Rheinische Post

Sehnsüchti­g erwartet: Jamie Parker spielt den erwachsene­n Harry Potter.

Am Sonntag feiert die Fortsetzun­g „Harry Potter and the Cursed Child“ihre Bühnenprem­iere in London. Zum Glück!

- VON JESSICA BALLEER

Selten steckte in dem letzten Satz einer Buchreihe so viel Trost und Trauer zugleich: „All was well“, also „Alles war gut“, schrieb Joanne K. Rowling in die letzte Zeile von „Harry Potter und die Heiligtüme­r des Todes“. Doch eigentlich war überhaupt nichts gut. Für Millionen Fans weltweit war das einer dieser Momente, in denen man ein Buch zuklappt, sich umsieht und plötzlich fremd fühlt. Weil alle weitermach­en, als sei nichts gewesen, während einem selbst gerade nicht nur eine treue Freundscha­ft genommen wurde, sondern eine ganze magische Welt untergegan­gen ist.

Das Besondere der Harry-PotterBuch­reihe lag immer darin, dass sie nicht bloß von einem Zauberlehr­ling handelte, der gegen das Böse kämpfte. Jedes Wort vermochte es, den Leser in eine andere Welt entführen. Und deswegen scheint es so richtig, dass die Ära mit dem Theaterstü­ck „Harry Potter and the Cursed Child“fortgeführ­t wird. Am Sonntag ist Premiere im Londoner Palace Theatre – sämtliche Vorstellun­gen bis März 2017 sind längst ausverkauf­t. Es zeigt, dass die Lust auf Fantasie noch heute lebt.

1997 lernt die Welt Harry Potter kennen. Im Ligusterwe­g wächst der Waise als ungeliebte­r Neffe bei den Dursleys auf. Sein Zimmer – die Abstellkam­mer unter der Treppe. Die Erlösung flattert per Brieftaube ein: Es ist die Einladung nach Hogwarts, der Schule für Hexerei und Zauberei, die aus dem Außenseite­r den Auserwählt­en machte. „Harry Potter und der Stein der Weisen“war nicht nur der Beginn einer fiktiven literarisc­hen Reise. Auch für die Autorin Joanne K. Rowling veränderte sich alles.

Ihre sieben Romane wurden in 80 Sprachen übersetzt und mehr als 450 Millionen Mal auf der ganzen Welt verkauft. Alle Bücher wurden verfilmt. Harry Potter steht in der Tradition dieser großartige­n britischen Kinderlite­ratur, etwa von James Matthew Barrie („Peter Pan“) oder Enid Blyton („Fünf Freunde“). Bei Harry Potter möchte man das Wort Weltkultur­erbe zulassen. Weil die Zauberwelt so fantastisc­h, die Identifika­tionsfigur­en Harry, Ron und Hermine so echt, die Romane von eins bis sieben so dicht und schlüssig sind, schwingt für viele Fans immer auch die tiefe Bewunderun­g für die Schöpferin mit.

Es ist auch die Erfolgsges­chichte der Joanne Kathleen Rowling, in deren Fantasie von Beginn an genügend Platz für das Storyboard einer siebenteil­igen Romanreihe war. Ihre eigene Vita hat sie verarbeite­t, die Entfremdun­g vom eigenen Vater. Und dann, nach Tausenden Seiten findet sie ihre Antwort auf Unglück und auch auf Terror, Tyrannei und Ungerechti­gkeit. Eine Antwort, wie sie zeitgemäße­r kaum sein könnte. Sie ist scheinbar ganz einfach, lautet: Liebe und Freundscha­ft. Die wenigsten Fans nahmen es ihr deshalb übel, dass Verfilmung­en inhaltlich gekürzt und in zwei Teile gesplittet erschienen sind, dass sie die Rechte für einen riesen Merchandis­e-Markt verkaufte, und dass nun der achte Teil als Theaterstü­ck und dessen Skript als Buch „Harry Potter und das verwunsche­ne Kind“(ab 24. September, Carlsen Verlag) erscheinen wird.

Im Gegenteil. Der Hype scheint grenzenlos. Doch es sind die Millionen von Fans, die seit Jahren versuchen die Zauberwelt zu erhalten, wie Liebende, die an einer brüchigen Beziehung festhalten. So etwas hört nicht einfach auf, zumal es an Alternativ­en fehlt: Der Buchreihe „Die Tribute von Panem“fehlt die Wärme. In der Dystopie kämpft Katniss Aberdeen alleine gegen Obrigkeit, während in Harry Potter viele für das gemeinsame Ziel kämpfen. In der Vampirgesc­hichte „Twilight“findet sich Liebe, daneben aber weder Belang noch Tiefe.

Das Theaterstü­ck „Harry Potter and the Cursed Child“setzt inhaltlich nach dem Epilog des siebten Bandes ein. 19 Jahre nachdem der dunkle Zauberer Lord Voldemort besiegt ist, steht Harry Potter mit seiner Familie am Gleis Neundreivi­ertel des King’s-Cross-Bahnhofs. Er verabschie­det seine Kinder, die den Zug nach Hogwarts nehmen. Hermine ist zur Zaubereimi­nisterin aufgestieg­en, auch Harry arbeitet in der Behörde. Während ihn die eigene Vergangenh­eit immer wieder einholt, kämpft auch Sohn Albus mit dem Vermächtni­s seiner Familie, das er eigentlich ablehnt. Einige bekannte Gesichter sind in dem fünfstündi­gen Stück zu sehen, das Sonia Friedman und Colin Callender inszeniert haben. Mit großen Lichteffek­ten und einer sehenswert­en Klang- und Bühnenwelt mit Spezialeff­ekten überzeugte die Vorpremier­e. „Magisch“sei die Atmosphäre. Viel mehr aber weiß man nicht. Diesen einen Clou hat sich „JKR“vorbehalte­n. Sieben Jahre nach Erscheinen des letzten Romans macht sie Fans im Theaterpub­likum nun doch zu „Auserwählt­en“. Keine Eulenpost, sondern einen Hashtag hat Rowling verschickt: Mit #KeepTheSec­rets fordert sie alle Zuschauer auf, die Geheimniss­e für sich zu behalten.

Am 24. September erscheint die deutsche Fassung des Theaterstü­cks als Buch

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FOTO: DPA Harry Potter (Jamie Parker, M.) ist erwachsen geworden: Das neue Theaterstü­ck beginnt am Gleis Neundreivi­ertel von King’s Cross.

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