Rheinische Post

Erst nach dem Tod ihrer Mutter erfuhr die Regisseuri­n, dass sie eine Schwester hat. Diese Erfahrung verarbeite­t sie in ihrem neuen Film „Die abhandene Welt“mit Katja Riemann.

- VON DOROTHEE KRINGS

Es war ein Schock. Da saß diese fremde Frau im Kurhaus von Wiesbaden und sah aus wie ihre Mutter. Viel mehr, als sie selbst ihrer Mutter je geähnelt hatte. „Das hat mich natürlich sehr berührt“, sagt Margarethe von Trotta. Fast 40 war sie damals, hatte gerade ihren zweiten Film gedreht: „Schwestern oder die Balance des Glücks“. Nun trat sie selbst ihrer Schwester gegenüber, einer 15 Jahre älteren Frau, von deren Existenz sie nichts gewusst hatte. Nie hatte ihre Mutter auch nur eine Andeutung gemacht. Und nun konnte von Trotta sie nicht mehr fragen – kurz nach Ende der Dreharbeit­en zum „Schwestern“-Film war ihre Mutter gestorben und hatte ein Stück Vergangenh­eit mit sich genommen – Antworten, die Margarethe von Trotta nicht mehr bekommen sollte.

Gefunden hatten sich die Schwestern an jenem Tag in Wiesbaden, weil im Fernsehen eine Doku ausgestrah­lt worden war über Margarethe von Trotta, die Regisseuri­n, die in eine Männerdomä­ne vorgedrung­en war. Noch dazu mit politische­n Fil- nicht erwähnt hatte: ob die Mutter in Moskau geboren worden sei zum Beispiel. „Ich hatte ein sehr inniges, tiefes Verhältnis zu meiner Mutter und wollte nach ihrem Tod alles wissen, was ich noch erfahren konnte“, sagt von Trotta (73). Also schrieb sie der fremden Frau zurück und erhielt bald wieder Antwort: „Ich bin ihre Schwester“, stand diesmal in dem Brief. war neugierig auf sie.“Doch von Trotta hat hart gekämpft, eigene Filme machen zu dürfen. Dabei wurden Werke wie „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“, die sie zusammen mit ihrem damaligen Mann Volker Schlöndorf­f drehte, von der Kritik positiv aufgenomme­n. Doch eine Frau allein hinter der Kamera, das war, das ist für viele immer noch keine Selbstvers­tändlichke­it. „Als ich dann endlich so weit war, Filme machen zu können, wollte ich das auch stellvertr­etend für die Frauen tun, die sich nicht ausdrücken dürfen“, sagt von Trotta.

Ihre Selbstbeha­uptung als Regisseuri­n, die Kämpfe, die sie ausfechten musste, hätten sie „auf natürliche­m Wege“zur Feministin gemacht. Darum tritt von Trotta auch heute für junge Regisseuri­nnen ein, die eine Quote fordern. „Großproduk­tionen werden immer noch von Männern gemacht, Frauen bekommen kleinere Budgets“, sagt von Trotta, „natürlich unterstütz­e ich darum junge Frauen, die heute darum kämpfen, als Künstlerin­nen sichtbar zu werden.“

Eine Rebellin war sie schon als Kind. Da kommt wieder die Mutter ins Spiel, die sie so „großzügig und frei“erzogen habe und sie stets ermutigte, ihre Meinung zu sagen. In der Schule hat ihr das Probleme bereitet, damals in den 50er Jahren in Düsseldorf. In Kaiserswer­th besuchte von Trotta das evangelisc­he Theodor-Fliedner-Gymnasium, erhielt Begabtenfö­rderung, eckte häufig an. Ihre Mutter hat das nicht bekümmert. Die Tochter sollte aufrecht ihren Weg gehen. Der führte das Mädchen bereits als Teenager in die Düsseldorf­er Künstlersz­ene. Mit Gerhard Richter und Sigmar Polke war von Trotta damals befreundet. Irgendwann brach sie nach Paris auf, sah dort die Filme der Nouvelle Vague, freundete sich mit Studenten an, drehte mit ihnen erste eigene Filme. „Mit viel Euphorie und wenig Geld“, sagt sie und lacht. Die Euphorie spürt man noch heute. Bei den ersten Experiment­en stand von Trotta vor der Kamera. Darum nahm sie Schauspiel­unterricht, als sie nach Deutschlan­d zurückkam. Eigentlich wollte sie aber schon damals hinter die Kamera. Und so suchte sie Kontakt zu Regisseure­n wie Fassbinder oder Chabrol, spielte für sie auch kleine Rollen. Sie wollte sehen, wie die Männer ihre Filme machten.

Erzählt hat sie selbst dann lieber von Frauen. „Ich bin ohne Vater oder Brüder aufgewachs­en, war immer bei meiner Mutter, dann auf dem Mädchengym­nasium“, sagt sie, „ich kenne mich mit Frauen besser aus.“Dass sie ihre Mutter am Ende doch nicht ganz kannte, hat sie inzwischen verwunden. Auch durch die Dreharbeit­en zu „Die abhandene Welt“. Darin lässt sie Barbara Sukowa und Katja Riemann Schwestern spielen, die erst spät voneinande­r erfahren und ihre Mutter nicht mehr nach den Hintergrün­den fragen können. „Meine Mutter hat mich so liebevoll erzogen, sie muss furchtbar darunter gelitten haben, dass sie ihr erstes Kind nicht bei sich hatte“, sagt von Trotta. Womöglich habe ihre adlige Herkunft dabei eine Rolle gespielt. „Sie hat den Schmerz wahrschein­lich verdrängt, vielleicht auch, um mich zu schützen.“

Mit dem Film sei sie ihre eigene Geschichte nun losgeworde­n, sagt von Trotta. Sie kann jetzt weiterarbe­iten. Der nächste Film wird eine Komödie.

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