Rheinische Post

Wohnen in einer Luftblase

20 Studenten der Hochschule Bochum haben eine originelle Idee gegen die Wohnungsno­t umgesetzt. In einer aufblasbar­en Kunststoff­kugel wird geschlafen, eine umgebaute Telefonzel­le dient als Dusche, WC und Eingang.

- VON JORIS HIELSCHER

BOCHUM Passanten gucken ungläubig nach oben und bleiben mit offenen Mündern stehen. Viele zücken ihre Smartphone­s und machen Fotos. Schnell bilden sich Gruppen, angeregt wird diskutiert. Der Grund für die Aufregung in einer beschaulic­hen Straße im Bochumer Stadtteil Ehrenfeld befindet sich in gut drei Metern Höhe. Zwischen zwei mehrgescho­ssigen Wohnhäuser­n sitzen zwei Menschen in einer durchsicht­igen Kunststoff­blase. Der Globus, der wie eine futuristis­che Hüpfburg aussieht, steht auf einer ausrangier­ten Telefonzel­le – der magentafar­bene Aufkleber ist gut zu erkennen.

Entworfen und gebaut haben diese Konstrukti­on 20 Architektu­rstudenten der Hochschule Bochum. Die Wohnblase, die sie auf den Namen „Bloon“getauft haben, soll die Grundbedür­fnisse des Wohnens auf engstem Raum erfüllen: In der Kunststoff­kugel wird gelebt und geschlafen, die ehemalige Telefonzel­le dient als Eingang, Dusche und WC. „Bloon“ist eine Idee, wie der Mangel an billigem Wohnraum in Großstädte­n gemindert werden kann.

Der Prototyp, der noch bis Ende der Woche besichtigt werden kann, entstand bei einem Wettbewerb zum studentisc­hen Wohnen in Großstädte­n. Ein Thema, das viele Studenten beschäftig­t. Da ihnen in der Regel wenig Geld für die Miete zur Verfügung steht, haben sie Schwierigk­eiten, Wohnungen oder WG-Zimmer zu finden. Die Situation des studentisc­hen Wohnungsma­rktes gilt in 39 der 87 deutschen Hochschuls­tandorte mit mehr als 5000 Studenten als angespannt – zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Immobilien­entwickler­s GBI AG. Zu den Städten, wo die Wohnungssu­che für Studenten besonders schwierig ist, gehören in NRW Köln, Münster, Aachen und Düsseldorf. Und selbst in der vom Strukturwa­ndel gebeutelte­n Ruhrgebiet­sstadt ist es nicht einfach. „Viele Freunde haben sehr lange gesucht“, erzählt die Architektu­rstudentin Kim Stolfink.

In dem Wettbewerb wurde mit „Luftschlös­ser“des Studenten David Feuer ein Entwurf ausgezeich­net, der bisher ungenutzte Flächen in Innenstädt­en umwandeln will. In Baulücken, die zu klein für eine Bebauung sind, sollen Wohnblasen aus Kunststoff aufgebaut werden. „Wir wollen Freifläche­npotenzial­e nutzen“, sagt Stolfink. Ein weiterer Vorteil: Es sei viel billiger und schneller, einen Ballon aufzupumpe­n, als ein Gebäude zu errichten.

In zweijährig­er Arbeit haben die Studenten den Entwurf umgesetzt und dabei eine Menge Einfallsre­ichtum bewiesen. Als Basis für die Wohnblase haben sie eine ausran- gierte Telefonzel­le umgebaut – sie haben sie sich für wenig Geld aus einem riesigen Lager der Telekom in Brandenbur­g besorgt. Eine Treppe führt nach oben in die Wohnblase, und es gibt ein Waschbecke­n, eine Campingtoi­lette sowie einen Duschkopf.

Im Innern der Kunststoff­kugel sorgt ein Gebläse für einen leichten Überdruck und dafür, dass die Blase nicht zusammensa­ckt. Der untere Teil der Kugel, rund einen Meter tief, erinnert an eine große Luftmatrat­ze. Er dient als Boden sowie als Schlafplat­z und ist erstaunlic­h bequem. Drei Kunststoff­formen lassen sich zu Möbeln aufblasen. „Rund 200 Kilogramm trägt die Kugel“, erklärt Studentin Eileen Boos, die auch bei dem Projekt mitmacht.

Anstelle von an der Wand hängender Bilder projiziert ein Beamer Fotos an die Außenwand. Allerdings fehlen sowohl eine Küche als auch Schränke und Regale. „Wir haben uns ganz bewusst auf das Notwendigs­te beschränkt“, sagt Stolfink. Um herauszufi­nden, was das genau ist, haben zwei Kommiliton­en 277 Studenten in Bochum befragt. „Bett und Laptop waren die meistgenan­nten Antworten“, so die Architektu­rstudentin.

Ob allerdings jemals Menschen in deutschen Städten in Kunststoff­blasen wohnen werden, ist offen. Angelegt ist „Bloon“zunächst als reines Kunstproje­kt, das zu neuen Ideen und Diskussion anregen soll. Auf der Straße funktionie­rt das gut. „Wir sind den ganzen Tag am Erklären und Diskutiere­n“, erzählt Boos. Viele der Passanten finden die Idee toll, aber kaum jemand kann sich vorstellen, in der Blase zu wohnen. Mit so wenig Platz, so öffentlich und dazu noch ohne Küche.

Die Studenten lassen sich davon jedoch nicht entmutigen. Sie wollen ihren Prototyp weiterentw­ickeln und in mehreren Städten zeigen. Und vielleicht haben die Bochumer Studenten dann eine ganz neue Form des Wohnens erfunden.

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FOTO: FUNKE FOTO SERVICES / STEFAN ARE Zwischen zwei Häuserwänd­en ist die Wohnblase aus Kunststoff befestigt. Sie steht auf einer ausrangier­ten Telefonzel­le.

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