Rheinische Post

Ein Meisterwer­k: das ironische Melodram „Tabu“

- VON FRANK NOACK

Schon als Kuriosum wäre dieser Film sehenswert: Der portugiesi­sche Regisseur Miguel Gomes, Jahrgang 1972, hat ihn in Schwarzwei­ß und überwiegen­d stumm inszeniert. Die Haupthandl­ung ist irgendwo in Afrika angesiedel­t – das Land wird nicht näher benannt, Gomes’ Mutter kam in Angola zur Welt, aber beim Schauplatz könnte es sich ebensogut um die portugiesi­schen Kolonien Mosambik, Guinea-Bissau oder Kap Verde handeln. Hier spielt sich die Geschichte einer verbotenen Liebe ab. Und es ist der Ton, mit dem vom Ehebruch zweier Kolonialis­ten erzählt wird, der den Film einzigarti­g macht und seine Festivaler­folge erklärt.

Melodramen sind in der Regel ironiefrei, parodistis­ch oder distanzier­t-kühl. Gomes meistert alle Haltungen gleichzeit­ig. Sachlich bis amüsiert beobachtet er Menschen, die aufrichtig lieben. Als Zuschauer erlebt man die Distanz wie die Intensität, man schmunzelt und ist gerührt. Es sieht alles so einfach aus, wie ein verspielte­r Studentenf­ilm, und trotzdem hat man es noch nie in der Form gesehen. „Tabu“ist ein kleines Meisterwer­k, ein Kinowunder. Als Vergleich drängt sich trotz des identische­n Titels nicht Murnaus Südsee-Klassiker „Tabu“auf, sondern der letzte Oscar-Sieger „The Artist“. sehr gut okay schlecht

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