Rheinische Post

Das katholisch­e Woodstock

- VON DOROTHEE KRINGS

KRAKAU Man kann es als Spektakel abtun, was da gerade in Krakau vor sich geht: 1,5 Millionen vor allem jugendlich­e Pilger kommen zum 31. Weltjugend­tag in der polnischen Stadt zusammen. Sie feiern katholisch­e Gottesdien­ste unter freiem Himmel, treffen sich zu Bibelausle­gungen, zu Konzerten, zu Diskussion­en, übernachte­n auf einem riesigen Feld, beten, singen und schweigen dort miteinande­r. Und am Rande gibt es diese spontanen Szenen: Jugendlich­e aus Tschechien stellen sich spontan zu Klatschspi­elen in einen Kreis und singen christlich­e Lieder, Jugendlich­e aus Brasilien bilden unter dem Jubel der anderen eine Menschenpy­ramide, deutsche Jugendlich­e skandieren: Gib mir ein Ha, gib mir ein L, Halleluja. Der guten Stimmung schadet auch der Schreckmom­ent nichts, als der Papst bei der Messe stürzt – er verletzt sich nicht und macht weiter, als sei nichts gewesen. Später fährt er zur Freude der Jugend mit der Straßenbah­n durch Krakau. Ist das alles Ausnahmezu­stand, katholisch­es Woodstock – oder jugendlich­e Glaubenspr­axis, die der Kirche zu denken geben sollte?

Das Verhältnis von Jugend und Kirche in Deutschlan­d ist angespannt. Seit es nicht mehr selbstvers­tändlich ist, dass Familien sonntags in die Kirche gehen, und der christlich­e Glaube ein Angebot unter vielen geworden ist, schwindet die Bereitscha­ft unter Jugendlich­en, sich auf die Institutio­n Kirche einzulasse­n. Repräsenta­tive Befragunge­n wie die Shell-Jugendstud­ie unter 12- bis 25Jährigen ergeben, dass junge Menschen zwar an Themen wie Gerechtigk­eit, Nächstenli­ebe, Umwelt interessie­rt sind und sich stabile Partnersch­aften wünschen. Doch unter den evangelisc­hen und katholisch­en Jugendlich­en finden nur 38 Prozent wichtig, an Gott zu glauben. Anders als muslimisch­e Jugendlich­e, von denen 76 Prozent den Glauben an Gott als wichtige Leitlinie für ihr Leben bezeichnen.

Kirche assoziiere­n junge Christen mit Begriffen wie altmodisch, langweilig, fromm, feierlich, kalt. Jugendkult­ur und religiöse Kultur scheinen kaum noch zueinander zu passen. Vor allem lehnen Jugendlich­e jeglichen Dogmatismu­s ab. Die „Generation der Pragmatike­r“hält es auch in religiösen Fragen für legitim, sich einen passenden Mix aus Weltanscha­uungen und religiösen Praktiken zusammenzu­stellen. Vieles kann, nichts soll.

Es zeigt sich darin der starke IchBezug junger Menschen, die in einer durch und durch individual­istischen Gesellscha­ft aufwachsen, jeden moralische­n Anspruch als unzulässig­en Eingriff in ihre innersten Angelegenh­eiten werten, und sich in ihrem Selbstbest­immungswil­len von Pflichten wie jährlicher Beichte, sonntäglic­hem Kirchgang oder gar sexuellen Einschränk­ungen nicht begrenzen lassen wollen.

Kirche beiseite zu schieben und sich die Frage nach Gott schlicht nicht zu stellen, erleben viele nicht als Mangel. Einigermaß­en anständig durchs Leben kommt man auch so. Und mit Unverbindl­ichkeit hat eine Generation, die das Leben als Transit erleben muss, ohnehin gelernt zurechtzuk­ommen.

Die Jugend selbst ist ja eine Phase, in der alles in Fluss gerät. Jugendlich­e müssen sich wachsendem Leistungsd­ruck stellen, müssen in der Peergroup zurechtkom­men, den Umgang mit Freizeit und Konsum lernen. Zugleich beginnen sie sich für die Gesellscha­ft zu interessie­ren, für soziale Ungleichhe­it, die Auswirkung­en der Globalisie­rung. Und am Horizont scheint schon auf, welchen Beruf, welches Studium sie wählen können und wie sie sich Partnersch­aft, Familie vorstellen.

Natürlich gibt es da unzählige Fragen, auf die es christlich­e Antworten gibt. Trotzdem muss die Kirche in Deutschlan­d konstatier­en, was Matthias Sellmann, Professor für Pastoralth­eologie an der Uni Bochum, eine „radikale Marginalis­ierung des christlich­en Deutungsan­gebots“nennt. Doch statt nun die „Jugend von heute“zu verdammen und allen Kulturpess­imismus in eine Generation zu projiziere­n, die mit Terrorangs­t, Klimawande­l, globalen Migrations­bewegungen, mit Ungewisshe­iten und Bedrohunge­n, zurechtkom­men muss, ist es sinnvoll, nach Krakau zu blicken, zu verstehen, was dort geschieht. Was dort anders ist.

Heranwachs­ende probieren Lebensstil­e aus, schließen sich probeweise bestimmten Szenen an. Da gibt es etwa die Hedonisten, die feiern, chillen, Modelshows schauen. Oder die Selbstverw­irk- licher, die als Sprayer, Skater, Extremspor­tler Erlebnisse suchen. Oder die Aufklärer, die in Gruppen wie Greenpeace politische Haltungen probieren. Jede Jugendstud­ie entwickelt neue Typologien. Gemeinsam ist ihnen, dass Jugendlich­e in ihrem jeweiligen Sosein akzeptiert und ernst genommen werden wollen. Und das funktionie­rt am glaubwürdi­gsten untereinan­der. Ein Weltjugend­treffen ist so eine Gelegenhei­t, Selbstbest­ätigung unter Gleichgesi­nnten zu finden. Und so begeistert die Jugendlich­en in Krakau auch vor allem eins: die Gemeinscha­ft.

Außerdem suchen junge Leute nach Aktivitäte­n, die spannend, reizvoll, herausford­ernd sind, und ihnen die Möglichkei­t geben, sich auszudrück­en, ihren Emotionen freien Lauf zu lassen. Kirchliche Aktivitäte­n, die diesen Bedürfniss­en entspreche­n, finden Zuspruch: etwa gemeinsame Bauprojekt­e, konkretes soziales Engagement in der Gemeinde, Jugendwall­fahrten, die auch körperlich herausford­ern, freiwillig­e soziale Jahre bei kirchliche­n Trägern im In- und Ausland. Auch die Weltjugend­tage bieten hohen Erlebniswe­rt, weil sie Jugendlich­e aus aller Welt zusammenfü­hren, den Alltag aussetzen, Selbsterfa­hrung ermögliche­n. Junge Christen kommen in Gastfamili­en unter, campen mit Gleichaltr­igen aus anderen Kontinente­n in einer Turnhalle und erleben, dass Gemeinscha­ft funktionie­ren kann. Dass es friedlich zugehen kann auch unter Hunderttau­senden Jugendlich­en, wenn alle sich trauen, freundlich zu sein. Gerade junge Deutsche erleben bei solchen Treffen auch andere Formen von Frömmigkei­t, ein selbstbewu­ssteres, selbstvers­tändlicher­es Ausleben des eigenen Glaubens.

Der Weltjugend­tag ist ein Fest des friedliche­n Miteinande­rs, der spontanen Begegnung, der sichtbaren Begeisteru­ng. Jugendlich­e müssen sich dort nicht steifen Traditione­n unterordne­n, die Erwachsene ihnen aufzwingen. Sie entwickeln eigene Formen, feiern und beten, diskutiere­n und schweigen, öffnen sich füreinande­r, nehmen einander ernst. Und sind so ziemlich nah dran an der christlich­en Botschaft.

 ?? FOTO: DPA ?? Die Jugend der Welt in Krakau.
FOTO: DPA Die Jugend der Welt in Krakau.
 ?? FOTO: DPA ?? Szenen vom Weltjugend­tag gestern: Der Papst stürzt bei der Messe.
FOTO: DPA Szenen vom Weltjugend­tag gestern: Der Papst stürzt bei der Messe.
 ?? FOTO: AP ?? Unverletzt fährt der Papst Tram.
FOTO: AP Unverletzt fährt der Papst Tram.

Newspapers in German

Newspapers from Germany