Europas Sparkommissare schieben Frust
Rund 50 Finanzexperten sind damit betraut, die Sanierung der Schuldenstaaten zu überwachen. Viele fühlen sich als Sündenbock.
BRÜSSEL Öffentlichkeitsarbeit ist die Sache der Troika nicht, dabei hätte sie Werbung in eigener Sache bitter nötig. Stattdessen werden die 40 bis 50 Finanzexperten von EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF), die so oft auf Geschäftsreise in Griechenland waren, zum Schweigen verdonnert. „Wenn es rauskommt, dass ich mit Ihnen spreche“, schreibt ein Mitarbeiter per SMS, „bekomme ich Probleme und unsere elektronische Kommunikation kann untersucht werden.“Ein anderer dagegen will reden. Er ist frustriert darüber, wie seine Arbeit dargestellt wird. Die Kollegen machten sich wegen des Hasses, der ihnen entgegenschlägt und Personenschutz nötig macht, Sorgen über ihre Sicherheit.
Der Hass, speziell in Griechenland, ist so groß, dass Alexis Tsipras mit dem Versprechen, die Troika-Herrschaft zu beenden, Ende Januar die Wahl gewann. Unter Jubel verwies er die Sparkommissare des Landes und ließ sie nur unter einem neuen Namen wieder hinein. Von „Institutionen“ist im EU-Jargon nun die Rede.
Besatzer oder Berater? Darüber, wie die Troika-Besuche in Athen abliefen, gibt es sehr verschiedene Erzählungen. Die frühere griechische Arbeitsministerin Loúka Katséli berichtet in einem Arte-Dokumentarfilm, die Technokraten hätten ihr Gesetzestexte „bis auf das letzte Wort“diktiert, bis daraus eine „Neufassung“geworden sei. Antonis Manitakis, bis 2013 Minister für die von den internationalen Geldgebern verlangte Verwaltungsreform, erzählt von einem Erpressungsanruf durch IWF-Direktor Poul Thomsen: „Er hat mir gesagt: ,Es hängt von Ihnen ab, ob Griechenland die nächste Kreditrate über acht Milliarden Euro erhält oder nicht’.“
Ein Troika-Vertreter schildert die Abläufe in Athen freilich ganz anders. Um die Vereinbarungen zu überprüfen, habe man beim TroikaKoordinator der Regierung vorab Gesprächswünsche angemeldet. Kleingruppen mit drei bis fünf Fachleuten hätten die Ministerien aufgesucht, Informationen eingeholt, aber auch Aufbauarbeit geleistet. „Das war auch intensive technische Hilfe in durchaus guter, positiver Atmosphäre“, erzählt der Fi- nanzbeamte, „gerade jüngere griechische Beamte waren oft heilfroh, internationale Experten an ihrer Seite zu haben, die wissen, was wo funktioniert hat, wie man eine effiziente Verwaltung aufbaut und Verschwendung verhindert.“
Forderungen gestellt wurden ebenfalls – das bestreitet auch in der Troika keiner. Sie trug zusammen, was abgehakt und offen geblieben war. Diese Punkte kamen auf eine Liste, welche die drei „Mission Chiefs“– neben dem Dänen Thomsen zeitweise die Deutschen Matthias Mors (Kommission) und Klaus Masuch (EZB) – mit dem zuständigen Minister besprachen. „Natürlich ist es passiert“, berichtet der Insider, „dass die Regierung einen Reformvorschlag gemacht hat und unsere Experten zu dem Schluss kamen, dass mit dieser Reform die gemachten Zusagen nicht erfüllt sind.“In einem solchen Fall wurde, wie ein anderer Troika-Angehöriger sagt, „Druck gemacht, dass die vereinbarten Ziele eingehalten werden“.
Unterschiedlicher könnten die Sichtweisen auch zu den politischen Spielräumen der Regierung eines „Programmlandes“nicht sein. Nicht zuletzt das Europaparlament hat sich in einem Untersuchungsbericht über die Arbeit der Troika „besorgt darüber“geäußert, wie detailliert „Empfehlungen für bestimmte Kürzungen bei echten Sozialausgaben in grundlegenden Bereichen gegeben werden“. Bei Rente, Gesundheitsversorgung und Arzneipreisen zum Beispiel.
In der Troika räumt man ein, dass die Vorgaben für Athen wegen schleppender Umsetzung immer detaillierter wurden. Der Vorwurf eines Diktats aber soll nicht stehen bleiben. So habe man anfangs Ausgabenkürzungen favorisiert, aber akzeptieren müssen, dass die Regierung lieber Steuern erhöhte, um das Defizit zu verringern. Kanzlerin Angela Merkel hat einmal über Irland berichtet, wo zugesagte Reformen durch andere ersetzt wurden: „Wichtig ist, dass das Ganze am Schluss finanziell auch aufgeht.“Ein hoher Regierungsbeamter aus Zypern berichtet, dass die Regierung 75 Millionen Euro, um die Beamtengehälter gekürzt werden sollten, anderweitig aus dem Etat heraussparte: „Schlagen wir glaubwürdige Alternativen vor, akzeptiert die Troika das.“
Ein Troika-Beamter
So oder so – Kritiker sehen nicht legitimierte Bürokraten am Werk. Ihnen gilt die Troika als demokratischer Sündenfall. Die Beamten selbst sehen sich zum Sündenbock gestempelt, wo sie doch im Auftrag der Eurogruppe handeln, mit der sie im Dauerkontakt stünden. „Sagen Sie mir nicht, wir würden isoliert handeln“, rief der Belgier Servaas Deroose, der vor dem Deutschen Mors das Kommissionsteam der Troika anführte, Ende 2013 im Europaparlament: „Wir handeln nicht ohne Rückkoppelung oder Anweisung der Mitgliedstaaten.“Der Grüne Philippe Lamberts, ebenfalls Belgier, hatte ihm das glatte Gegenteil vorgeworfen: „Sie haben wirtschaftspolitisch das Sagen, die Minister schlucken ihre Vorschläge.“
Klar ist, dass die Regierungen die Troika im Frühjahr 2010 erfunden haben. „Unterstützung der Eurozone wird unter strengen politischen Auflagen bereitgestellt“, steht in ihrer Griechenland-Erklärung vom 2. Mai. Schon am 11. April waren EU- Kommission, EZB und IWF aufgefordert worden, ein Hilfsprogramm auszuarbeiten. Später wurden sie mit der Kontrolle der Auflagen betraut, niedergelegt in einem „Memorandum of Understanding“.
Häufig stand die neoliberale Denkschule dabei Pate. Auch in Portugal wurden die Gewerkschaften geschwächt. Das Europaparlament, so ist in seinem Bericht zu lesen, „verurteilt es, dass dadurch die Anzahl geltender Tarifverträge beträchtlich zurückgegangen ist“.