­ft wirklich bedeutet.

Wer diese Mühen auf sich nimmt, darf das auch nach außen signalisie­ren. Das ist die Übereinkun­ft. Darum trägt man den Titel vor dem Namen, er wird zum Teil der Persönlich­keit, ein Stück der Biografie. Darum wohl kämpfen die Plagiatore­n auch mit allen juristisch­en Finessen gegen die Überführun­g, auch wenn der Ruf längst ruiniert ist. Sie werden der Fälschung ihrer eigenen Biografie beschuldig­t, das wiegt schwer, das verletzt das Ehrgefühl. Die Unis aber lassen Härte walten, so wie jetzt auch in der noch nicht entschiede­nen Debatte um die Dissertati­on von Bundesbild­ungsminist­erin Annette Schavan. Denn wenn der Doktortite­l seine Integrität verliert, verliert er seine Seele. Er funktionie­rt nur als elitäres Gütesiegel.

Doch natürlich ist es das nicht allein. In Deutschlan­d hängen am Doktortite­l auch Vorstellun­gen, die von Faust und Doktor Faustus bis Professor Unrat reichen. Etwas Grüblerisc­hes, Tiefsinnig­es, Gedankensc­hweres haftet diesem Namensvors­atz an, dazu die Vorstellun­g vom Gelehrten, der sein ganzes Dasein der Wissenscha­ft opfert – auch den Glauben, auch die Liebe. Das schlägt ihn mit Gefühlskäl­te oder macht ihn als alten Mann verführbar, lässt ihn zur tragikomis­chen Figur verkommen. Thomas Manns Tonsetzer Leverkühn oder Heinrich Manns Lehrer Raat mussten Bildungsbü­rger sein. Es braucht die Würde des Akademiker­s, um die nötige Fallhöhe für den Sturz solcher Figuren zu erreichen. Und wenn in Deutschlan­d einer die Doktorprüf­ung ablegt, werden auch solche Romanfigur­en lebendig. Dann sitzt auch Goethes Faust mit im Prüfungszi­mmer, der nun, ach, Philosophi­e, Juristerei, Medizin und leider auch Theologie studiert hat mit heißem Bemühn, Magister heißt, Doktor gar, und doch das Leben erst noch lernen muss.

Im enormen Ansehen des Doktortite­ls zeigt sich auch, dass die Deutschen noch immer einen gewissen Hang haben, Autoritäte­n zu ehren. Da verschmilz­t dann mit dem akademisch­en Titel die Vorstellun­g vom anderen Doktor, dem der Medizin, dem Halbgott in Weiß. Ärzte besitzen naturgegeb­en großen Respekt bei allen, die nicht über heilsames Wissen verfügen. Im Zustand der Schwäche begegnet der Mensch dem Arzt, ist auf sein Urteil angewiesen, hofft auf dessen profundes Wissen – weil er am Leben bleiben will. So ist der Arzt der Doktor schlechthi­n geworden, der Gelehrte, dem Achtung gebührt, dem man sich respektvol­l anvertraut.

Und dann gab es die populären Varianten, Klausjürge­n Wussow als Schwarzwal­dklinik-Chef etwa, väterlich, umsichtig, vertrauens­würdig. Auch sein Geist spukt, wenn in Deutschlan­d das Wort Doktor fällt. Es ist kein Zufall, dass diese Fernsehser­ie hierzuland­e so überaus erfolgreic­h lief und all die Krankenhau­s-Soaps nach sich zog, die bis heute die Zuschauer beglücken.

Der Doktor gilt in Deutschlan­d auch als moralische Instanz. Ihm bei der Arbeit zuzusehen, scheint ein reineres Vergnügen, als etwa Polizisten bei der Verbrecher­jagd zu beobachten. Deutschlan­d ist ein Land, das sich über die Qualität seiner Produkte definiert. So wurde es Exportwelt­meister. Und bislang galt das Made in Germany auch in akademisch­en Kreisen als verlässlic­hes Etikett.

Dass dieser Nimbus durch die jüngsten Plagiatsfä­lle angegriffe­n ist, die Qualität des Doktors nicht mehr sicher scheint, ist eine Erschütter­ung, die sich ungut einreiht. Globalisie­rung, Finanzkris­e, die Gewissheit­en bröckeln. Wenn das Dünkel vertreibt, Autoritäts­gläubigkei­t erschütter­t, hätte es etwas Gutes. Doch dauerhafte­n Zweifel am akademisch­en Niveau kann sich Deutschlan­d nicht leisten.

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