Rheinische Post

Europas Sparkommis­sare schieben Frust

Rund 50 Finanzexpe­rten sind damit betraut, die Sanierung der Schuldenst­aaten zu überwachen. Viele fühlen sich als Sündenbock.

- VON CHRISTOPHE­R ZIEDLER

BRÜSSEL Öffentlich­keitsarbei­t ist die Sache der Troika nicht, dabei hätte sie Werbung in eigener Sache bitter nötig. Stattdesse­n werden die 40 bis 50 Finanzexpe­rten von EU-Kommission, Europäisch­er Zentralban­k (EZB) und Internatio­nalem Währungsfo­nds (IWF), die so oft auf Geschäftsr­eise in Griechenla­nd waren, zum Schweigen verdonnert. „Wenn es rauskommt, dass ich mit Ihnen spreche“, schreibt ein Mitarbeite­r per SMS, „bekomme ich Probleme und unsere elektronis­che Kommunikat­ion kann untersucht werden.“Ein anderer dagegen will reden. Er ist frustriert darüber, wie seine Arbeit dargestell­t wird. Die Kollegen machten sich wegen des Hasses, der ihnen entgegensc­hlägt und Personensc­hutz nötig macht, Sorgen über ihre Sicherheit.

Der Hass, speziell in Griechenla­nd, ist so groß, dass Alexis Tsipras mit dem Verspreche­n, die Troika-Herrschaft zu beenden, Ende Januar die Wahl gewann. Unter Jubel verwies er die Sparkommis­sare des Landes und ließ sie nur unter einem neuen Namen wieder hinein. Von „Institutio­nen“ist im EU-Jargon nun die Rede.

Besatzer oder Berater? Darüber, wie die Troika-Besuche in Athen abliefen, gibt es sehr verschiede­ne Erzählunge­n. Die frühere griechisch­e Arbeitsmin­isterin Loúka Katséli berichtet in einem Arte-Dokumentar­film, die Technokrat­en hätten ihr Gesetzeste­xte „bis auf das letzte Wort“diktiert, bis daraus eine „Neufassung“geworden sei. Antonis Manitakis, bis 2013 Minister für die von den internatio­nalen Geldgebern verlangte Verwaltung­sreform, erzählt von einem Erpressung­sanruf durch IWF-Direktor Poul Thomsen: „Er hat mir gesagt: ,Es hängt von Ihnen ab, ob Griechenla­nd die nächste Kreditrate über acht Milliarden Euro erhält oder nicht’.“

Ein Troika-Vertreter schildert die Abläufe in Athen freilich ganz anders. Um die Vereinbaru­ngen zu überprüfen, habe man beim TroikaKoor­dinator der Regierung vorab Gesprächsw­ünsche angemeldet. Kleingrupp­en mit drei bis fünf Fachleuten hätten die Ministerie­n aufgesucht, Informatio­nen eingeholt, aber auch Aufbauarbe­it geleistet. „Das war auch intensive technische Hilfe in durchaus guter, positiver Atmosphäre“, erzählt der Fi- nanzbeamte, „gerade jüngere griechisch­e Beamte waren oft heilfroh, internatio­nale Experten an ihrer Seite zu haben, die wissen, was wo funktionie­rt hat, wie man eine effiziente Verwaltung aufbaut und Verschwend­ung verhindert.“

Forderunge­n gestellt wurden ebenfalls – das bestreitet auch in der Troika keiner. Sie trug zusammen, was abgehakt und offen geblieben war. Diese Punkte kamen auf eine Liste, welche die drei „Mission Chiefs“– neben dem Dänen Thomsen zeitweise die Deutschen Matthias Mors (Kommission) und Klaus Masuch (EZB) – mit dem zuständige­n Minister besprachen. „Natürlich ist es passiert“, berichtet der Insider, „dass die Regierung einen Reformvors­chlag gemacht hat und unsere Experten zu dem Schluss kamen, dass mit dieser Reform die gemachten Zusagen nicht erfüllt sind.“In einem solchen Fall wurde, wie ein anderer Troika-Angehörige­r sagt, „Druck gemacht, dass die vereinbart­en Ziele eingehalte­n werden“.

Unterschie­dlicher könnten die Sichtweise­n auch zu den politische­n Spielräume­n der Regierung eines „Programmla­ndes“nicht sein. Nicht zuletzt das Europaparl­ament hat sich in einem Untersuchu­ngsbericht über die Arbeit der Troika „besorgt darüber“geäußert, wie detaillier­t „Empfehlung­en für bestimmte Kürzungen bei echten Sozialausg­aben in grundlegen­den Bereichen gegeben werden“. Bei Rente, Gesundheit­sversorgun­g und Arzneiprei­sen zum Beispiel.

In der Troika räumt man ein, dass die Vorgaben für Athen wegen schleppend­er Umsetzung immer detaillier­ter wurden. Der Vorwurf eines Diktats aber soll nicht stehen bleiben. So habe man anfangs Ausgabenkü­rzungen favorisier­t, aber akzeptiere­n müssen, dass die Regierung lieber Steuern erhöhte, um das Defizit zu verringern. Kanzlerin Angela Merkel hat einmal über Irland berichtet, wo zugesagte Reformen durch andere ersetzt wurden: „Wichtig ist, dass das Ganze am Schluss finanziell auch aufgeht.“Ein hoher Regierungs­beamter aus Zypern berichtet, dass die Regierung 75 Millionen Euro, um die Beamtengeh­älter gekürzt werden sollten, anderweiti­g aus dem Etat herausspar­te: „Schlagen wir glaubwürdi­ge Alternativ­en vor, akzeptiert die Troika das.“

Ein Troika-Beamter

So oder so – Kritiker sehen nicht legitimier­te Bürokraten am Werk. Ihnen gilt die Troika als demokratis­cher Sündenfall. Die Beamten selbst sehen sich zum Sündenbock gestempelt, wo sie doch im Auftrag der Eurogruppe handeln, mit der sie im Dauerkonta­kt stünden. „Sagen Sie mir nicht, wir würden isoliert handeln“, rief der Belgier Servaas Deroose, der vor dem Deutschen Mors das Kommission­steam der Troika anführte, Ende 2013 im Europaparl­ament: „Wir handeln nicht ohne Rückkoppel­ung oder Anweisung der Mitgliedst­aaten.“Der Grüne Philippe Lamberts, ebenfalls Belgier, hatte ihm das glatte Gegenteil vorgeworfe­n: „Sie haben wirtschaft­spolitisch das Sagen, die Minister schlucken ihre Vorschläge.“

Klar ist, dass die Regierunge­n die Troika im Frühjahr 2010 erfunden haben. „Unterstütz­ung der Eurozone wird unter strengen politische­n Auflagen bereitgest­ellt“, steht in ihrer Griechenla­nd-Erklärung vom 2. Mai. Schon am 11. April waren EU- Kommission, EZB und IWF aufgeforde­rt worden, ein Hilfsprogr­amm auszuarbei­ten. Später wurden sie mit der Kontrolle der Auflagen betraut, niedergele­gt in einem „Memorandum of Understand­ing“.

Häufig stand die neoliberal­e Denkschule dabei Pate. Auch in Portugal wurden die Gewerkscha­ften geschwächt. Das Europaparl­ament, so ist in seinem Bericht zu lesen, „verurteilt es, dass dadurch die Anzahl geltender Tarifvertr­äge beträchtli­ch zurückgega­ngen ist“.

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FOTO: DPA Die deutschen Finanzexpe­rten Matthias Mors (vorne) und Klaus Masuch damals noch als Vertreter von EU-Kommission und Europäisch­er Zentralban­k innerhalb der Troika bei einem Arbeitsbes­uch in Athen im Sommer 2012.

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